Ein reines Wesen. Isabella Archan
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Noch nie hatte sie sich derart missverstanden und isoliert gefühlt.
Obwohl sie schon oft in schwierigen, schmerzvollen Situationen gewesen war. In der Schulzeit war sie gemobbt worden, nach dem Tod des Vaters in ein dunkles Loch gefallen. Ihre gescheiterte kurze Ehe, ihr verlorener Traum von einer eigenen Familie. All das hatte sie durchgestanden, nur um jetzt in diese schreckliche Geschichte zu geraten.
Nach ein paar freien Tagen, hatte sie gehofft, mit ein wenig mehr Entspanntheit ihren Dienst wieder aufzunehmen. In der Zeit zu Hause war ihr die Decke ohnehin bereits am zweiten Tag auf den Kopf gefallen. Außer vor dem Fernseher oder PC zu hocken und dabei zuviel zu essen, hatte sie kaum etwas unternommen. Was tun, wenn man ausschließlich die Arbeit hatte?
Doch schon beim Anblick von Edda und Dr. Steiner bekam sie wieder Gänsehaut.
»Nicole?«
Hände. Immer und immer wieder ging ihr Blick zu den Händen. Kaum zurück im Dienst, war sie wieder auf Hautfarbe, Fingerform und Muttermale fixiert, die sie meinte wiederzuerkennen.
»Ja, Frau Dr. Steiner?«
Ira könnte es gewesen sein. Dr. Ira Steiner. Nein, nicht könnte, sie war es. Definitiv. Nikki wurde eben von einer Mörderin angesprochen.
»Geht es Ihnen nicht gut, Schwester Nicole? Sie sehen so blass aus.«
Nicole zwang sich zu einem Lächeln.
»Die Hitze. Es ist schwül heute.«
»Trinken Sie genug, Nicole?«
»Das frage ich unsere Patienten auch immer.«
»Du hattest doch Zeit dich zu erholen?« Edda Leistenberger zeigte nicht so viel Empathie wie Frau Dr. Steiner. »Wie war dein Urlaub?«
»Toll. Ich war mit Freunden in Metz.«
»Schön, Frau Seidl, freut mich.«
Nicole überlegte sich blitzschnell drei Namen, die sie als ihre Freunde bezeichnen konnte, doch Edda fragte nicht nach. Sie nickte Dr. Steiner zu.
»Ich muss weiter. Tschüss, Ira.«
»Bis die Tage, Edda.«
Ira Steiner winkte und schob sich anschließend eine Strähne ihres roten Haares hinters Ohr.
Nicole beneidete die Frau. Ihr Teint war nicht so hell und sommersprossig wie der von Nikki. Dazu die sportliche Figur. Mit ihren über Fünfzig sah die Ärztin immer noch sehr attraktiv aus.
Aber, wie Nicole gehört hatte, war sie seit kurzem von ihrem Mann getrennt, der sich eine Jüngere ausgesucht hatte. Höchstwahrscheinlich machte sie deshalb viel Sport, um sich vom Kummer abzulenken. Die roten Haare waren mit ziemlicher Sicherheit gefärbt.
Von Mord zu schadenfrohen Gedanken. Nicole verstand sich oft selbst nicht. In ihrem Inneren stritten sich die Tratschtante, die Einsame und die großzügige Helferin um die Vorherrschaft. Seit der Geschichte um Ludwig Kritzel war noch die panische Nikki dazugekommen.
»Was kann ich für Sie tun, Frau Dr. Steiner?«
»Ich bin auf der Suche nach Dr. Schmitz. Wissen Sie zufällig, wo ich ihn finden könnte?«
Wie immer fühlte sich Nicole sofort besser, wenn Bado Schmitz erwähnt wurde. »Soviel ich weiß, haben Dr. Schmitz und auch Dr. Stolz heute nach der Visite die Klinik verlassen. Wobei Dr. Schmitz mir gesagt hat, dass er spätestens in einer Stunde wieder vor Ort sein wird. Wegen Dr. Stolz könnten Sie Frau Stolz fragen. Seine erste OP ist auf 15.00 Uhr angesetzt.«
»Danke, Nicole.«
»Gern g’schehn und passt scho, wie man bei mir zu Hause sagen würde.«
»Ihr Dialekt amüsiert mich immer wieder, Nicole.«
»Ich bemühe mich meistens hochdeutsch zu sprechen. Hier wissen viele nicht, dass ich aus Österreich stamme.«
»Aber die Sprachmelodie, die hört man. Sie kommen aus Wien, nicht?«
»Graz, Frau Doktor, das ist in der Steiermark.«
»Ach so. Übrigens hatte ich eben ein Gespräch mit jemandem aus Ihrer Heimatstadt.«
»Echt?«
»Eine Inspektorin.«
Nicoles bessere Stimmung verschwand. Ihr Herz schlug schneller. Warum war eine Polizistin aus Graz hier? Waren die ermittelnden Beamten in ihrer Abwesenheit wiedergekommen?
Dr. Steiner legte Nicole eine Hand auf den Oberarm. Nikki starrte darauf.
Die Finger. Die Haut. Die Muttermale.
»Nicole?«
»Ist denn wieder Polizei bei uns in der Klinik? Geht es doch weiter? Und warum ist es jemand aus Österreich?«
»Davon weiß ich nichts. Nein, Frau Stark ist eine mögliche neue Patientin. Sie ist aus Köln angereist, arbeitet bei der Kölner Kriminalpolizei.«
»Oh.« Nicole stieß einen Seufzer aus. »Davon hat uns vorhin beim Schwestermeeting niemand etwas gesagt. In welchem Zimmer ist sie denn untergebracht?«
»Noch ist nichts fixiert. Willa Stark hat sich im Hotel Am Triller einquartiert, hat sie mir zumindest erzählt.«
»Willa Stark?«
»Ja.« Ira Steiner schmunzelte. »Sie gucken jetzt so, liebe Schwester Nicole, als würden Sie die Frau kennen?«
»Nein, ich … Vielleicht aber doch.«
»Ist denn Graz eine so kleine Stadt?«
»Nein, überhaupt nicht. Dort wohnen um die dreihundertfünfzigtausend Menschen. Also, kein Dorf. Der Vorname Willa ist ungewöhnlich.«
»Tag, Frau Dr. Steiner. Hallo, Nikki.«
Hartmut Dehn, der Chef der physiotherapeutischen Abteilung, ging an ihnen vorbei. Sein Bauch spannte über seinem weißen Poloshirt, seine Halbglatze glänzte. Er hob eine Hand zum Gruß. Wie beim pawlowschen Hund war Nicoles Reaktion wieder dieselbe. Er war der Täter. Wenn sie seine Hände begutachten könnte, würde es eine Übereinstimmung geben.
So konnte und durfte es nicht weitergehen. Es machte sie wahnsinnig, je mehr Zeit verging, desto mehr wuchs die Sache in ihr.
Hartmut Dehn blieb stehen und drehte sich zu den Frauen zurück.
»Frau Dr. Steiner, wissen Sie schon, dass Helga Edel verstorben ist?«
Ira Steiner faltete die Hände. »Das ist mir neu.«
»Vor zwei Tagen. Kreislaufversagen. Dabei hatte sie so große Fortschritte gemacht. Sie hat gemeint, bald hüpft sie wieder wie ein junges Mädchen.«
»Ach,