Die Stadt der Regenfresser. Thomas Thiemeyer

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Die Stadt der Regenfresser - Thomas Thiemeyer Die Chroniken der Weltensucher

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von Haiti besitzen die Fähigkeit, einen Menschen völlig willenlos zu machen, zu einer leeren Hülle ohne Geist, der nur auf Befehle reagiert. Eliza wird dir vielleicht bei Gelegenheit mal davon erzählen.«

      Oskar hob eine Augenbraue. Bei Gelegenheit? Dieser verrückte Kerl ging also wirklich davon aus, dass er bleiben würde? Warum war er sich seiner Sache so sicher? Was war hier unten?

      Nachdenklich biss er noch einmal von dem Brot ab.

      Humboldt ging weiter und blieb vor einer massiven Eichentür stehen. Aus den unergründlichen Tiefen seiner Hose holte er einen riesigen Schlüsselbund hervor, wählte einen Schlüssel aus und schloss auf. Beim Öffnen quietschte die Tür in ihren Angeln.

      Rötliches Licht drang von innen heraus. Humboldt löschte seine Lampe und winkte Oskar zu sich heran.

      »Komm, mein junger Freund. Tritt näher.«

      Oskar bezähmte seine Furcht und ging an Humboldt vorbei. Doch kaum war er in den Raum getreten, blieb er wie angewurzelt stehen.

      Das Erste, was ihm auffiel, war die immense Größe. Vor ihm erstreckte sich ein quadratischer Saal von mindestens zwanzig Meter Länge, der von zahlreichen Petroleumlampen erhellt wurde. Überall standen Tische und Ablagen, auf denen sich seltsame Apparaturen befanden. Eine angenehme Wärme herrschte hier. Für einen Keller ganz und gar ungewöhnlich. Die Decke war gewölbt und mit Kreuzgraten versehen und wurde vonsteinernen Säulen getragen, die den Raum in regelmäßige Abstände untergliederten. Die rundbogigen Nischen entlang der Wände unterstrichen den Eindruck, sich im Inneren einer Kirche zu befinden.

      Fragend blickte er seinen Gastgeber an.

      »Ganz recht«, sagte Humboldt, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Eine ehemalige Krypta. Die Kirche selbst gibt es nicht mehr. Sie wurde im Dreißigjährigen Krieg bis auf die Grundmauern zerstört. An ihrer Stelle wurde ein Haus errichtet, mit dessen Besitzer ich seinerzeit gute Kontakte pflegte und der es mir, kurz vor seinem Tod, zu einem angemessenen Preis verkauft hat. Was du hier siehst, ist das Herzstück des gesamten Anwesens: ein Forschungslaboratorium, wie du es in Berlin – ich möchte sogar sagen: in ganz Europa – kein zweites Mal finden wirst.«

      Oskar richtete seine Aufmerksamkeit auf die Gerätschaften, die hier herumstanden. Überall sprudelte und gluckerte es. Funken sprühten und Dämpfe stiegen auf. Auf manchen Tischen standen mannshohe Glaskolben, in denen aus grünlicher Flüssigkeit kleine Bläschen aufstiegen. An anderen rotierten Metallräder, scheinbar ohne äußeren Antrieb. Wieder auf anderen Tischen standen große Metallkugeln, zwischen denen bläuliche Blitze hin und her zuckten. Es war, als wäre er in die Werkstätte eines Hexenmeisters geraten.

      »Das, was du hier siehst«, sagte Humboldt und deutete mit einer weit ausladenden Geste auf sein Labor, »sind die Früchte jahrelanger Forschung und Arbeit. Wärme, Licht, Elektrizität, die Grundlagen moderner Wissenschaft. Nichts davon hat mit Zauberei zu tun, alles ist erklärbar. Vorausgesetzt, man macht sich die Mühe und forscht gewissenhaft. Für Scharlatanerie ist hier kein Platz, genauso wenig wie für Ignoranz. Was mich interessiert, sind die vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft. Nicht zu vergessen natürlich die Astronomie, die Sternenkunde. Ich werde dir mal mein Observatorium im obersten Stockwerk zeigen – falls du möchtest. Doch zunächst will ich dir erklären, wohin die Reise geht und was ich dort will.«

      Auf dem Weg zu einem riesigen Tisch am hinteren Ende der Krypta kamen sie an einer gläsernen Vitrine vorbei. Sie war bis auf den letzten Fleck mit Waffen gefüllt. Pistolen, Messer, Armbrüste. Nichts davon sah den Waffen, die Oskar kannte, auch nur entfernt ähnlich. Alle waren sie modifiziert oder umgebaut worden und wirkten wirklich furchteinflößend.

      »Was ist denn das hier?«, fragte er. »Haben Sie vor, in den Krieg zu ziehen?«

      Humboldt sah Oskar ins Gesicht. »Wissen ist nicht immer leicht zu erlangen«, sagte er. »Noch immer gibt es viele, die lieber an altem Aberglauben festhalten und moderne Erkenntnisse für Teufelswerk halten. Dann gibt es natürlich die Neider und Konkurrenten, von denen die meisten mit kriminellen Methoden arbeiten. Das Leben eines Forschers ist mit Gefahren gespickt und man ist gut beraten, sich zur Wehr setzen zu können.« Er griff nach einer Armbrust. »Dieses Stück hier verfügt über eine Trommel zum Verschießen mehrerer Pfeile. Zwanzig Stück, um genau zu sein. Sie werden mittels Gasdruck abgeschossen und sind absolut tödlich.« Mit geschickten Bewegungen prüfte er Spannkraft und Zielgenauigkeit, ehe er das Instrument zurück an seinen Platz hängte. »Letztendlich hoffe ich immer, diese Geräte nie einsetzen zu müssen, aber manchmal führt eben kein Weg daran vorbei.«

      »Und das hier?« Oskar deutete auf einen kleinen grauen Kasten, an dem ein Trichter, ähnlich wie bei einem Grammophon, befestigt war.

      »Das ist eine meiner neuesten Erfindungen«, sagte der Forscher. »Ich nenne sie Linguaphon. Ein Gerät, welches das leidige Sprachproblem auf meinen Reisen lösen soll. Es ist noch nicht ganz ausgereift, aber ich habe vor, es bei der bevorstehenden Reise auf Herz und Nieren zu testen. Jetzt komm.«

      Humboldt führte ihn nach hinten, drückte einen Knopf und setzte damit eine seltsam kalt leuchtende Lampe in Betrieb. Dann klopfte er auf einen Stuhl, der am Kopfende des riesigen Schreibtischs stand, und zog sich selbst auch einen Stuhl heran. »Zuerst mal möchte ich dir unsere Route zeigen.« Er öffnete eine Schublade, holte eine Karte hervor und breitete sie aus. »Unsere Reise wird lang und beschwerlich«, sagte er und fuhr mit dem Finger über die Abbildung. »Quer durch den Atlantik und an Feuerland vorbei. Schon mal davon gehört?«

      »Aus Seefahrergeschichten. Es ist der Südzipfel von Südamerika, nicht wahr?«

      »Ich sehe, du kennst dich aus. Die Einheimischen nennen es Tierra del Fuego. Eine wilde und unerforschte Gegend.«

      »Wo starten wir?«

      »Hier ist Berlin«, sagte der Forscher und tippte mit dem Finger auf die Karte. »Unser Schiff ist die Sakkarah der DDG Kosmos. Das Dampfschiff fährt von Hamburg über Le Havre, Montevideo und Buenos Aires bis runter an die Südspitze von Feuerland, durch die Magellanstraße und dann wieder hinauf bis an die chilenisch-peruanische Grenze. Auf dem Weg nach Callao lassen wir uns in Camaná absetzen, einer Stadt in der Region Arequipa. Dort mieten wir uns ein paar Maultiere und begeben uns bis zu diesem Punkt.« Sein Finger kam auf der Karte zum Stillstand. Eine Markierung war dort eingezeichnet, ein paar Wörter und eine lange Zahl.

      »Cañón del Colca«, las Oskar. »Dreitausend Meter.«

      »Die tiefste Schlucht der Erde«, sagte Humboldt. »Zumindest, wenn man den Landvermessern trauen darf. Der Cañón ist das Ziel unserer Reise.«

      »Peru«, sagte Oskar. »Was wollen Sie denn dort?«

      »Es gibt eine Legende in dieser Gegend«, sagte Humboldt und wandte sich seinem Arbeitstisch zu. Er öffnete eine Schublade und fing an, darin herumzuwühlen. »Alte Schriften berichten von den sogenannten Regenfressern. Es heißt, sie seien mächtige Zauberwesen, denen es gelungen sei, die Fesseln der Schwerkraft zu zerschneiden und wie Vögel den Himmel zu beherrschen.«

      »Sie meinen, sie können fliegen? Das ist doch Unsinn, oder?«

      »Die Legende besagt, sie würden die Regenwolken durchkreuzen und dem Land darunter immerwährende Dürre bescheren. Sie seien so gut wie nie zu sehen, weil sie oberhalb der Wolken lebten. Es heißt, nur Eingeweihte könnten den geheimen Weg zu ihrer Stadt finden. Ein Weg, der von mächtigen Wächtern bewacht werde. Na, klingt das nicht abenteuerlich genug?«

      »Und so was glauben Sie?«

      Humboldt

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