Stalingrad - Die stillen Helden. Reinhold Busch
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Dr. Weber im Op-Wagen
Die Sanitätseinheiten – unentbehrlich für die Moral der kämpfenden Truppe. Bericht eines Divisionspfarrers
Neben den Ärzten waren die Divisionspfarrer besonders wichtig, die sich den größten Teil ihrer Zeit um die Verwundeten und Kranken auf den Hauptverbandplätzen und in den Lazaretten kümmerten. Der Bericht31 des evangelischen Pfarrers Martin Tarnow32, der hier von den Sanitäts-Kompanien der 16. Panzer-Division berichtet, sei allen Zeitzeugenberichten vorangestellt: „Hier soll davon die Rede sein, was man im Kriege nur selten sah und hörte, was bei den Eilmärschen oft verborgen blieb oder was man mit schnellem Blick kaum wahrnahm – nämlich von dem, was sich auf vorgeschobenen Verbandplätzen dicht hinter der Front abspielte, in Operationszelten oder Operationswagen, auf der Trage oder im Erdbunker, in armseligen Hütten oder Kellern; von den letzten Stunden oder letzten Augenblicken unserer Kameraden. Für unsere Verwundeten an der Front gab es zwei Lichtpunkte: die Kameradschaft und die wehende Rotkreuzflagge an den Verbandplätzen. Jeder Soldat mußte damit rechnen: Mir kann etwas passieren! Aber er durfte auch damit rechnen: Mir wird geholfen werden! Und wer unter uns als Verwundeter die Rotkreuzflagge von weitem erblickte, wußte sofort: Hilfe ist mir sehr nahe. Welch ein Licht in der dunklen Nacht des Krieges für jeden Verwundeten: diese flatternde Rotkreuzflagge an einem Verbandplatz!
Pfarrer Martin Tarnow
Viele Kameraden waren von tiefer Dankbarkeit erfüllt, wenn sie die Namen der beiden Stabsärzte Dr. Paal und Dr. Weber hörten, denn ihrem großen ärztlichen Können und Wirken verdankten sie ihr Leben. Aber nur wenige wußten vielleicht, daß jeder unserer beiden Ärzte allein in Rußland etwa 15 000 Operationen durchgeführt hatte! Manche unter uns würde schon längst die russische Erde decken, wären unsere Ärzte und ihre getreuen Helfer nicht gewesen.
Es war eine ‚windige Sache‘, so dicht hinter der Front zu operieren, manchmal nur ein bis zwei Kilometer hinter der kämpfenden Truppe. In der Tat sollten auch Pfarrer Peter Mohr33 und ich das alsbald erfahren. Wir fanden oft schwerverwundete Kameraden; in Windeseile war eine Trage zur Stelle, von tapferen Sanitätern im Eiltempo gebracht, und wenig später lagen die Verwundeten schon auf dem Operationstisch, während ringsum Granaten einschlugen.
Welch eine Wohltat war die schmerzlindernde Spritze! Es gab schreckliche Verwundungen, und die Schmerzen waren darum oft grauenhaft. Einmal wurde ein Oberleutnant gebracht; Granatsplitter hatten seinen Oberschenkel zertrümmert, und ein Knochenteil ragte wie ein Dolch weit über das Knie hinaus. ‚Mutter, Mutter,‘ kam es vor großen Schmerzen über seine Lippen. Oberarzt Dr. Hegemann34 und Dr. Paal bemühten sich um den so schwer Verwundeten. Das Erste: die Spritze, um die furchtbaren Qualen zu lindern. Der ‚Alte Fritz‘ war gelegentlich über die Schlachtfelder geritten und wenn ein Schwerverwundeter vor Schmerzen schrie, pflegte er zu sagen: ‚Sterbe er anständig!‘ So konnte nur jemand reden, dem Schmerzen erspart geblieben waren – wer aber selber einmal solche Schmerzen erlebt hatte, der wußte aus Erfahrung, was gelitten wurde. Und welche Erleichterung, schreien zu dürfen, und welche Wohltat, daß jemand einem Klagenden die Hand reichte, sei es Arzt oder Pfarrer. Auch jenem, dem ein Splitter den ganzen Unterkiefer weggerissen hatte, auch dem, dem ein Schuß quer durch beide Augen gegangen war. Manchmal falteten wir Seelsorger nur stumm die Hände, und der Schwerverwundete spürte es. Beendete aber der Tod die oft furchtbaren Qualen, dachten Pfarrer Mohr und ich an das Wort der Hoffnung: ‚Der Schmerz wird nicht mehr sein!‘ Ich sprach dieses Wort der Hoffnung an den Gräbern.
Nun lagen Major Stock, Kommandeur der Nachrichtenabteilung, und ich einmal in jenem Operationswagen von Dr. Paal; russische Jagdflugzeuge hatten ihre höchst unsympathischen kleinen Splitterbomben über unseren Verbandplatz abgeworfen. Ihr infernalisches Geräusch beim Heruntersausen jagte den Major und mich unter einen Lastwagen. Da wir beide etwas höher lagen als die meisten Einschläge, gingen die gefährlichen Splitter in die Mulde, und nur wenige trafen uns unter dem LKW. Major Stock erwischte es an der Ferse, mich am Oberschenkel. Der Major sprach ein kurzes Gebet. Blitzschnell landeten wir im Operationswagen von Dr. Paal, die Spritze vollbrachte ihre wohltuende Wirkung, der Verband wurde angelegt, und dann ab zum Hauptverbandplatz. So also ging es im Operationswagen zu: Es wurde kaum gesprochen; was vorher eingeübt worden war, klappte wie am Schnürchen; die knappen Handbewegungen von Dr. Paal, seine sprechenden Augen, und seine Sanitäter wußten sofort Bescheid. Noch ein schnelles ‚Danke‘ kam über unsere Lippen, und schon kamen die nächsten Verwundeten auf den Op-Tisch. Einer schrie fürchterlich; ihn hatte es schwer erwischt. Welche Wohltat, diese ärztliche Versorgung einmal miterleben zu können! Nun konnte man sich in das Leiden der Verwundeten hineinversetzen.
In pausenlosem Einsatz waren auch Dr. Weber und seine getreuen Helfer tätig. Bis zur Erschöpfung wurden die Verwundeten Tag und Nacht betreut. Am 18. August 1941 war Dr. Paal vor versammelter Sanitätskompanie in Nikolajew das EK 1 verliehen worden. General Hube35, der selber so manches Mal Besucher auf den Verbandplätzen war, hatte die Verleihung der Auszeichnung empfohlen. Sie war zugleich eine Anerkennung für seine getreuen Mitarbeiter bis hin zum schlichten Sanitätsgefreiten gewesen. Kerzengrade, wie immer, war Dr. Paal vor der versammelten Sanitätskompanie gestanden und hatte die Worte der Anerkennung für ihn und seine getreuen Mitarbeiter gehört. Wir alle, die wir dabei gewesen waren, hatten uns mitgefreut. Die Auszeichnung war wohlverdient, denn wer in Gefahr operieren mußte und sich nicht wehren konnte, der mußte die Ruhe bewahren, konnte den Operationsraum nicht verlassen und durfte nichts anderes empfinden als die Betreuung der oft so schwer Verwundeten. Solche Stunden vergaß man nicht! Im Wirken unserer Ärzte und ihrer getreuen Männer lebte der wunderbare Satz von Paracelsus: ‚Der Grund der Arznei ist die Liebe‘. Sie redeten nicht viel darüber, aber was geschah, und zwar für alle Verwundeten, auch für die russischen, geschah aus dem Geiste des Paracelsus. Allein auf dem Hauptverbandplatz in Buki bei Tscherkassy waren in wenigen Tagen über 2000 Verwundete versorgt worden; die Sanitätskompanien der 16. Panzerdivision hatten Übermenschliches geleistet. Als wohlverdiente Anerkennung war Dr. Paal und mit ihm zusammen der ganzen 1. Sanitätskompanie das Deutsche Kreuz in Silber verliehen worden.
Dr. Erich Weber, Chirurg des Feldlazaretts 297
Wo immer es einen Verbandplatz gab, dort gab es auch Gräber von Gefallenen, und über diesen Gräbern das schlichte Holzkreuz mit Namen, Geburts- und Todestag. Sanitätsgefreiter Baumann und seine Mitarbeiter zimmerten diese Kreuze und erwiesen damit den Gefallenen das Werk der Barmherzigkeit. Das Grab mit dem Kreuz noch schnell fotografieren und das Bild alsbald heimwärts schicken, damit Trauernde getröstet würden, das gehörte selbstverständlich dazu.
Vor allem die Panzer verursachten schwerste Verletzungen. Ich holte einmal aus einem von einer Granate durchschlagenen Panzer einen Mann mit einem vielzackigen Splitter heraus: eine grausame Verwundung! Sorgsam wurde der Verletzte mit der Zeltbahn auf die Trage gelegt, auf den Panzer gehoben und dann auf den Op-Tisch. Der Operateur und seine Helfer standen schon bereit; leider war es wieder einmal wie so oft eine schwere Kopfverletzung. Sofort wurde der Verband sorgfältig angelegt, und wir hofften, daß das Leben im Lazarett doch noch erhalten werden konnte. Später traf ich den Kopfverletzten wieder; man hatte ihm den Splitter mit einem Magneten aus der Stirnwunde herausgezogen.
In einem russischen Dorf lagen wir wie so oft ganz plötzlich unter schwerem Artilleriebeschuß – Einschlag auf Einschlag. Nur eine Granate explodierte in einer Baumkrone,