Der letzte Prozess. Thomas Breuer

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Der letzte Prozess - Thomas Breuer

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ignorierte den Blick. »Sehen Sie im Bad nach, ob Sie einen Kamm oder eine Zahnbürste für den DNA-Abgleich finden.«

      Er selbst wandte sich dem Kleiderschrank zu und öffnete ihn. Hosen und Hemden hingen über Kleiderbügeln und entsprachen den Marken, die der Tote getragen hatte. Die Unterhemden in einem der kleineren Fächer waren penibel ausgerichtet und selbst die Stofftaschentücher lagen glattgebügelt und auf Kante gestapelt da. So etwas hatte Lenz zuletzt während seiner Ausbildung in der Polizeikaserne gesehen, allerdings auch nur als Beispiel für die korrekte Ordnung und nicht in seinem eigenen Spind.

      Gina Gladow kam mit einem Plastikbeutel aus dem Badezimmer und zeigte Lenz die Zahnbürste, bevor sie sich an die Durchsuchung des Nachtschränkchens neben dem Bett machte.

      »Oh, was haben wir denn hier?« Sie hielt ein zusammengefaltetes hellrotes Stück Pappe hoch, auf dem die Hälfte eines Hakenkreuzes zu sehen war. Seine Kollegin faltete es auseinander und schnalzte laut. »SS-Sturmmann Anton Kottmann«, las sie vor. »Konzentrationslager Niederhagen. – Sieh mal einer an, ein alter Nazi. Wenn das unsere Leiche ist, minimiert es mein Mitgefühl allerdings deutlich.«

      Lenz trat nahm ihr den Fund aus der Hand. Tatsächlich, es handelte sich um den Dienstausweis eines SS-Mannes. Das Passbild zeigte einen jungen, schneidigen Soldaten in schwarzer Uniform, der ohne jede Gefühlsregung in die Kamera blickte.

      »Womit dann auch die Narbe am linken Oberarm geklärt wäre«, stellte Lenz fest und erklärte auf den fragenden Blick seiner jungen Kollegin: »Die Mitglieder der Waffen-SS hatten ihre Blutgruppe auf der Innenseite des linken Oberarms eintätowiert. Nach 1945 haben sich viele diese Tätowierung wegoperieren lassen, weil sie ein offensichtlicher Beweis für ihre SS-Mitgliedschaft war.«

      Sie nickte und wandte sich der nächsten Schublade zu. Diesmal zog sie ein braunes Lederbuch hervor, das sich als Fotoalbum entpuppte. Vor Lenz’ Augen blätterte sie es schnell durch. Die Schwarz-Weiß-Fotos entstammten allesamt der Dienstzeit Anton Kottmanns und zeigten Häftlinge mit gestreifter Kleidung in einem Steinbruch. Sie schoben Karren mit Felsbrocken, manche schleppten sie einfach mit den Händen. Am Rand standen rauchende SS-Männer in schwarzen Uniformen mit Gewehren über den Schultern.

      »Diese Dreckschweine!«, schimpfte Gina Gladow leise.

      Andere Bilder zeigten Häftlinge auf einem Gerüst beim Aufbau eines Burgturmes. Auf einem Foto war das etwas verblasste Portrait eines jungen Mannes mit SS-Mütze zu sehen. Er lächelte in die Kamera und machte einen freundlichen, geradezu sympathischen Eindruck. Typ Schwiegermutters Liebling, dachte Lenz. Wenn man auf Faschos steht.

      »Anton Kottmann.« Gina Gladow tippte mit dem Zeigefinger darauf. »Stimmt mit dem Foto im Dienstausweis überein.« Sie schlug das Album zu und blickte Lenz fragend an.

      »Das ist ja ein Ding«, brachte der nur heraus und fuhr nach kurzer Pause fort: »Wenn unser Toter Anton Kottmann ist, handelt es sich also um einen ehemaligen SS-Mann, der in einem Konzentrationslager gearbeitet hat.«

      »Nicht in irgendeinem Konzentrationslager«, widersprach Gina Gladow. »Das KZ Niederhagen befand sich in Wewelsburg, also in der Nähe des Auffindeortes der Leiche. Und der Turm auf dem Bild eben ist der Nordturm der Wewelsburg, die von Häftlingen des KZ wiederaufgebaut worden ist.«

      »Mein lieber Scholli«, sagte Lenz. »Bis eben hatten wir noch einen zu Tode gefolterten alten Mann ohne Namen, jetzt handelt es sich wahrscheinlich um einen hingerichteten ehemaligen KZ-Wärter.« Während er das sagte, wurde ihm die ganze Tragweite bewusst: Aus einem gewöhnlichen Mord, wenn auch mit ungewöhnlichen Mitteln, wurde von einer Sekunde auf die andere ein hochbrisanter politischer Fall. In diesem Moment hoffte er inständig, dass der Tote nicht Anton Kottmann war.

      »Da wird uns Ihre Frau Finke aber einiges zu erklären haben«, ätzte Gina Gladow.

      Lenz ging nicht auf die Formulierung ein. »Sehen Sie nach, was Sie sonst noch finden«, ordnete er an.

      Während die Kommissarin sich die letzte Schublade des Nachtschränkchens vornahm, trat er wieder vor den Kleiderschrank, durchwühlte rücksichtslos alle Fächer und tastete auch die Hosen, Hemden und Jacketts ab, ohne jedoch irgendetwas zu finden.

      »Nichts weiter«, meldete Gina Gladow. »Nur der Personalausweis und der Führerschein.«

      »Gut. Wir versiegeln das Zimmer. Die Spusi soll sich hier einmal gründlich umsehen.«

      Während Lenz auf dem Flur die Zimmertür zuzog, schlug ihnen von der Sitzecke aufgeregter Lärm entgegen. Wolfgang stand vor einer Gruppe alter Männer und Frauen und versuchte, sie mit pumpenden Handbewegungen zu beruhigen. Während Lenz umständlich ein Siegel aus einer Tasche hervorkramte, lief Gina Gladow schon einmal vor. Schließlich näherte sich auch Lenz dem Tumult, der immer lauter und ungehaltener wurde.

      »Sagen Sie mal«, schmetterte ihm ein alter Mann mit Glatze entgegen, der sich schwer auf einen Krückstock stützte, »klärt uns jetzt vielleicht einmal jemand auf, was das alles hier soll? Was ist mit dem Kameraden Kottmann? Wolfgang und die Politesse hier wollen uns nichts sagen!«

      Lenz seufzte und informierte die alten Leute mit knappen Worten sachlich über den Leichenfund in Wewelsburg. »Ob es sich dabei um Ihren Mitbewohner handelt, müssen wir aber erst noch abschließend klären.«

      »Wie lange wollen Sie sich das eigentlich noch mit ansehen?«, giftete der alte Mann. »Sie glauben wohl, nur weil wir alt sind …« Er ließ in der Schwebe, was die Polizeibeamten seiner Ansicht nach genau glaubten.

      »Das ist doch Unsinn«, entgegnete die junge Kommissarin wenig taktvoll und rief entsprechende Entrüstung in den faltigen Gesichtern hervor. »Wir sind sogar verpflichtet, jedem Hinweis nachzugehen. Vor allem, wenn es sich um den Verdacht eines Kapitalverbrechens handelt.«

      »Kapitalverbrechen?«, krächzte eine alte Frau. »Hier geht es nicht um Geld, Kindchen, hier geht es um Mord.«

      »Das ist doch dasselbe!«, belehrte sie der Glatzkopf ungeduldig von oben herab.

      »Was? Geld und Mord?« Die alte Dame war entsetzt.

      »Nein. Kapitalverbrechen und Mord.«

      »Was sollen wir uns nicht länger ansehen?«, bemühte sich Lenz in sachlichem Ton um eine Beruhigung der Lage.

      »Die Politesse hier nimmt uns nicht ernst«, schimpfte ein Mann mit stattlicher Statur, griechisch anmutender Kopfform und weißem Lockenschopf. »Nur weil wir alt sind und alte Leute Geld kosten, ist unser Leben in diesem Staat nichts mehr wert. Wir können ruhig sozialverträglich umgebracht werden. Dafür bekommt der Mörder dann am Ende noch das Bundesverdienstkreuz.«

      Inzwischen hatte der Lärm auch Kerstin Finke aus ihrem Büro gelockt. »Was ist denn nun schon wieder los, Herr Merschhaus?«

      »Ja, Sie wollen von alldem natürlich nichts wissen«, giftete der. »Das schadet nur dem Ruf des Hauses, nicht wahr? Aber Mord ist Mord, da ändern auch Sie nichts dran.«

      »So«, ging Lenz nun mit autoritär erhobener Stimme dazwischen. »Jetzt beruhigen wir uns alle mal wieder und setzen uns hin.« Als Merschhaus widersprechen wollte, brachte er ihn mit einer schneidenden Handbewegung zur Ruhe. »Wir sind hier, um Sie nach Ihren Beobachtungen und Befürchtungen zu fragen. Und ich erwarte, dass Sie uns nach Kräften unterstützen.«

      Das beruhigte nicht nur Merschhaus. Lenz beobachtete gleichermaßen erstaunt wie erfreut, dass ihm sein Befehlston augenblicklich Respekt eingebracht hatte. Auch die anderen

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