Finsterdorf. Peter Glanninger

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Finsterdorf - Peter Glanninger

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style="font-size:15px;">      Das hier war also das Lokal, in dem Bernadette Lindner am Abend ihres Verschwindens gewesen war. Radek überlegte, ob er Falk gleich befragen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Noch war er hier auf einem Wochenendurlaub und nicht im Dienst.

      Radek hatte ein Buch mitgenommen, das ihn interessierte und das er sicherlich auch für die Uni gebrauchen konnte, sowie einen Schreibblock. Er wollte sich angewöhnen, seine Lektüre, die er in Zukunft zu lesen hatte, gewissenhaft zu exzerpieren, um sich damit später Zeit und Arbeit zu ersparen. Er las intensiv und konzentriert, obwohl er sich bemühte, keinen der Gäste, die kamen und gingen, zu übersehen. Er versuchte die Leute zu sondieren, ohne dabei aufdringlich zu wirken, sie einzuschätzen und sich ein Bild von den Bewohnern des Ortes zu machen.

      Irgendwann im Laufe des Abends kam eine junge Frau ins Lokal und setzte sich an den Ausschank. Sie fiel ihm auf, weil sie hübsch und alleine war. Die Männer an der Bar begrüßten sie freundschaftlich, ebenso die Kellnerin, sie war also keine Unbekannte. Radek bemerkte sofort ihren dunklen Lidschatten, der ihr mit dem halblangen brünetten Haar und ihrer schwarzen Kleidung ein beinah mondänes Erscheinungsbild verlieh, das viel besser in ein Wiener Szene-Lokal als in dieses Dorfgasthaus gepasst hätte.

      Sie bestellte ein Glas Rotwein, zündete sich eine Zigarette an, blickte sich im Lokal um und registrierte, dass Radek sie beobachtete. Es schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil, Radek hatte den Eindruck, als würde sie ihre Wirkung auf ihn genießen. Sie wandte sich der Kellnerin zu, die gerade an der Espressomaschine hantierte. Schnell wechselten sie einige Sätze, sie erkundigte sich nach dem fremden Gast. Dann drehte sie sich wieder zu Radek, schlug die Beine übereinander und musterte ihn mit interessiertem Blick. Sie lächelte. Ihr Verhalten war nicht verführerisch, eher neugierig, als ob sie fragen wollte: Na, was bist denn du für einer? Radek wusste, dass er nicht hässlich war, und kannte seine Wirkung auf Frauen. Trotzdem war es ihm beinahe peinlich, so direkt in Augenschein genommen zu werden, vor allem, weil das Verhalten des Mädchens auch die Aufmerksamkeit der übrigen Männer an der Bar auf ihn lenkte und sie ihrem Blick folgten. Plötzlich starrten ihn vier weitere Augenpaare an. Sie beobachteten ihn allerdings nicht freundlich, sondern argwöhnisch. Aus Verlegenheit nahm Radek sein Bier und prostete den Leuten an der Bar jovial zu, aber die Männer ignorierten es. Das Mädchen allerdings hob das Glas und erwiderte seine Geste mit einem Kopfnicken und einem Lächeln.

      Radek versteckte sich wieder hinter seinem Buch und las weiter.

      Später am Abend leerte sich das Gasthaus langsam. Auch das Mädchen an der Bar verschwand bald, nachdem sie das Glas Wein ausgetrunken hatte. Als Radek bemerkte, dass er mittlerweile der letzte Gast war und die Kellnerin ihn gelangweilt beobachtete, ging er in sein Zimmer hinauf.

      9.

      Etwas stimmte nicht. Es war ihm nicht sofort klar und es dauerte eine Weile, bis er dahinterkam. Radek saß beim Frühstück am Fenster, so, dass er nach draußen auf den Hauptplatz blicken konnte. Er war der einzige Gast, zumindest war kein anderer Tisch gedeckt. Die Kellnerin brachte ihm ein üppiges Frühstück. Wurst, Käse, Butter, Marmelade, reichlich Gebäck und eine große Thermoskanne mit Kaffee. Er bestellte ein weiches Ei. Er liebte es, ausgiebig und lange zu frühstücken. Er hatte sich von der Theke einige Tageszeitungen geholt und blätterte sie mit mäßigem Interesse durch. Manchmal warf er einen Blick aus dem Fenster nach draußen.

      Und während er aß und ab und zu auf den Hauptplatz hinaussah, begann ihn etwas an dem Bild zu stören.

      Es war ein schöner Morgen. Er hatte hervorragend geschlafen und es war kurz nach 9 Uhr. Die Herbstsonne schien mild auf den menschenleeren Platz vor der Kirche.

      Das war es: keine Menschen vor der Kirche. Das störte ihn.

      Radek war nicht religiös. Ein Arbeiterkind, seine Familie war sozialdemokratisch aus tiefster Seele, da gab es keinen Platz für die Kirche. Seine religiöse Erziehung beschränkte sich auf die katholischen Pflichtübungen: Taufe, Erstkommunion, Firmung. Gerade so viel, dass ein Kind in der Provinz überleben konnte, ohne ins soziale Aus gedrängt zu werden, in einem Land, das von Kirche nur so triefte und in dem sogar die Sozialisten katholisch waren, wie es sein Vater verächtlich ausdrückte. Aber auch keinen Fingerzeig mehr. So war es nur eine logische Konsequenz, dass Radeks erste eigenständige politische Handlung – als solche sah er es – nach Erreichen der Volljährigkeit darin bestanden hatte, aus der Kirche auszutreten.

      Deshalb hatte er keine Erfahrung mit der Kirchenpraxis und war ein wenig verunsichert. Möglicherweise täuschte er sich. Aber er wusste, dass die Leute am Sonntagvormittag in die Messe gingen, davor und danach vor der Kirche standen, tratschten. Anschließend marschierten die Männer ins Wirtshaus, während die Frauen sich auf den Weg nach Hause machten, um das Mittagessen zu kochen. Doch vielleicht war das nur ein Klischee, alles nicht mehr wahr, längst überholt. Trotzdem fand am Sonntagvormittag der Gottesdienst statt. Daran hatte sich noch nichts geändert.

      Der Gedanke ließ ihm keine Ruhe, und je länger er darüber nachdachte, desto unruhiger wurde er. Er brauchte Gewissheit.

      Er trank seine Tasse Kaffee aus und gab der Kellnerin Bescheid, dass er schnell etwas erledigen müsse, aber gleich wieder zurück sei und sie das Frühstück noch nicht abräumen solle. Dann eilte er über den Platz zur Kirche. Er trug nur einen Sweater, darunter ein T-Shirt, er hatte nicht vor, lange wegzubleiben, und in der milden Sonne war es ohnehin nicht kalt.

      Neben dem Kirchenportal sah er eine Tafel mit der Aufschrift »Heilige Messe« und den Uhrzeiten, zu denen sie stattfand. Er blickte auf die Uhr. 9.30 Uhr, die Messe müsste vor 15 Minuten begonnen haben. Er hatte jedoch seit gut einer Stunde den Platz vor der Kirche im Blick. Möglicherweise gab es einen Seiteneingang, den er übersehen hatte.

      Vorsichtig öffnete er die schwere Holztür, er wollte nicht stören. Er zog die Tür einen Spalt weit auf, schlüpfte hinein, schloss sie leise hinter sich und blickte sich überrascht um. Die Kirche war – leer. Oder – beinahe leer. Über die ersten beiden Bankreihen verstreut saßen drei alte Frauen und ein Paar, ebenfalls weit im Rentenalter. Vorne beim Altar stand ein einsamer Pfarrer, kein Messner, keine Ministranten, niemand. Außer diesen sechs Personen war kein Mensch in der Kirche. Radek hatte noch nie in seinem Leben eine so leere Kirche gesehen, nicht einmal jene, die er im Urlaub als Sehenswürdigkeiten besucht hatte.

      Der Priester bemerkte ihn, zögerte einen kurzen Augenblick und fuhr dann mit seiner Messe fort.

      Radek blieb noch einige Minuten neben der Tür stehen, ließ die Liturgie und ihre Rituale, die ihm vor den wenigen Besuchern völlig sinnentleert erschienen, auf sich wirken. Anschließend verließ er die Kirche so leise, wie er gekommen war, und kehrte zurück ins Gasthaus »Falk«.

      Eine leere Kirche, ein Gottesdienst ohne Menschen. Das war ihm nicht geheuer.

      Radek hatte sich vorgenommen, eine Wanderung auf den Schneekogel zu machen. In der Broschüre, die ihm Falk am Vortag gegeben hatte, war eine einfache Rundtour mit einer Dauer von vier Stunden beschrieben, das erschien ihm ein überschaubarer Ausflug zu sein. Der Berg selbst wurde mit einer Höhe von etwas weniger als 1.400 Metern ausgewiesen. Er nahm nicht viel Ausrüstung mit. Einen kleinen Rucksack mit einem Regenschutz, Wasser und einen Apfel.

      Dann machte er sich auf den Weg, verließ das Dorf am Nordende, fand hinter der Kirche den markierten Wanderweg, der durch den Wald auf den Schneekogel führte, und folgte ihm in gemächlichem Schritt. Er hatte es nicht eilig. Es war halb elf, er rechnete damit, spätestens um 15 Uhr zurück zu sein.

      Er war etwa eine halbe Stunde unterwegs, als ihm ein Reiter in leichtem Trab entgegenkam. Das verwunderte Radek, da er nicht vermutet hätte, dass auf einem Wanderweg Reitausflüge unternommen wurden. Der Weg stieg sanft an, war nicht

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