Der letzte Prozess. Thomas Breuer

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Der letzte Prozess - Thomas Breuer страница 10

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
Der letzte Prozess - Thomas Breuer

Скачать книгу

hoch, von der zerquetschte Fingerreste herabbaumelten, und deutete auf die blau angelaufenen Einblutungen am Handgelenk. »So etwas kennen wir sonst nur von den Fixierungen in psychiatrischen Anstalten. Das Opfer hat heftig an den Fesseln gezerrt, möglicherweise während es geprügelt wurde. Entsprechend finden sich in den Wunden an Hand- und Fußgelenken Lederpartikel, die aber auch erst noch genauer untersucht werden müssen.« Stukenberg ließ diese Erkenntnisse einen Moment im Raum stehen, als wollte er sicher sein, dass Lenz sie auch vollständig verarbeitet hatte, bevor er fortfuhr: »Kommen wir nun zur Tatwaffe: Der Stein ist etwa fünfzehn Kilogramm schwer und trägt ein paar Fingerabdruckfragmente, die ausschließlich vom Opfer stammen. So viel konnten wir aus den zertretenen Fingern noch abnehmen.«

      »Moment«, unterbrach Lenz, »heißt das, das Opfer hat den Stein selbst an den Tatort getragen?«

      »Genau das heißt es«, bestätigte Stukenberg. »Sofern wir nicht davon ausgehen wollen, dass die Abdrücke entstanden sind, als er sich selbst erschlagen hat.« Der Rechtsmediziner lachte trocken auf. »Und jetzt halten Sie sich fest, denn es kommt noch dicker: Der Stein stammt eindeutig vom Berghang unterhalb der Burg. Das Opfer hat ihn den ganzen Weg hinaufgeschleppt, was für einen Mann in dem hohen Alter eine fast übermenschliche Anstrengung gewesen sein muss. Allerdings hat er das nicht freiwillig gemacht. In der Zusammenschau mit den anderen Wunden liegt es nahe, dass er von Peitschenhieben den Weg hinaufgetrieben worden ist. Oben hat er den Stein dann fallen gelassen und ist selbst einige Minuten vor der Burgmauer am Boden liegen geblieben. Die Blutlache dort belegt das. Doch dann ist er auf allen vieren an der Mauer entlang bis zum späteren Auffindeort der Leiche gekrochen. Der Stein ist folglich vom Täter hinterhergetragen worden. Es finden sich schwarze Glattlederreste darauf, was auf Handschuhe hindeutet. Am Ende der Mauer hat der Täter dem Opfer in der vorhin beschriebenen Weise die Hände zermalmt und ihm zum guten Schluss den Stein aus etwa zwei Metern Höhe auf den Kopf geworfen. Wenn wir davon ausgehen, dass es sich nicht um einen Riesen gehandelt hat, der den Brocken aus zwanzig Metern Höhe fallen gelassen hat, hat er ihn über seinen Kopf gehoben und dann mit Schwung nach unten geschleudert. Blutspritzer und Gehirnmasse waren rundherum auf dem Kopfsteinpflaster und an der Mauer verteilt. Man kann das wohl letztlich als Hinrichtung bezeichnen.«

      Ein paar Minuten blieb es still zwischen Stukenberg, Lenz und Gina Gladow. Zu fürchterlich waren die Schilderungen des Leidensweges selbst für die beiden diensterfahrenen Männer. Wie traumatisch mussten sie also erst für die junge Kommissarin sein?

      Entsprechend erstaunt war Lenz, als ausgerechnet sie sich als Erste wieder zu Wort meldete, und das auch noch in einem vollkommen unbeeindruckten Tonfall: »Können Sie uns noch etwas über die Bedingungen während der mehrtägigen Folter sagen?«

      Stukenberg nickte. »Der Mageninhalt muss noch untersucht werden, aber viel hat der alte Mann nicht zu essen bekommen. Es gibt Anzeichen von beginnender Auszehrung. Nur mit Wasser ist er offenbar gut versorgt worden, sonst hätte er die Tortur den Berg hinauf nicht geschafft.«

      »Keine Hinweise auf den Ort, an dem er gefangen gehalten wurde?«

      »Nein.«

      »Habt ihr euch die alte Mühle unterhalb der Burg an der Alme näher angesehen?«

      »Haben wir. Nichts.«

      »Gibt es Besonderheiten bei der Kleidung?«, klinkte sich Lenz wieder ein, dem die Befragung des Mediziners zu sehr an sich vorbeilief.

      »Übliche Straßenkleidung eines Herrn gehobenen Alters: eine beigefarbene Stoffhose von Gardeur, dunkelbraune Strümpfe von Seidensticker, hellbraune Halbschuhe von Clarks, ein weißes Oberhemd von Boss. Sehr gediegen, das alles.«

      »Gehobene Preislage also«, stellte Lenz fest. »Kein Sakko oder Mantel?«

      »Wir haben nichts dergleichen gefunden.«

      »Bei der Kälte heißt das, dass das Opfer von seinem Gefängnis direkt zur Burg gebracht worden sein muss«, schloss Gina Gladow.

      Lenz nickte.

      »So, das war’s«, beendete der Rechtsmediziner abrupt das Gespräch und gab seinem Gehilfen, der die ganze Zeit über schweigend abseits gestanden hatte, ein Zeichen, mit der Arbeit fortzufahren. »Mehr kann ich im Moment noch nicht sagen. Alles Weitere entnehmt ihr dann meinem Bericht.«

      »Eine letzte Frage noch«, sagte Lenz. »Gibt es irgendwelche besonderen Kennzeichen, die uns bei der Identifikation des Mannes helfen könnten?«

      »Nein.« Stukenberg zuckte bedauernd mit den Schultern. »Das heißt, eine Narbe haben wir gefunden, die nicht von den Misshandlungen stammt. Sie ist einige Jahrzehnte alt und befindet sich auf der Innenseite des linken Oberarms. Da muss dem Mann mal etwas wegoperiert worden sein. Ob Ihnen das allerdings weiterhilft, weiß ich nicht. Die Stelle ist nur sichtbar, wenn man besonders darauf achtet.«

      »Vielen Dank, Herr Stukenberg.« Lenz war ehrlich beeindruckt. »Das war weit mehr, als in der Kürze der Zeit zu erwarten war.«

      »Jederzeit wieder«, entgegnete der Gerichtsmediziner. »Man freut sich ja, wenn man nicht immer nur Nullachtfünfzehn-Leichen auf den Sektionstisch bekommt. – Und grüßen Sie den Kollegen Schröder von mir.«

      Das Lachen des Mannes schien noch im Raum zu hängen, als die Kriminalbeamten bereits auf dem Weg nach draußen waren.

      7

      Den Vorgarten des eingeschossigen Flachdach-Bungalows in der Max-Planck-Straße im Hammer Stadtteil Berge konnte man ohne Übertreibung als die Visitenkarte des eintausend Quadratmeter großen Grundstücks bezeichnen. Allerdings war keine Horde von Gärtnern durch die Anlagen gerobbt und hatte sie akribisch von jedem unerwünschten Pflänzchen befreit, sondern Fabian Hellers Mutter hatte hier einen fast zwanghaften Gartenarbeitstrieb ausgelebt und dem Unkraut den Kampf angesagt. Dabei hatte sie die Haut der Erde immer wieder aufs Neue mit der Harke aufgekratzt und sich arbeitserleichternde Hilfsmittel wie etwa Rindenmulch verbeten. Nun aber, sechs Wochen nach ihrem Tod, deutete das ungehemmt durchbrechende Grün an, wer am Ende in der Natur immer den längeren Atem hatte.

      Heller ging langsam und gegen seinen inneren Widerstand kämpfend über die Waschbetonplatten auf die große weiße Haustür aus Holz zu. Zwei Stufen führten hinauf. Als Kind hatte er sie mit einem Sprung genommen, jetzt fiel ihm jeder Schritt schwer, weil er ihn einer Konfrontation mit der Vergangenheit näherbrachte, die er lieber gemieden hätte.

      Selbst das Schloss schien nicht einverstanden, als Heller nun mehrfach vergeblich versuchte, den hakenden Schlüssel zu drehen. Er rüttelte leicht daran und stemmte sich schließlich mit der Schulter gegen das Holz des feststehenden Flügels, während er an dem Schlüssel zog. Plötzlich gab das Schloss mit einem Ruck nach und die Tür schwang nach innen auf. Der muffige Geruch unbewohnter Räume schlug Fabian Heller entgegen, als er den kleinen Windfang betrat. Von hier führte eine Tür nach rechts zur Gästetoilette, eine nach links zu seinem alten Jugendzimmer und die geradeaus in den langgezogenen Flur.

      Heller ließ die Haustür hinter sich laut krachend zufallen. Das Echo lief dumpf vibrierend durch den Bungalow und machte die Totenstille, die ihn direkt nach dem Betreten umfangen hatte, noch unheimlicher. Dem finsteren Flur vorerst noch ausweichend, betrat er als Erstes sein altes Jugendzimmer mit der breiten Alu-Fensterfront zur Straße hin, der hellbeigen Textiltapete und den weißen Hartfaser-Kassetten unter der Decke.

      Hier schien die Zeit eingefroren. Nichts hatte sich verändert, nachdem er vor über zwanzig Jahren während seines Studiums ausgezogen war. Seine Mutter hatte sogar den alten Limba-Schreibtisch mit dem vorsintflutlichen Atari-Computer darauf penibel von Staub freigehalten. Neben

Скачать книгу