Bayerische Hinterhand. Dinesh Bauer
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»Na. Da ist niemand, die hocken bei dem Wetter alle im Biergarten!« Wie im Lehrfilm für angehende Guerilla-Kämpfer hoppelten sie in geduckter Haltung durch den dunklen Tann. Die kurzläufige Waffe baumelte wie ein überdimensioniertes Amulett vor seiner Brust. Sepp war schweißgebadet, die schüttere Haarpracht klatschnass.
»Wieso ziehst du eigentlich das kracherte Trikot vom SV Tacherting nicht aus? Der Fetzen leuchtet doch wie eine Signalrakete«, stichelte Sonnleitner.
»Rot wirkt auf Frauen anziehend, du Bauernrammel. Eine männliche Farbe, die Mut, Opferwille und Macht ausstrahlt.« Mut und Macht – Sepp hätte am liebsten losgelacht. Wieso machte er nicht einfach kehrt – und überließ dem »Full Metal Man« das Feld? Rabensteiner war reif für Gabersee. Für die Diagnose brauchte man kein Psycho-Diplom.
Zugegeben: Rabensteiners Schlachtplan war simpel, aber hatte Hand und Fuß: von der Flanke her attackieren, den Gegner einkesseln und eliminieren. »Wir machen das wie der Napoleon bei Austerlitz«, hatte er vollmundig posaunt. Sepp hegte indes Zweifel bezüglich der taktischen Umsetzung. Ein Hohlweg trennte das bewaldete Gelände hinter, von der Viehweide vor ihnen. Die üppig wuchernden Büsche am Feldrain gewährten ihnen vorerst Sichtschutz. Rabensteiners Blick war nach vorne, auf ihr Angriffsziel gerichtet: »Da hockt der Feind. Zumindest ist er da gesessen.« Die Greinbacher Kirche machte sich auf einem lang gezogenen Wiesenbuckel breit. Bis zur Umfassungsmauer des Friedhofs, die, einer keltischen Wallanlage gleich, das Hügelplateau umgab, waren es 150 Meter. Durch offenes Gelände wohlgemerkt. Die Sonne verabschiedete sich langsam in den Feierabend, die Holzpflöcke des Weidezauns warfen lange Schatten. Ein friedliches Idyll: dottergelbe Frühlingsblumen, eine weichselbraungescheckte Rinder-Rotte, die sich durchs grüne Gras mümmelte. Die Glöckchen unter den faltigen Hälsen der Muh-Madonnen bimmelten vergnügt. Sepps Mund verzog sich zu einem schmalen Strich: »Du kennst doch den Film ›Gettysburg. 1863 – Pickett’s Charge‹. So kommt mir das hier vor. Jeder Blinde mit Ladestock nietet uns da draußen um.«
Rabensteiner entblößte eine Reihe fleckiger Zähne, die in maroden Molaren endete. In puncto Dentalhygiene lag da einiges im Argen. Kein Wunder, dass die Mädels nicht so recht anbissen. »Wir sind in Grainbach, nicht in Gettysburg. Wirst sehen, das klappt.« Rabensteiner strich sein rotes Laiberl glatt. Zur Not würde er selbst einem wütenden Stier die Stirn bieten.
Sonnleitner war ein gewiefter Hund, ein körndlgefütterter Isar-Irokese. Um ihr Ziel ungesehen zu erreichen, bediente er sich einer alpenindianischen Kriegslist. Auf leisen Sohlen schlichen sie durch die friedlich grasenden Bayern-Bisons. Die rindsrouladenförmigen Wänste boten den beiden »Kriegern« Deckung. Unaufhaltsam näherten sie sich dem Findlingsfelsen, der die keilförmig vorspringende Südecke des Friedhofs markierte. Doch auf den letzten Metern gab es keinerlei Deckung, keinen Baum, keinen Strauch, keine Kuh. »Und was machen wir jetzt, du Schlauberger?«, knurrte Rabensteiner.
Sepp suchte sein Heil als »Büffel«-Beschwörer: »Da vorn, schau, das grüne Graserl. Mmmh, fein, gutti, da gehst hin, gell!« Ein bayerisches Rindvieh ließ sich jedoch kein X für ein U vormachen. Das kurze, kümmerliche Gras, von Unkräutern und Disteln durchsetzt, lockte keine Kuh hinterm Heuballen hervor.
Rabensteiner knuffte den glücklosen Fleckviehflüsterer in die Weichteile: »Lass gut sein. Die Rindviecher sind so blöd ned, wie du Hornochs meinst. Ich sag: Riskieren wir’s!«
»Da rüber, ohne die geringste Deckung? Na, ohne mich. Taktischer Rückzug, sag ich.«
Rabensteiner bedachte ihn mit einem vernichtenden Seitenblick: »Von mir aus, checken wir erst die Lage.« Er warf sich der Länge nach ins Gras und lugte unter den prall gefüllten Eutern durch: »Da drüben rührt sich nix, schau selber.«
»Das ist ja gerade verdächtig! Eine unachtsame Bewegung – und piffalapuff. Abflug, sag ich«, raunzte Sepp.
Rabensteiner war nicht gewillt, klein beizugeben: »Wie denn? Keiner rechnet mit uns, das Überraschungsmoment ist auf unserer Seite. Du sprintest zu den Mäuerchen, ich geb dir Feuerschutz!« Ehe Sepp weitere Einwände geltend machen konnte, beendete Rabensteiner kurzerhand die Diskussion: »Jetzt hab dich nicht so, du Memme. Dir passiert schon nix.« Rabensteiner nahm die Mauer ins Visier und entriegelte den Sicherungshebel. »Los!«
Er riss die Waffe hoch und stanzte ein unregelmäßiges Lochmuster in den Abendhimmel. Sepp nahm seine kurzen Beine in die Hand und rannte um sein Leben. Jeden Moment vermeinte er, von einer Feuergarbe in Stücke gerissen zu werden. Doch niemand nahm ihn aufs Korn. Urplötzlich ließ der dumpfe Schlag einer Detonation den Boden unter seinen Füßen erbeben. Sonnleitner tauchte nach unten weg und legte eine bildsaubere Bauchlandung in einem frisch verlegten Kuhfladen hin. »So eine Scheiße, so eine verdammte«, fluchte er wie ein Fichtenfiaker. Das würde Ärger zu Hause geben, war sein erster Gedanke. Sein zweiter war, dass jemand eine Sprengladung zur Explosion gebracht hatte, um alle verräterischen Spuren des Anschlags zu beseitigen. Er hatte es geahnt, hatte die Gefahr gerochen! Rabensteiner, dieser trottelige Trotzkopf! Die Angst verlieh ihm Flügel.
Mit zwei, drei katzengleichen Sprüngen erreichte er seinen Mitstreiter, der mit dem Gewehr im Anschlag wie angewurzelt dastand. »Da droben ist alles ruhig, ha? Was ist denn dann bittschön grad’ in die Luft geflogen?«
Rabensteiner sah ihn mit dem wilden, wirren Blick eines Paranoikers an. »Es geht um uns, um unsere Heimat, verstehst? Das ist was Politisches! Der Ehgartner, ein eingefleischter Patriot, ein Wortführer der nationalen Bewegung, und jetzt – schau hin!« Sein Waffengefährte bewegte sich ruckartig wie eine mechanische Puppe. »Ein Fanal! Diese Volksverräter sprengen unser Oberländler-Denkmal.« Instinktiv fuhr Sonnleitner herum. Tatsächlich – eine dunkle Rauchsäule stieg zum weiß-blauen Himmel empor. Hatte ein Terrorkommando den bayerischen Löwen in die Luft gejagt? Vor gut hundert Jahren, noch zu Lebzeiten des Prinzregenten, hatte man zum Gedenken an die Gefallenen des Bauernaufstands anno 1705 ein Ehrenmal errichtet – dort, wo einer der Anführer des Aufstands, der legendäre Schmied von Grainbach, begraben lag. Seitdem thronte ein überlebensgroßer, in Kupfer getriebener Löwe auf einem Sockel aus Steinquadern. Den schwermütigen Blick in die Ferne, gen München gerichtet. Bei der Sendlinger Pfarrkirche waren die Oberländler Bauern in jener Blutweihnacht vor über 300 Jahren regelrecht abgeschlachtet worden. Von säbelschwingenden Mordbuben, in Österreichs Sold. Rabensteiner murmelte wie in Trance: »Dreinschlagen sag ich, die gehören plattgemacht, allesamt …!«
Sonnleitner brüllte ihn Löwen-like an: »Bist jetzt komplett plemplem? Steht die Rauchsäule etwa über dem Friedhof? Nein, sondern über Schönrain. Reiß dich gefälligst am Riemen! Wenn wir nicht sofort von hier verschwinden, machen die Achter klick und wir hocken als Tatverdächtige in U-Haft!«
Die braven Muh-Maiden deckten – ohne auch nur einmal Muh oder Mäh zu machen – ihren Rückzug. Kaum war der erste Schreck verflogen, widmete sich die Damenwelt wieder ihrer Lieblingsbeschäftigung, dem Fettwerden. Sonnleitner entstammte einer weit verzweigten Bauernsippe, daher war er mit den Gewohnheiten der Wiederkäuer bestens vertraut. Mit gutturaler Stimme gurrte er: »Ruhig, Liesl, brav, Rosl, fein, Fleckerl.« Endlich hatten sie das schützende Wäldchen erreicht. Wie eine Kuppel spannte sich ein dichtes Nadelnetz über ihnen. Über denselben Weg, den sie gekommen waren, ging es im Ferkelgalopp bergab. Von fern heulten schon die Martinshörner. Mit Tatütata kam die Blaulicht-Kolonne angerauscht. »Wir müssen uns genau überlegen, was wir aussagen.« Rabensteiner klang kleinlaut: »Da darf es keine Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten geben.« Bei einem Mord dieses Kalibers würde die Kripo schweres Geschütz auffahren. Sie würden ein wasserdichtes Alibi brauchen – und zwar für die Zeit nach der Mordtat. »Unterm Rücksitz hab ich einen Fünfliterkanister gebunkert. Kerschgeist, selbst gebrannt, nur für Notfälle, weißt,