Finsterdorf. Peter Glanninger
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Gierling gab sich launisch, und Radek tat ihm den Gefallen und zeigte ihm ein belustigtes Grinsen. Auch Dully kicherte hinter seinem Computerbildschirm.
Gierling bevorzugte zwar Teamwork, aber er hatte keine Lust, die Zeit seiner Leute mit derartigen Kleinigkeiten zu verschwenden. Außerdem war es eine gute Gelegenheit, Radek für eine Weile zu beschäftigen und draußen zu haben. In Wirklichkeit war die ganze Sache lächerlich. Wenn hinter der Abgängigkeitssache keine Entführung steckte – und das sah bisher nicht so aus –, konnte das Bezirkspolizeikommando diese Geschichte erledigen. Der Satanismusverdacht klang ohnehin wie ein Scherz, vermutlich eine Fehleinschätzung der Kollegin.
»Ich habe dir einen Reiseauftrag für eine Woche genehmigt«, fuhr er fort. »Du wirst wahrscheinlich nicht so lange brauchen. Nimm dir am Montag ein Dienstauto. Du kannst die ganze Woche in Schandau bleiben, wenn nötig. Das ist ja eine Stunde Fahrt von hier. Zahlt sich nicht aus, jeden Tag hin und her zu pendeln. Melde dich zwischendurch bei mir und halt mich auf dem Laufenden.«
Er reichte Radek den Akt über den Tisch, Radek nahm ihn und widerstand der Versuchung, gleich darin zu blättern.
»Hast du noch Fragen?«
Radek schüttelte den Kopf. »Nein, momentan nicht.«
»Na dann: Viel Spaß in der Provinz.«
Gierling lächelte noch einmal unverbindlich, für ihn war das Gespräch beendet. Er verabschiedete sich und ging in sein Büro zurück.
»Radek, der Exorzist. Gehst du jetzt unter die Teufelsaustreiber?«, fragte Dully mit gackerndem Gekicher.
Radek gab ihm keine Antwort. Dully schien auch keine zu erwarten.
5.
Der Akt gab nicht viel her. Da war die Vermisstenmeldung, in der die Mutter, Anette Lindner, am 7. September, einem Samstag, gegen 18 Uhr in der Polizeiinspektion Gresten eine Anzeige erstattet hatte, weil ihre 17-jährige Tochter Bernadette nicht nach Hause gekommen war. Bernadette war am Vorabend weggegangen und sollte eigentlich am Samstag arbeiten. Sie war als Friseurlehrling im Salon Doleschal in Schandau beschäftigt. Nachdem sie am Samstagmorgen weder zu Hause noch bei der Arbeit aufgetaucht war, hatten sich die Eltern Sorgen gemacht und sie gesucht. Vergeblich allerdings, daher hatte die Mutter am Samstagabend die Anzeige erstattet.
Auch der Erhebungsbericht war erwartungsgemäß mager. Die Kollegin, die den Fall zuerst bearbeitet hatte, hatte herausgefunden, dass Bernadette am Freitagabend mit einer Freundin bis gegen 23 Uhr im Gasthaus »Falk« in Schandau gewesen war. Danach hatte sich Bernadette verabschiedet und wollte nach Hause gehen. Ihre Freundin war noch geblieben. Aber Bernadette war nie zu Hause angekommen.
Die Kollegin hatte den Akt übers Bezirkskommando ans LKA geschickt, das für diesen Fall zuständig war. Hier hatten zwei weitere Kollegen von Radek an der Sache gearbeitet, Andrea Bosch und Josef Hammer. Nicht sehr eifrig, wie Radek unschwer anhand der Unterlagen feststellen konnte. Sie hatten eine Suchaktion veranlasst und die Eltern, den Arbeitgeber sowie einige andere Leute im Ort, Freunde und Bekannte, befragt. Einhelliges Ergebnis: Niemand hatte gewusst, wo Bernadette Lindner war.
Daraufhin hatten sie die Sache auf sich beruhen lassen. Sie hatten den Akt zwar nicht abgeschlossen, ihn aber mangels brauchbarer Ermittlungsansätze auch nicht weiterverfolgt. Außer dass Bernadette Lindner in die Vermisstendatei im Polizeicomputer aufgenommen worden war, war nichts Bemerkenswertes mehr passiert. Es schien ihnen egal gewesen zu sein.
Mehr als eine Woche später, am Morgen des 15. September, einem Sonntag, war Bernadette plötzlich wieder daheim aufgetaucht. Die Eltern hatten telefonisch die Polizei verständigt und einer der Kollegen hatte die Vermisstenmeldung widerrufen.
Als die zuständige Beamtin der Polizeiinspektion Gresten am Tag darauf zu Bernadette gefahren war, um sie wegen ihres Verschwindens einzuvernehmen, hatte das Mädchen verwirrt, geistesabwesend, verstört und verängstigt gewirkt. Auf die Frage, wo sie gewesen sei, hatte sie keine zufriedenstellende Auskunft gegeben, sondern erklärt, dass der Teufel sie geholt habe und sie bei ihm gewesen sei. Sie hatte sich aber geweigert, weitere Details zu erzählen. Der erbärmliche Zustand des Mädchens und ihr Beharren auf der Teufelsversion waren für die Kollegin ausschlaggebend gewesen, um einen satanistischen Hintergrund zu vermuten, und sie hatte das Landesamt für Verfassungsschutz eingeschaltet.
Die Leute vom LV fühlten sich zu Recht verarscht. Mit der süffisanten Bemerkung, dass sie nach Auflösung des Sektenreferats nicht mehr über die nötige Fachkenntnis verfügten, um den Sachverhalt qualifiziert beurteilen zu können, übermittelten sie den gesamten Akt zur weiteren Veranlassung ans LKA. Aus dem Anschreiben triefte der blanke Hohn.
Radek stöhnte. Das alles war purer Schwachsinn. Eine Jugendliche reißt von Zuhause aus, macht irgendwo Party, hängt mit irgendwelchen Typen ab, und als ihr die Kohle ausgeht, kommt sie zurück und faselt eine blöde Entschuldigung, damit ihr die Eltern vor Zorn nicht den Hals umdrehen. Und alle fallen auf dieses Gerede herein. Jetzt kommt das Landeskriminalamt und beginnt zu erheben. Das ist, als würde man einen Zeitungsdieb am Sonntag mit einem Einsatzkommando der »Cobra« festnehmen.
Was sollte Radek dort machen? Sich die Geschichte noch einmal anhören und dann feststellen, ob im Ort Satanisten am Werk waren? Mit dem, was er in der Hand hatte, würde er sich dabei nur lächerlich machen, sonst nichts. Jetzt war ihm auch klar, warum ihm Gierling diesen Job gegeben hatte. Kein alteingesessener Kriminalbeamter im LKA hätte sich freiwillig auf diese Scheiße eingelassen. Aber so war es. Auftrag ist Auftrag – wahrscheinlich würde er keine zwei Tage dafür brauchen.
Radek machte sich nichts vor. Seine Tätigkeit hier war nur ein Alibijob, um ihn ruhigzustellen. Den ganzen Sommer über saß er schon in seinem Büro und machte den Papierkram, vor dem sich die anderen drückten. Hätten sie keine Espressomaschine mit Kapseln gehabt, sondern eine Filtermaschine wie in früheren Tagen, hätten sie ihn wahrscheinlich auch zum Kaffeekochen eingeteilt, vermutete er. Eigentlich hätten sie eine Sekretärin gebraucht, keinen Kriminalbeamten.
Jedenfalls fühlte sich Radek hier wie lebendig begraben. »The pit and the pendulum« von Edgar Allan Poe fiel ihm häufig ein, wenn er am Schreibtisch saß – in seinem Fall in einer leichten Abwandlung: das Büro und das Pendel. Die immer niedriger werdende Decke der Gefängniszelle aus der Erzählung traf seine realen Empfindungen ziemlich genau.
Er brauchte etwas Sinnvolles zu tun.
Er hatte viel Zeit zum Nachdenken, deshalb war in ihm in den letzten Wochen der Entschluss gereift, neben dem Job noch etwas ganz anderes zu machen und ein Studium zu beginnen. Es war zuerst nur ein kleiner Gedanke gewesen, der sich aber hartnäckig festgesetzt hatte, ein Samenkorn, das zu keimen begann, aus dem ein Pflänzchen wuchs. Früher, nach dem Gymnasium, war das für ihn nie eine Option gewesen, doch je mehr er darüber nachdachte, desto reizvoller erschien ihm dieser Gedanke.
Geschichte hatte ihn immer schon interessiert. Warum sollte er es nicht studieren? Er hatte sich informiert und schließlich war ihm klar geworden: Er würde es tun. Er hatte keine Ahnung, ob er das mit Studium und Job auf die Reihe kriegen würde. Aber er wollte es versuchen. Er könnte sich seinen Dienst so einteilen, dass es ihm möglich war, zweimal pro Woche nach Wien an die Uni zu fahren. Mit dem Zug war das keine große Sache. Eine halbe Stunde Fahrt. Er war schneller in Wien als zu Hause.
Vor einer Woche