Der letzte Prozess. Thomas Breuer

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Der letzte Prozess - Thomas Breuer

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gibt es so ein Kaff in der Nähe von Paderborn, das heißt Wewelsburg. Sagt dir das was?«

      Irgendwas klingelte da bei Heller. Er kramte in seinen Gehirnwindungen, bis schließlich ein Schild an einer Auto­bahnabfahrt auf der A 33 zwischen Paderborn und dem Kreuz Wünnenberg-Haaren in seiner Erinnerung auftauchte. »Deutschlands einzige Dreiecksburg«, rezitierte er, als müsse das jeder wissen, weil man es in der Schule eingebimst bekam – so wie ›Drei drei drei, bei Issos Keilerei‹ oder ›tensixtysix, William the Conquerer conquers England‹.

      »Genau. Himmlers Burg«, verkündete Brenner. »Und die steht, wenn man den Annalen glauben will, auf nicht weniger als dem Mittelpunkt der Welt. Genau da ist letzte Nacht ein alter Knacker über die Wupper gegangen – beziehungsweise über die Alme, die da fließt.«

      »Momentchen. In einem Kaff in Ostwestfalen stirbt ein alter Mann, richtig? Kannst du mir mal verraten, was daran so besonders ist? Wenn das schon eine Meldung wert ist, brauche ich Hamm nicht zu verlassen; hier stirbt jeden Tag irgendjemand an Altersschwäche.«

      »Da hättest du recht«, ging Brenner scheinbar auf das Argument ein, »wenn der Alte einfach so entschlafen wäre.«

      »Ist er aber nicht?«

      »Ist er aber nicht. Der wurde von einem Felsen erschlagen. Soll kein schöner Anblick gewesen sein.« Brenner lachte leise meckernd.

      »Ich verstehe immer noch nicht«, wandte Heller ein. »Auch das soll auf Butterfahrten und Seniorenausflügen gelegentlich vorkommen. Sind ja nicht mehr ganz so rüstig, die alten Leute, und klettern überall rum, wo sie nicht sollen. Da kommt dann schon mal ein Steinchen ins Rutschen. Und wenn du dann ungünstig stehst …«

      »Jetzt warte doch erst mal ab, Mann!«, wurde Brenner ungehalten. »Der Alte hatte in dem Kaff gar nichts zu suchen. Der war auf keiner Butterfahrt, sondern er ist drei Tage vorher mit seinen über neunzig Jahren aus einem Altersheim im Nachbarort Büren verschwunden. Das liegt immerhin 10 Kilometer entfernt.«

      »Bisschen weit mit dem Rollator«, gab Heller zu. »Erklärt aber, warum er drei Tage gebraucht hat.«

      »Quatsch! Meine Spione bei der Kripo in Paderborn haben mir zugeflüstert, dass der Alte vor seinem Tod gefoltert worden ist. Der Felsen soll auch nicht irgendwo auf morsche Knochen geprallt sein, sondern seine Rübe zermalmt haben. Regelrecht zermatscht hat es den. Und ordentlich ausgepeitscht worden soll er vorher auch noch sein.« Brenner lachte dreckig. Für Heller wurde nicht ersichtlich, was daran so lustig war.

      Er pfiff leise durch die Zähne. »Jetzt verstehe ich. Der ist nicht einfach nur aus seiner Seniorenresidenz abgehauen, um auf seine alten Tage noch einmal durchs Paderborner Land zu krauchen, bevor der Deckel über ihm zuklappt. Der ist entführt und grausam gemeuchelt worden.«

      »Na bitte, so langsam scheinst du zu begreifen. Und es kommt noch besser: In letzter Zeit ist die Sterberate in dem Greisengehege in Büren sprunghaft angestiegen. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Also, Heller, was ist? Übernimmst du den Job, oder soll ich Rogalski die Kohle zuschieben? Der kriegt dann aber auch den Prozess, damit das mal klar ist. Ich zahle doch nicht zweimal Fahrtkosten und Spesen.«

      »Apropos Kohle: Ich bekomme den üblichen Tagessatz – zusätzlich zu der Prozess-Sache.«

      Heller hatte schon das Gefühl, sein Blatt nun endgültig überreizt zu haben und die Story los zu sein, als Brenner zu seinem Erstaunen antwortete: »Kriegst du, Alter, kriegst du. Aber dafür will ich auch etwas haben. Reicher mir die knochige Brühe mit reichlich Fleisch an. Du weißt schon, was ich brauche. Ich verlasse mich da auf deinen Riecher; lang genug ist der ja. Und diesmal will ich Fotos haben – je unappetitlicher, desto besser. Miete dich in Wewelsburg ein, schnupper Dorfluft. Mach ein paar Tage Urlaub am Mittelpunkt der Welt auf meine Kosten. So kommst du wenigstens mal raus aus deiner Muffbude und hast es bis Detmold nicht immer so weit.«

      Heller überlegte kurz. So ganz spektakulär hörte sich das ja nicht an. Irgendwer hatte sich einen Spaß daraus gemacht, einen alten Mann ein bisschen zu piesacken. Genug Bekloppte liefen ja heute überall rum. Und wer weiß, vielleicht hatte der Mörder ja auch allen Grund dazu gehabt, weil der Alte ein Stinkstiefel gewesen war. Und dass in Altersheimen gelegentlich Abgänge zu verzeichnen waren, noch dazu im Winter, wenn die Fluktuation in der Gesellschaft allgemein besonders hoch war, schien auch nicht außergewöhnlich. Außerdem stand das Thema Tod momentan bei Heller nicht hoch im Kurs.

      Andererseits: Was hielt ihn davon ab, Brenners ungewöhnliche Großzügigkeit auszunutzen und die zusätzliche Kohle abzugreifen? Sonderlich kompliziert konnte der Fall ja nicht sein. Und so schnell würde er eine solche Gelegenheit nicht wieder bekommen. Ein paar Tage an der frischen Luft auf dem Lande, umgeben von Burgruinen und Kühen – das würde ihn auf andere Gedanken bringen. Wenn da nicht dieses Misstrauen gewesen wäre, denn Brenner hatte noch nie etwas verschenkt.

      »Was ist los, Heller? Lebst du noch?«, riss die ungeduldige Stimme des Chefredakteurs ihn aus seinen Gedanken. »Oder bist du eingeschlafen, verdammt noch mal? – Ich fasse es nicht: Da biete ich dem Kerl eine echte Chance und der pennt einfach weg!«

      Heller musste grinsen. Er kannte Brenner inzwischen zu gut, um ihm diese Theatralik abzunehmen. »Also gut, ich mach’s. Mail mir alles, was du hast. Morgen fahre ich los und suche mir ein Zimmer in dem Kaff.«

      »Guter Junge. Und in einer Stunde habe ich deinen Bericht auf dem Schirm, sonst war das der letzte Auftrag, den ich dir zugeschoben habe. Scheiße, Mann!«

      Bevor Heller darauf antworten konnte, hatte Brenner das Gespräch beendet. Nachdenklich legte er den Hörer ab. Wenn Brenner so wenig fluchte wie in diesem Gespräch, musste man vorsichtig sein. Dann lag der Verdacht nahe, dass er etwas von einem wollte und noch einiges in petto hatte.

      Er trat wieder an das Fenster und blickte hinaus. Die Dämmerung war dabei, den Wald zu verschlucken. Die Bäume hatten deutlich an Kontur verloren. Auch von dem Turmfalken war nichts mehr zu sehen. Dunst lag wabernd über der Weide und erinnerte an Nebel über dem Moor in den alten Edgar-Wallace-Filmen. Heller fröstelte bei dem Anblick.

      Vielleicht war es wirklich ganz gut, sich in einen Auftrag zu stürzen, der ihn nicht immer nur alle paar Tage für ein paar Stunden beschäftigte. Besser, als zu Hause rumzuhängen und Trübsal zu blasen, war das allemal. In Wewelsburg entging er auch seinen Freunden und Verwandten, die ihn seit dem Tod seiner Mutter an den letzten Wochenenden immer fürsorglich belagert hatten. Je mehr er darüber nachdachte, desto besser gefiel ihm die Idee. Er würde niemandem Bescheid geben und einfach abtauchen. Allenfalls eine kurze Meldung auf dem AB, ohne Kontaktadresse. Nur eine Woche Auszeit. Höchstens zwei, falls Brenners Geld so lange ungehindert fließen würde.

      Heller schlurfte zum Schreibtisch, schaltete seinen PC ein, atmete tief durch, holte seine Aufzeichnungen heraus und begann den Bericht über den Prozessauftakt in Detmold mit der Schilderung der nordrhein-westfälischen Kavallerie.

      *

      Oranienburg, 24. Oktober 1939

      Geliebtes Muttchen!

      Ich sende Dir herzliche Grüße aus dem KZ Sachsenhausen. Jetzt bin ich schon wieder fünf Wochen fern von Dir und den Kindern und so sehr im Lagertrott, als hätte es den Heimaturlaub gar nicht gegeben.

      Das Wetter ist hier nun sehr herbstlich, feucht und kalt und das ist wahrlich kein Vergnügen bei der Arbeit im Freien. Ich muß zum Glück erst in der kommenden Woche wieder mit hinaus in die Kälte und den Regen. Den Häftlingen macht das nichts, die sind das gewohnt und fühlen auch nicht so wie wir. Zu bedauern sind allerdings die Kameraden, die jetzt Urlaub

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