Der letzte Prozess. Thomas Breuer

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Der letzte Prozess - Thomas Breuer

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ausgerechnet Kriminalhauptkommissar Steinbrecher ihm die Sachlage näher erläutern würde.

      Seufzend folgte er der grinsenden Gina Gladow über den Flur. »Was ist das denn für ein Sesselfurzer?«, fragte er sie auf dem Weg nach draußen.

      Sie zuckte mit den Schultern. »Wenn Sie mich so direkt fragen, gibt es da ja wohl zwei Möglichkeiten. Entweder steht er nicht auf Johnny Walker, oder er kann Ihre Schimanski-Tour nicht ab. Ich tippe ja eher auf Letzteres.«

      Darüber musste Lenz einen Augenblick nachdenken. Unsinn, beschloss er, die haben hier einfach nur alle den Arsch offen!

      Auf dem Parkplatz steuerte Gina Gladow einen silberfarbenen VW Passat an, drückte auf die Fernbedienung und ging wie selbstverständlich zur Fahrerseite. Lenz überlegte einen Moment, ob er sie auf den Beifahrersitz verbannen sollte, aber dann ließ er es. Erstens wollte er kein weiteres Ticket riskieren, zweitens verstieß er womöglich schon wieder gegen irgendein ungeschriebenes Paderborner Gesetz, wenn er sich nicht von seiner Untergebenen chauffieren ließ, und drittens kannte er sich im Kreis Paderborn ja auch gar nicht aus.

      Die junge Beamtin fuhr zügig und sicher, während Lenz die wenig einladende Vorstadt mit den Bahngleisen zu seiner Linken an sich vorbeiziehen ließ. Dabei musste er sich zwingen, nicht in den Ausschnitt seiner Kollegin zu starren, der in seiner Blickrichtung prangte und eine magnetische Anziehungskraft auf ihn hatte. Stattdessen konzentrierte er sich auf das Profil seiner Kollegin. Ihr geringes Alter stand für ihn im Widerspruch zu ihrem selbstbewussten Auftreten. Das hätte eher zu einer fünfundzwanzigjährigen Diensterfahrung gepasst. Offenbar hatte Lenz es hier mit einer geborenen Kriminalbeamtin zu tun, die sich ihres Handelns instinktiv sicher war. Und obendrein wurde man in der Polizeiführungsakademie in Münster auch ganz hervorragend ausgebildet.

      Die junge Kommissarin räusperte sich vernehmlich und sagte, ohne ihn dabei anzusehen: »Wenn Sie mir weiter so auf die Titten starren, trete ich Ihnen bei nächster Gelegenheit in die Eier.«

      Lenz war gleichermaßen irritiert wie belustigt. Gina Gladow­ liebte das Direkte offenbar genauso wie er. Darauf ließ sich doch aufbauen. Grinsend wandte er sich nach vorne und sah durch die Windschutzscheibe auf die Straße. »Entschuldigung, Frau Kollegin. Betrachten Sie das bitte als Kompliment.«

      »Was?«, fuhr sie unbeeindruckt fort. »Dass ein alter Knacker wie Sie seine Augen nicht im Griff hat?«

      »Alt? Also bitte! Ich bin Mitte vierzig.«

      »Sag ich doch. Sollten Sie allerdings einen Sohn haben, dürfen Sie ihn mir gerne vorstellen.«

      »Wenn ich einen Sohn hätte, würde ich ihn von Frauen wie Ihnen fernhalten.«

      »Dann gehen Sie mal mit gutem Beispiel voran, Papi«, konterte Gina Gladow unbeeindruckt.

      Lenz merkte, wie sich seine Stimmung von Minute zu Minute verschlechterte. Kriminaldirektor Heitkamp spielte den unantastbaren Despoten; Steinkämper fühlte sich auf den Schlips getreten, wenn er nach Ermittlungsergebnissen gefragt wurde. Schröder hatte offenbar beschlossen, für den Rest seiner Dienstzeit zu schmollen, weil Lenz ihm vor die Nase gesetzt worden war; der Verkehrsfuzzi Steinbrecher hatte sich gleich bei ihrer ersten Begegnung als Kollegenschwein entpuppt. Und Gina Gladow nahm jedes Kompliment direkt als Belästigung am Arbeitsplatz auf. Mit diesem Menschenschlag sollte er bis zur Pensionierung in zwanzig Jahren zusammenarbeiten? War der Wechsel hierher in Wirklichkeit eine Strafversetzung und Lenz hatte das bislang nur noch nicht begriffen?

      Er wünschte sich schon jetzt ins Ruhrgebiet zurück. Da war alles so einfach: Kollegen waren noch wirkliche Kollegen, auf die man sich jederzeit verlassen konnte und die einem nicht ans Bein pinkelten. Die unübersichtliche Verkehrs­situation auf der B1 am Ortseingang war offenbar geradezu sinnbildlich für die ganze Stadt. Scheiß Paderborn!

      Grummelnd wandte sich Lenz dem rechten Seitenfenster zu, während sie nun auf der gut ausgebauten Ausfallstraße zügig in Richtung Büren fuhren. Nach etwa zwanzig Kilometern, auf denen sie den Flughafen Paderborn/Lippstadt linkerhand passiert hatten und auch die Auffahrten auf die A44 in die Richtungen Dortmund und Kassel, erreichten sie einen Kreisverkehr. Rechts ging es nach Steinhausen und Geseke, geradeaus nach Rüthen und links nach Büren. Überall um sie herum drehten sich Windräder in einer Art von Niemandsland aus Feldern, die zu dieser Jahreszeit trist und öde in einer diesigen Endlosigkeit versanken. Ein Funkmast stach vor der Silhouette eines Gewerbegebietes in den grauen Himmel. Kein Zweifel, das hier war der Arsch der Welt.

      »Das langgestreckte Gebäude da hinten im Industriegebiet ist übrigens der Puff«, meldete sich Gina Gladow, ließ aber offen, was sie mit diesem Hinweis bezweckte. Lenz hatte das unbestimmte Gefühl, dass er besser nicht nachfragen sollte. Von den Spitzen seiner Kollegin hatte er vorerst die Nase voll und er konnte auch nicht dafür garantieren, dass er selbst noch lange an sich halten konnte.

      Die Kommissarin lenkte den Wagen bergab an einer kleinen Kapelle vorbei. Nun weitete sich der Blick über ein Tal, in dessen Mitte sich das Städtchen Büren ausbreitete. Die Häuser lagen dicht gedrängt wie ins Loch geschüttet zwischen sanften Hügeln und wurden von zwei schlanken Flüsschen in die Zange genommen. Recht malerisch machte sich in der Mitte eine Art Schloss aus, das zusammen mit zwei Kirchen quasi das Zentrum des Talkessels bildete.

      »Büren im Loch, wir finden dich doch«, verkündete Gina Gladow unvermittelt. »Als ich noch Streife gefahren bin, hatte ich einen Kollegen aus Steinhausen. Der hat das jedes Mal gesagt, wenn wir den Kapellenberg runtergefahren sind.«

      »Na prima«, knurrte Lenz. »Erst lande ich am Arsch der Welt und dann fahre ich auch noch direkt ins Loch.« Und das alles an der Seite einer Kampf-Emanze, fügte er in Gedanken hinzu.

      Gina Gladow lachte hämisch, als wollte sie sagen: Jeder so, wie er es verdient.

      Nach einer 90-Grad-Kurve erreichten sie schließlich das Ortseingangsschild. Was Lenz nun zu sehen bekam, zerstörte schlagartig den positiven Eindruck, den er von oben aus eben noch gehabt hatte. Schön geht anders, dachte er und betrachtete die gammeligen Häuser, die den Anfang der Bahnhofstraße säumten. Als er dann nach der Feuerwehr auch noch vier bunte und dicht an dicht gebaute Einfamilienhäuser mit kitschigen Säulen und zusammenstoßenden Veranden erblickte, wusste er, dass es sogar noch hässlicher ging als am Ortseingang. Es folgten ein Getränkemarkt, der obligatorische Lidl, links eine zugegebenermaßen wunderschöne, nostalgisch anmutende Bruchsteinkirche mit knallrotem Ziegeldach und dann, an einen Park mit Teichen anschließend, das Schloss, das er schon vom Hügel aus gesehen hatte.

      Gina Gladow folgte der Hauptstraße, die sich geradeaus durch den Ort zog und nun wieder leicht anstieg. Oben machte sie mehrere Windungen, bis rechts ein langgestrecktes Gebäude aus roten Ziegeln auftauchte. »Da sind wir. Das ist die Senioren-Residenz Friedenstal«, verkündete die Kriminalkommissarin und parkte den Wagen am Straßenrand.

      In der Empfangshalle plätscherte ein kleiner Wasserfall über Schieferplatten in ein Bassin mit Goldfischen, die nach Lenz’ Ansicht für ein Altersheim unangemessen lebendig herumschwammen und glubschäugig blöde aus dem Wasser glotzten. Große Fenster und helle Farben sorgten für ein einladend freundliches Ambiente. Am Empfangstresen saß ein etwa zwanzigjähriges Bob-Marley-Double mit verfilzten Haarsträhnen und einem viel zu weiten bunten Hemd und starrte unter rhythmischen Kopfbewegungen auf seinen Computermonitor. Als er Gina Gladow und Stefan Lenz bemerkte, zog er sich einen Stöpsel aus dem linken Ohr und lächelte die Kommissarin entzückt an.

      Die schien für derartige Avancen zugänglich zu sein. Vielleicht galt das Knistern, das sie nun zwischen sich und dem Filz-Man zuließ, aber auch einzig als Signal an Lenz. Der konnte darüber nur müde lächeln, denn er war Realist genug, um zu wissen, dass ihm eine Beziehung zu einer

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