Finsterdorf. Peter Glanninger
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Sie warteten, bis die Letzte der Alten vorne am Altar ihr Vaterunser heruntergebetet hatte und danach mit schlurfenden Schritten aus der Kirche verschwunden war.
Einer der beiden kniete sich in den Beichtstuhl. Es roch modrig und ein bisschen nach Weihrauch.
»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes«, hörte er den Pfaffen sagen und konnte durch das rautenförmige Holzgitter sehen, wie der Alte ein Kreuz schlug.
»Vater, ich habe gesündigt«, begann er unaufgefordert zu reden.
»Und worin bestehen deine Sünden, mein Sohn?«
»Ich habe eine verheiratete Frau gefickt«, sagte er. »Und es hat mir Spaß gemacht und ihr auch, und jetzt denke ich ständig darüber nach, wie ich ihren Alten kaltmachen kann. Dafür möchte ich Absolution.« Er konnte förmlich spüren, wie es dem Pfaffen die Sprache verschlug. Bevor sich der Alte wieder gefangen hatte, fuhr er fort: »Ihr seid doch an das Beichtgeheimnis gebunden, Vater, nicht wahr?«
»Ja«, stammelte der Priester und fügte hinzu: »Was du mir da erzählst, ist ungeheuerlich.«
Doch der Mann ließ ihn nicht mehr weiterreden. »Halt den Mund, Pfaffe! Und hör mir gut zu: Vor einigen Tagen ist mit der jungen Lindner etwas Komisches passiert.«
Jetzt blickte der Pfarrer das erste Mal hoch, er wollte sehen, wer ihm im Beichtstuhl gegenübersaß. Aber der Mann war maskiert. Der Pfarrer spürte Entrüstung und Zorn, die seinen ersten Schrecken verdrängten. »Was fällt dir ein«, empörte er sich, kam jedoch nicht weiter.
»Schnauze«, schnitt ihm der Besucher das Wort ab. »Ich hoffe, das, was du mit ihr gemacht hast und was du ihr gesagt hast, fällt unter das Beichtgeheimnis, so wie es sich gehört. Sonst könnte möglicherweise noch mehr passieren.«
»Das höre ich mir nicht länger an. Wenn du nichts zu beichten hast, dann verlass meine Kirche.«
»Einen Dreck werde ich tun. Hast du verstanden, was ich dir gesagt habe?«
»Aus – kein Wort mehr«, sagte der Priester und wollte den Beichtstuhl verlassen. Als er die schmale Holztür öffnete, stand ein anderer Mann vor ihm, ebenfalls mit einer schwarzen Sturmhaube maskiert. Dieser Mann drängte ihn zurück auf seinen Sitz.
»Was fällt euch ein? Ihr Teufelsbrut!«, protestierte der Pfarrer erneut.
»Halt dein Maul!«
Ein Messer kam zum Vorschein und die Klinge funkelte matt im düsteren Zwielicht der Kirche. Der Pfarrer hatte Angst. Eine kräftige Hand packte ihn am Hals, die Messerspitze war gefährlich nahe an seinem Auge.
»Wenn so etwas wie mit der Lindner noch einmal vorkommt, schneiden wir dir deine Ohren ab oder vielleicht was anderes«, drohte der Mann im Beichtstuhl. »Und wenn nur ein Wort von dem, was dir die Kleine erzählt hat, nach außen dringt, auch. Hast du kapiert?«
Der Pfarrer nickte mit bleichem Gesicht.
»Schön, dann war’s das. Bete ein Vaterunser für mich und vergib mir meine Sünden – Amen!«
Die beiden Maskierten verschwanden wie ein böser Spuk.
7.
Mit dem Weg veränderte sich auch die Landschaft. Nach der Autobahn dominierten zunächst noch größere Städte mit Industrieanlagen, Einkaufparks und Autohändlern an den Stadträndern und langen Geschäftszeilen im Zentrum. Hohe Wohnhäuser prägten die Stadtbilder, die typischen Bauten der Genossenschaften, umrahmt von Wohnsiedlungen mit Einfamilienhäusern.
Seit Radek auf die Bundesstraße abgefahren war, verfolgten ihn großflächige Werbeplakate mit lachenden und vergnügten Menschen. Wanderer in grünen Bergwelten, einmal dynamisch über einen Bach setzend, ein andermal rastend und voller Ehrfurcht die Landschaft bewundernd und alles versehen mit dem in leuchtendem Gelb gehaltenen Titel »Wanderbares Niederösterreich«.
Dann wurden die Ortschaften kleiner, die Häuser niedriger. Die Berge rückten näher an die Straße, gewannen an Höhe und zeigten sich dicht bewaldet. Anstelle der Industrieanlagen waren nun holzverarbeitende Betriebe zu sehen. Sägewerke mit weit ausladenden Holzplätzen oder Zimmereien und Tischler. Die Lokale verloren ihren mondänen Charakter, waren nicht mehr Restaurants, sondern Gasthäuser, nicht mehr Cafés, sondern Konditoreien. Die Werbetafeln wurden spezifischer. Nicht mehr das ganze Bundesland wurde angepriesen. Die regionalen Ausflugsziele gewannen an Bedeutung. »Erlebniswelt Ötschergräben« konnte er auf einer Tafel lesen und wenige Kilometer weiter: »Ski- und Wanderparadies Hochkar«.
Die Straße zog sich in sanften und langen Kurven durch das Tal, folgte dabei dem Lauf eines Flusses und querte ihn immer wieder, sodass er einmal zu Radeks Linken floss und wenig später zu seiner Rechten.
Der Altweibersommer zeigte sich von seiner schönsten Seite, schenkte den Menschen noch einige Tage sommerlicher Wärme und ließ die Wälder in zarten Rottönen, in Gelb und Ocker leuchten.
Als er die Hinweistafel mit der Aufschrift »Wanderarena Schandau« sah, wusste Radek, dass er am Ziel war. Aber das hätte er auch ohne diese Hilfe bemerkt, denn das Erste, was ihm auffiel, war eine Burg, die linker Hand auf einer felsigen Anhöhe über dem Ort thronte wie der düstere Wächter eines Feldlagers. Die Burg selbst schien nicht allzu groß, keine stattliche Festung. Die Anlage wurde von einem gedrungenen, jedoch mächtig wirkenden Bergfried dominiert, der ihr einen bedrohlichen Charakter verlieh, flankiert von schroffen, hoch aufragenden Mauern mit Wehrgängen, schnörkellos, ohne Türmchen oder Erker.
Am Fuße der Burg präsentierte sich Schandau wie erwartet als ein kleiner, überschaubarer Ort. Die Hauptstraße führte zum Zentrum. Der Hauptplatz war ein längliches Oval, mit einer Grünfläche und drei großen Laubbäumen in der Mitte. Darunter standen mehrere Sitzbänke. Am hinteren Ende beherrschte eine gotische Kirche den Platz, an der breitesten Seite stand ein massiges Rathaus.
Rundum fädelten sich Geschäfte auf, ein Wirtshaus, eine Bäckerei, eine Tabak-Trafik, eine Papier- und Schreibwarenhandlung, eine Konditorei, ein Friseur, ein Kaufhaus und ein weiteres Wirtshaus.
Einige der Häuser machten den Eindruck, als wären sie ebenfalls Überbleibsel aus der gotischen Hochblüte oder der frühen Neuzeit, jedenfalls schienen sie sorgsam restauriert worden zu sein und bildeten ein traditionelles Ensemble mit altmodischem Charme. Neuere Gebäude fügten sich perfekt in die Gebäudefront.
Radek gefiel die altmodische Bescheidenheit, die von diesem Hauptplatz ausging. Es kam ihm vor, als sei die Zeit stehen geblieben, sogar die Aufschrift »Kaufhaus« schien aus vergangenen Jahrzehnten in die Gegenwart gerettet worden zu sein. Es überraschte ihn, dass sich hier bisher keine Lebensmittelketten oder Drogeriemärkte angesiedelt hatten. Vielleicht war der mögliche Kundenkreis zu klein für die großen Konzerne.
Ein idyllisches Plätzchen am Ende der Welt, dachte Radek. Das war ein Ort für gestresste Manager, um ein paar Tage abzuschalten und zu verhindern, dass sie ins Burn-out kippten. Oder für Schriftsteller, die eine ruhige Ecke suchten, um ihren nächsten Roman zu schreiben. Aber sicher nicht, um hier zu leben. Und schon gar nicht, um hier als Jugendliche aufzuwachsen. Er verstand plötzlich, dass Bernadette abgehauen war, um in der Stadt einen draufzumachen.