Bayerische Hinterhand. Dinesh Bauer
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Reimers blickte erneut auf die Uhr, das war vor einer Dreiviertelstunde gewesen. »Woher kam der Anruf, wissen wir das wenigstens?«
»Aus einer Telefonzelle am Bahnhof in Raubling.« Raubling? Das war mindestens 10 Kilometer von Grainbach entfernt. Der Kommissar fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung durch sein noch dichtes, mahagonibraunes Haupthaar. Langsam wurde es kompliziert: ein Geländewagen unten am Gasthaus, ein SUV oben bei der Kirche. Wie passte das zusammen? Es war unwahrscheinlich, dass ihnen der Nobelhobel oder der Furchenflitzer ins Netz ging – dafür war die Beschreibung zu unpräzise. Nur um auf Nummer sicher zu gehen, brummte er: »Und – haben wir eine Meldung hereinbekommen?«
Duroc hob ihre schön geschwungenen, rostbraun gefärbten Brauen: »Rien, Chef, malheureusement. Sämtliche Streifenwagen wurden umgehend alarmiert, Kontrollstellen an den Ausfallstraßen eingerichtet, die Verkehrsüberwachungscams im fraglichen Bereich haben alles aufgezeichnet. Nur ist nirgends ein SUV, auf den die Beschreibung passt, aufgetaucht. Und Tiroler Kennzeichen, nun ja, die sind bei uns zu Hunderten unterwegs.«
Reimers zuckte mit den Achseln: »Merci, Duroc, gut gemacht. Am Ende rast unser Freund in eine Radarfalle.«
Ein spöttisches Lächeln lag auf den nur leicht geschminkten Lippen seiner Junior-Partnerin. »Schön wär’s! Laisser pisser le mérinos.« Er würde Knittelbeck vorschlagen, die Errichtung einer Soko »Friedhof« oder »Kastanien-Killer« in Betracht zu ziehen. Sollte sich der Staatsanwalt darum kümmern, die notwendigen richterlichen Beschlüsse einzuholen und einige Leute zusätzlich auf den Fall anzusetzen. Arbeit würde es genug geben, sie würden das Zentrale Fahrzeugregister, das ZFZR des Kraftfahrt-Bundesamts, nach einem metallic-silbernen SUV der Marken BMW und Audi durchkämmen müssen. Knittelbeck würde auf der Suche nach einem in Tirol zugelassenen Allrad-Kübel bei den österreichischen Kollegen um Amtshilfe nachsuchen müssen – die würden sich bei den Piefkes bedanken. Doch der Staatsanwalt konnte warten. Ganz oben auf der Prio-Liste stand jemand anders: Fritz Orterer, der Herr der Unterwelt.
Die Ortsnetzstation mit der TH-Nummer 408158 hatte den Netzbetrieb eingestellt. Der Strom war weg – und mit ihm das Summen und Brummen. Eine verirrte Kugel hatte das elektronische Herz der Schaltanlage getroffen. Es hatte einen Kurzschluss gegeben und die Fertigbetonplatten des Häuschens hatten sich mit lautem Getöse in ihre Bestandteile zerlegt. Kiloschwere Betonbrocken lagen verstreut auf Feld und Flur. Zu Schaden gekommen war – der Jungfrau Maria sei Dank – niemand. Nur auf der angrenzenden Weide war eine werdende Muh-Mutter von einem Splitter am Gesäß getroffen worden. Heute würde wohl nur gestöckelte Milch aus ihrem Euter tröpfeln. »Klassischer Kollateralschaden, Herr Hauptkommissar«, konstatierte der zur Bewachung des Unglücksorts abgestellte Beamte. Den Schulterklappen nach war der rotwangige Gebirgs-Gendarm Polizeiobermeister. Dienstbeflissen lüpfte er das rot-weiß-rot gestreifte Flatterband – und Reimers schlüpfte unten durch. »Wissen Sie, wo der Leiter der Spurensicherung steckt, taucht er noch irgendwo hier herum?«
Der Mann in Grün zog vielsagend die Augenbrauen hoch: »Volles Programm. Das wird heut’ spät! Meinen Stammtischabend kann ich vergessen.«
Reimers blinzelte dem mindestens 1 Meter 95 messenden Hünen zu. »Mir geht heute ein Chablis Premier Cru mit blumigem Bouquet durch die Lappen. Und mit dem Sundowner an der Alm-Bar wird es erst recht nichts.«
»C’est la vie. Bis ich heimkomme, liegt meine Freundin auf der Couch und schnarcht gemütlich vor sich hin. Und nix wird es mit der wilden, zügellosen Sexorgie.« Der Polizist lachte glucksend – irgendwie war ihm der Bursche, der in seiner schlecht sitzenden Uniformjacke und den zu kurz geratenen Hosenbeinen nicht gerade eine »bella figura« machte, sympathisch. Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, umkreiste Reimers das bis auf die Grundmauern zerstörte Gebäude im weiten Bogen. Die Entfernung zwischen dem Friedhof und der Trafo-Station, die jenseits der schmalen Straße lag, betrug Pi mal Daumen 70, höchstens 80 Meter. Der Schuss könnte also von dort drüben gekommen sein und einem fliehenden Fahrzeug gegolten haben. Doch die Kugel hatte ein anderes, unbewegliches Ziel gefunden. Reimers zwängte sich durch eine buschige Hecke und besah sich das Trümmerfeld aus der Nähe. Einer der beiden Schutzanzugträger wühlte geschäftig in dem wirren Durcheinander aus Schalttafeln, Verteilerkästen und bunten Kabelsträngen herum. Alles, was nur entfernt nach einem Beweisstück aussah, wanderte in einen Plastikbeutel mit Zip-Verschluss. Jedes Tütchen bekam einen Aufkleber, der steckbriefartige Informationen zu Fundort und Art des Beweisstücks enthielt. Die andere Gestalt von eher kleinem, um nicht zu sagen zwergenhaftem Wuchs kratzte mit einem spitzen Gegenstand, einem Schraubenzieher oder Stechbeitel, an einem verbogenen Kunststoffblech herum. Unter dem maßgefertigten Schutzanzug zeichnete sich die Wölbung eines stattlichen Ranzens ab, der darauf hindeutete, dass der Spurensucher kein Kostverächter war. Das Zwetschgenmandl, wie man kleinwüchsige Männer hierzulande abklassifizierte, war niemand anders als der Leiter der Kriminaltechnik, Fritz Orterer. Dieser wandte sich an seinen ihn um zwei Köpfe überragenden Kollegen und deutete mit kurzen Stummelärmchen aufgeregt auf einen unförmigen Mauerbrocken, unter dem irgendein Plastikteil begraben lag. Hatte sein Luchsauge etwas erspäht?
Es war Zeit, an die Pforten der Unterwelt zu pochen. Er kletterte über einen Schuttberg und stützte sich am Skelett der Außenmauer ab. »Schönen Abend, na, pickt ihr euch die Rosinen aus dem Gugelhupf? Was gefunden?«
Orterer blickte überrascht vom Objekt seiner Begierde auf – ein Lächeln huschte über seine Wulstlippen. »Nur ein paar zerdepperte Überreste der Belüftungsklappen.« Wie ein Reck-Turner schwang er seine Bonsai-Beinchen über den Betonklumpen und hob die behandschuhte Rechte. Die Haube des Schutzanzugs klappte nach hinten und darunter kam ein, vom Haarkranz am Hinterkopf abgesehen, kahler Schädel zum Vorschein. Der Zwillingsbruder von Danny de Vito war sichtlich erfreut, ihn zu sehen. »Ah, Herr Kommissar. Welch Glanz in meiner bescheidenen Hütte. Was führt Sie zu mir?«
Reimers machte ein überraschtes Gesicht: »Die Pflicht, was sonst! Die Wahrheit ist’s, die ich zu ergründen suche!«
Orterers Adamsapfel hüpfte vergnügt auf und ab. »Un peu de patience, die Nornen spinnen noch an des Schicksals Fäden.« Ehe Reimers reagieren konnte, schob der Gnom sein Kinn vor. »Sie wollen wissen, wie ich die Sache sehe, deswegen kriechen Sie hier im Dreck herum, erraten?«
Wie ein überführter Missetäter kratzte sich der Kommissar an einer schorfigen Stelle am Hinterkopf. »Eine Rekonstruktion des Tathergangs wäre schon hilfreich.«
»Nun denn.« Der Bericht des Spuren-Spezis war eine Aneinanderreihung kurzer,