Der letzte Prozess. Thomas Breuer

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Der letzte Prozess - Thomas Breuer

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Immerhin bin ich der Einzige hier, der bis heute völlig ahnungslos war, auf was für einem historischen Boden ich in Zukunft tätig werde. Ich habe also einiges aufzuarbeiten.« Er schob seinen Stuhl zurück, stemmte sich auf der Tischplatte hoch und blickte unternehmungslustig in die Runde. »Wie sieht’s aus? Sie kennen doch sicher eine nette Kneipe in der Nähe, in der ich Ihnen zum Einstand einen ausgeben kann. Nur auf ein Stündchen.«

      »Tut mir leid, Chef«, sagte KOK Jakobsmeier. »Ich muss nach Hause und auf die Kleine aufpassen. Meine Frau hat heute Mädels­abend. Einmal im Monat zieht sie mit ihren Freundinnen um die Häuser. Der Abend ist ihr heilig.«

      »Ich kann auch nicht«, schloss sich KOK Steinkämper an, ohne das näher zu erläutern.

      KHK Schröder murrte: »Auf mich müssen Sie auch verzichten. Hat ja schließlich keiner damit rechnen können, dass Sie hier heute aufkreuzen.«

      Gina Gladow schwieg, allerdings sah Lenz ihr an, dass ihr in der Situation nicht ganz wohl war. Vielleicht konnte er bei ihr Punkte sammeln, wenn er sie nicht auch noch persönlich ansprach.

      »Gut, Kollegen, dann holen wir das ein anderes Mal nach«, schloss Lenz so beiläufig wie möglich. »Dann mit etwas mehr Vorlauf. Schönen Feierabend!«

      Stühle wurden geschoben, Papier raschelte, Schröder stürmte hinaus, die anderen Kollegen unterhielten sich leise, während sie ebenfalls den Besprechungsraum verließen. Lenz ging zu seinem Vorzimmer, wo Frau Gellert mit einem Headset vor ihrem PC-Bildschirm saß.

      Als er eintrat, nahm sie die Kopfhörer ab und blickte ihn lächelnd an. »Sie haben sich Ihren Einstand auch anders vorgestellt, was? Noch bevor Sie richtig da sind, schon das volle Programm.«

      Lenz winkte ab. »So ist das nun mal in unserem Job. Wenn ich es anders haben wollte, wäre ich zum Finanzamt gegangen. Aber ich fürchte, beliebter wäre ich dann auch nicht.«

      Frau Gellert lachte.

      »Sagen Sie«, Lenz bemühte sich um einen angemessen hilflosen Gesichtsausdruck, »Sie haben heute Abend wohl keine Zeit, mir das eine oder andere lohnende Lokal in Paderborn zu zeigen? Ich kenne mich ja noch nicht aus und habe keine Lust, einsam durch die Stadt zu irren.«

      Wieder lachte Frau Gellert, schüttelte aber den Kopf dabei. »Ich bin sicher, dass Sie sich auch ganz schnell alleine zurechtfinden werden.«

      Lenz seufzte theatralisch und verließ mit hängenden Schultern den Raum.

      Die Wohnung in der Kiesau empfing ihn düster und kalt. Lenz warf seine Reisetaschen, in denen sich seine gesamte Kleidung befand, gleich im Flur in eine Ecke und drehte erst einmal eine Runde durch die Räume. Er hatte die Wohnung gemietet, ohne sie sich vorher angesehen zu haben, und so war er einigermaßen erschrocken über die Möblierung in Eiche Brutal, die sich durch alle Zimmer zog. Am schlimmsten war die Schrankwand im Wohnzimmer, die seine Augen neben der kackebraunen Farbe auch noch mit der goldschimmernden Bleiverglasung einer Vitrine traktierte. Übertroffen wurde das allenfalls von der Sitzgarnitur, deren beiger Bezug geradezu stachelig wirkte. Alles im Raum atmete den Verwesungsbrodem der alten Frau, die hier jüngst verstorben war.

      Das Schlafzimmer war ähnlich grauenhaft. Lenz ärgerte sich, dass er den Kollegen für den kommenden Tag einen Besuch in Wewelsburg versprochen hatte. Wenn er das alles hier sah, hätte er besser einen Möbelwagen gemietet, den ganzen Schrott abgerissen und zur Müllkippe gebracht und wäre dann direkt zu IKEA gefahren. Es schüttelte ihn, wenn er daran dachte, auch nur eine Nacht in dem Mördertrumm von Ehebett schlafen zu müssen.

      Die Küche war erwartungsgemäß klein, aber umfänglich ausgestattet. Das Bad schreckte mit glänzenden dunkelgrün-braun-marmorierten Fliesen ab, aber immerhin gab es in der Badewanne sogar einen Duschvorhang, wenn auch mit lila Blütenmuster. Der würde sich schnell auswechseln lassen. Und dann gab es noch ein kleines Zimmer mit Fenster zur Straße, in dem Lenz einen alten Sekretär vorfand. Dieses Möbelstück würde er, abgesehen von der Küche, wohl als einziges behalten.

      Lenz trat an das beschlagene Fenster, drehte den Heizkörper darunter auf und blickte hinunter auf die Straße. Die Wohnung befand sich im zweiten Stock. Nebenan lag das Deutsche Haus, ein Restaurant der gutbürgerlichen Art. Daneben befanden sich Studentenkneipen. Direkt gegenüber lag der Lockvogel, eine Art Bistro, das von hier aus so modern wie gemütlich wirkte. Etwas weiter die Straße hinauf, das hatte Lenz beim Einparken gesehen, gab es ein Paderborner Brauhaus mit angrenzendem Biergarten. Die vielfältige Gastronomie in direkter Nähe und die zentrale Lage am Pader-Quell-Gebiet, nur fünf Minuten Fußweg von der Innenstadt entfernt, waren durchaus geeignet, ihn zumindest vorübergehend mit dem Umzug nach Paderborn zu versöhnen.

      Lenz gab sich einen Ruck. Was sollte er den Abend in der Tristesse seiner Wohnung verbringen, wenn da draußen das Leben tobte? Er stieß sich von der Fensterbank ab und verließ seine Eichegruft, um das Brauhaus einer intensiven ersten Recherche zu unterziehen.

      *

      Stade, den 30. Oktober 1939

      Mein lieber stolzer Offizier!

      Nun liegt wieder ein lieber Brief von Dir vor mir auf dem Tisch, den ich gleich beantworten will.

      Was habe ich mich über Deine Beförderung gefreut! Ich habe gleich den Kindern davon erzählt, dass der Vati nun Sturmführer ist und sogar den Reichsführer persönlich kennt, und da ist der Anton durch die Stube marschiert und war auch Sturmführer. Der Junge vermisst Dich ganz besonders.

      Was Du von dem Fluchtversuch geschrieben hast, hat mich schon erschreckt, aber Ihr habt den Verbrecher ja zum Glück wieder eingefangen. Und wenn Du Dir Sorgen darüber machst, was ich über die Härte denke, die Du ihm angedeihen lassen hast, so unterschätzt Du Dein Mütterchen aber gewaltig. Es ist nur gut, daß Du ihn gleich erschossen hast. Das hat er nicht besser verdient und wird den anderen Häftlingen eine Lehre sein. Nicht auszudenken, wenn jeder einfach so ausbrechen und im Volk sein Unwesen treiben könnte!

      Ich stelle mir vor, dass Dein Dienst hart ist mit all den Verbrechern, die Du dort bewachen mußt. Laß ihnen die nationalsozialistische Erziehung nur recht deutlich angedeihen.

      Als ich dem Anton von Deiner Versetzung nach Ostwestfalen erzählt habe, hat er gleich mit dem Baukasten Vatis Wewelsburg nachgebaut. Und dann hat er mit dem Lastwagen und den Soldaten KZ gespielt und gar viele Gefangene auf der Flucht erschossen. Der Junge ist mir eine rechte Freude und erinnert mich immer sehr an Dich. Nun steht es für ihn fest, daß auch er zur SS will.

      Mein lieber Vati, nun steht auch bald der Winter vor der Tür, bei Dir in Oranienburg wohl sicher eher als hier bei uns im hohen Norden. Zieh Dich nur immer warm an, wenn Du nach draußen zur Arbeit gehst. Hast Du auch genügend warme Unterwäsche, soll ich Dir etwas schicken?

      Nun haben wir gerade einmal zwei Monate Krieg und schon wird bei uns an der Heimatfront die Versorgungslage immer schlimmer. Im Moment ist die Butter knapp und es gibt keine Seife mehr zu kaufen. Nur die Frauen mit Säuglingen bekommen noch welche. Im »Völkischen Beobachter« hat aber gestanden, daß es bald eine Einheitsseife geben soll. Der Führer hat das Problem erkannt und angeordnet, daß Abhilfe geschaffen wird. Da siehst Du es: Er will ein reinliches Volk haben, nicht nur im Blut, auch äußerlich.

      Sag mal, lieber Vati, warum bekommt Ihr im KZ eigentlich nur 50 Pfennige pro Tage für die Verpflegung? An der Front haben sie eine Mark. Da bleibt was übrig, das sie nach Hause schicken können. Das ist doch ungerecht, wo doch Dein Dienst so wichtig ist, damit uns die Juden und die Politischen nicht in den Rücken fallen wie im Ersten Weltkrieg.

      Zum Glück wird

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