Die Stadt der Regenfresser. Thomas Thiemeyer

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Die Stadt der Regenfresser - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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ab. Sein Gewicht zeugte davon, dass sich etliche Münzen darin befanden. Mit schweißnassen Fingern öffnete er die Geldbörse und warf einen Blick hinein. Seine Augen wurden groß wie Murmeln. Eine Handvoll Goldmark schimmerte ihm entgegen, dazu noch etliche Silberlinge. Er schüttete den Schatz auf seine Hand und überflog im Geiste die Summe. Einhundertfünfzig Mark in Gold und fünfundvierzig in Silber. Oskar pfiff leise durch die Zähne. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viel Geld auf einem Haufen gesehen zu haben. Der Mann stank ja vor Reichtum.

      Sein Instinkt hatte ihn also nicht getrogen. Die Frage war nur: Was hatte ein feiner Pinkel wie er in der Krausnickstraße verloren? Das passte einfach nicht zusammen. Aber egal. Wozu sollte er sich den Kopf über solch unbedeutende Dinge zerbrechen? Das Geld gehörte jetzt ihm, das war alles, was zählte.

      Er wollte die Münzen gerade wieder zurücklegen, als er zwischen ihnen ein Stück bleigrauen Metalls schimmern sah. Es glänzte wie angelaufenes Eisen und war an den Rändern etwas verbogen. Oskar hob es hoch, drehte und wendete es. Es sah aus wie ein wertloses Stück Altmetall. Warum aber lag es zwischen all dem Geld? Er konnte keine Erklärung dafür finden. Doch was es auch war, er würde sich später genauer damit befassen.

      Er legte alles zusammen zurück, verschloss das Portemonnaie und steckte es in die Innentasche seines Jacketts. Dann stand er auf. Einen Teil davon würde er dem Geldverleiher Behringer zurückzahlen müssen, aber dafür wäre er dann seine Schulden ein für alle Mal los. Von diesem Fang würde er ein halbes Jahr lang gut leben können. Wer weiß, vielleicht würde er sich sogar ein kleines Appartement mieten. Eine richtige kleine Wohnung, nicht so ein Dreckloch wie das, in dem er gerade hauste.

      Er öffnete das Fenster und kletterte hinaus aufs Dach. Der Himmel über Berlin hatte sich verdüstert. Aus den einzelnen Wolken war jetzt eine dunkle Wand geworden, die sich langsam von Westen her näherte. Ein frischer Wind war aufgekommen, der den Geruch von Regen mit sich brachte. Die Nase prüfend in den Wind hebend, schätzte er, dass es in etwa einer Stunde wie aus Eimern schütten würde. Zeit, die Beute sicher nach Hause zu schaffen.

      Oskar hätte den Weg über die Dächer mit verbundenen Augen gefunden. Leichtfüßig sprang er über Abgründe, folgte Regenrinnen und balancierte auf Dachfirsten, wie es die Schornsteinfeger taten. Er liebte es, hier oben zu sein, den Dreck und Lärm der Straßen unter sich zu lassen und die Menschen dabei zu beobachten, wie sie in Ameisengröße durch die Straßen wuselten. Er liebte den Blick über die Dächer hinweg und das Geräusch, wenn die Kirchenglocken zu läuten begannen. Dann konnte er den Tauben zusehen, wie sie in Schwärmen über der Stadt kreisten, und sich vorstellen, wie es wohl wäre, eine von ihnen zu sein.

      Ein paar Minuten später hatte er das Ende seines Fluchtweges erreicht. Ein schmuddeliges altes Haus an der Oranienburger, schräg gegenüber der Synagoge. Nach vorn hin gab es einige kleine, schmiedeeiserne Balkone, die durch Feuerleitern miteinander verbunden waren. An ihnen konnte man bequem hinunterklettern. Nur zwischen erstem Stock und Trottoir fehlte eine Leiter, sodass man die drei Meter bis zum Boden am nahe gelegenen Regenrohr entlangrutschen musste.

      Flink wie ein Affe kletterte er hinunter, griff nach dem Metallrohr und ließ sich auf den Bürgersteig hinab. Die Straße hatte ihn wieder. Den fragenden Blicken einiger Passanten wich er einfach aus und machte sich hoch erhobenen Hauptes auf den Heimweg.

      Er war noch keine zehn Meter weit gekommen, als er von einer schwarz behandschuhten Hand gepackt und in einen Hauseingang gezerrt wurde. »Habe ich dich endlich!«, sagte eine tiefe Stimme.

      Oskar blickte auf. Über ihm ragte drohend die dunkle Gestalt des Mannes mit dem Zylinder auf. Das Gesicht lag im Schatten. Nur die Augen hinter den Brillengläsern leuchteten wie zwei wasserblaue Kristalle. Oskar versuchte sich zu befreien, aber die Hand hielt ihn gepackt wie ein Schraubstock.

      »Na, na«, sagte die Stimme. »Willst du etwa schon gehen?«

      Die andere Hand hob sich, zur Faust geballt. Oskar wollte schon die Augen schließen, da sah er, dass sich die Hand öffnete. Ein weißes Pulver leuchtete auf dem schwarzen Leder. Ehe er noch darüber nachdenken konnte, was das wohl für ein Zeug war, hob der Fremde die Hand und blies ihm die ganze Ladung ins Gesicht.

      Oskar fühlte ein entsetzliches Brennen in Mund, Augen und Nase. Er musste würgen und husten. Tränen stiegen ihm in die Augen. Der Staub schnürte ihm die Luft ab. Er griff sich an den Hals und rang nach Atem. Verzweifelt versuchte er ein letztes Mal auszubrechen. Er schlug mit den Armen um sich wie ein Ertrinkender, doch es nützte nichts. Ein feines Lächeln umspielte den Mund des Mannes. Mit dunkler Stimme sagte er: »Ich wünsche dir angenehme Träume, mein Junge.«

      Sternchen tanzten vor Oskars Augen, dann wurde es dunkel um ihn.

      2

      Oskar erwachte mit einem Kopf, der sich anfühlte wie ein matschiger Kürbis. Ein Lichtstrahl drang in seine Augen und stach bis in die hintersten Hirnwindungen. Schnell presste er die Lider zusammen. Er hatte ja schon so manchen Kater von zu viel Bier gehabt, aber noch nie einen solchen. Noch einmal versuchte er, die Augen zu öffnen. Diesmal war der Schmerz nicht ganz so heftig und er entschied, dass er ihn ertragen konnte. Er saß in einem Lehnstuhl mit wertvoll geschnitzten Armstützen und einem hohen Rückenstück, das hinter seinem Kopf aufragte. Außer dem Stuhl befanden sich in dem Raum noch ein Bett, ein Tisch und mehrere Regale, voll mit Büchern. Ein kostbarer geknüpfter Teppich lag auf dem Boden. Oskar versuchte aufzustehen, aber irgendetwas hielt ihn zurück. Er konnte seine Arme nicht bewegen, genauso wenig wie seine Hände und seine Füße. Er blickte an sich hinab und sah, dass er festgeschnallt war. Breite Lederbänder umspannten seine Handgelenke. Sie erlaubten nicht den geringsten Ausbruchsversuch.

      Plötzlich fiel ihm alles wieder ein. Der Diebstahl, der Fluchtversuch, seine Gefangennahme … und der dunkle Mann. Diese wasserblauen Augen und das schmallippige Grinsen. Oskar wurde es mulmig zumute. Gefangen und gefesselt in einem fremden Haus, da brauchte man nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass er in die Hände eines Verbrechers gefallen war. Eines Irrsinnigen vielleicht, oder eines Mörders. Panik überkam ihn. Er musste weg hier, und zwar schnell. Er zerrte an seinen Fesseln, doch die Lederriemen saßen fest. Kopf, Hände, Füße, alles war festgebunden und der Stuhl war zu schwer, um ihn fortzubewegen. Plötzlich erklangen Geräusche. Schritte, die sich der Tür näherten.

      Oskar gab seine Befreiungsversuche auf und stellte sich schlafend. Er schloss die Augen bis auf einen winzigen Spalt und beobachtete, wie die Tür sich öffnete und jemand den Raum betrat. Im Dämmerlicht erkannte er eine kleine Person, die irgendetwas in den Händen trug. Einen Teller oder ein Tablett. Sie stellte es ab und ging hinüber zum Fenster. Mit Schwung zog sie die Vorhänge beiseite. Helles Tageslicht flutete ins Zimmer. Oskar erkannte, dass es sich nicht um seinen Entführer handelte. Es war eine Frau. Sie trug ein langes, bunt besticktes Hemd und einen ebensolchen Rock. Ihre Füße steckten in farbigen Sandalen und an ihren Handgelenken klimperten goldene Armreifen und Ketten. Sie hatte dunkle Haut und pechschwarzes Haar, das sie mit einem Tuch hochgesteckt hatte. Oskar konnte sich nicht erinnern, jemals eine solche Erscheinung gesehen zu haben.

      Sie kehrte zum Tablett zurück, goss etwas aus einer Kanne in eine Tasse und kam zu ihm herüber. Oskar tat immer noch so, als würde er schlafen, aber die Frau schien zu spüren, dass er es vortäuschte.

      »Hallo, mein Junge«, sagte sie mit weicher, dunkler Stimme. »Ich bringe dir etwas zur Stärkung.«

      Sie rollte das R und sprach mit einem seltsamen Akzent. So nah, wie sie jetzt bei ihm stand, konnte er ihr exotisches Parfum riechen. Es hatte wohl keinen Sinn mehr, sie weiter zu täuschen. Oskar schlug die Augen auf. Das Gesicht, das sich ihm zuwandte, war schön, wenn auch außergewöhnlich. Die Frau mochte etwa dreißig Jahre alt sein, so genau konnte er das nicht abschätzen. Sie hatte große, seelenvolle Augen und einen vollen

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