Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep
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Читать онлайн книгу Von Flusshexen und Meerjungfrauen - Jennifer Estep страница 16
Doch als sei es eine Fügung zu seinen Gunsten, sank nach und nach die Sonne immer tiefer in das Schilfgras, das den Steg umschloss, und blinzelte zwischen den Halmen hindurch, als wolle sie ebenfalls den Ausgang dieses ungleichen Wettstreits miterleben. Als die Strahlen die inzwischen fast völlig trockene Haut des Kappa trafen, stöhnte er leise auf, als hätte er Schmerzen, und für einen winzigen Moment ließ er in seinem Druck gegen Taros Hand nach, die ihrerseits mittlerweile unangenehm glitschig vor Schweiß war. Es war nur ein Augenblick, nicht länger als ein Blinzeln, doch Taro biss die Zähne zusammen und bündelte mit einem zischenden Laut alle Kraft, die ihm noch geblieben war. Dumpf schlug der Handrücken des Kappa auf dem Steg auf.
»Gewonnen!« Weit hallte Taros Jubelschrei über den abendlich stillen See.
Der Kappa starrte ihn aus seinen blutunterlaufenen Augen an. Sein Gesicht war starr, geradezu blank. Dann richtete er den Blick auf seine Hand. Und schließlich sah er wieder hinauf zu Taro, der auf die Füße gesprungen war in seiner Begeisterung. »Ja, es stimmt«, sagte er endlich langsam, als könne er es selbst noch nicht glauben. »Du hast gewonnen.«
»Dann holst du mir jetzt, was ich verloren habe!«, triumphierte Taro.
Der Kappa verzog das Gesicht, sodass es sich in noch unmöglichere Falten legte als zuvor. »Wer hat gesagt, ich würde es dir holen? Hol es dir gefälligst selbst!«
Taro riss die Augen auf. Er hatte es doch gewusst! Dieser glitschige Frosch versuchte ihn reinzulegen! »Was sagst du da? Wie soll ich das machen? Ich kann unmöglich so tief tauchen!«
Der Kappa lachte auf, es klang geradezu bösartig. »Keine Angst, Menschenkind. Ich habe versprochen, ich würde dir helfen. Und ich helfe dir auch. Komm mit.« Schon war der Kappa an ihm vorbeigehüpft in Richtung Ufer.
»He!« Taro sprang ebenfalls über das Loch im Steg und setzte ihm nach, ehe er im mehr als mannshohen Schilfgras verschwinden konnte. »Warte!«
Aber der Kappa wartete nicht. Taro rannte ihm hinterher, so schnell ihn seine Beine trugen. Dieser verräterische Frosch! Er würde ihn auf keinen Fall entkommen lassen.
Inzwischen war es völlig dunkel geworden. Nur der Vollmond stand klar und hell am Himmel. Der Sommernachtwind sang leise in den Schilfhalmen, als Taro sich hinter dem in unfassbarer Geschwindigkeit vorauseilenden Froschmann durch das Seegewächs schlug. Erst als es nur noch wenige Schritte sein konnten, bevor sie erneut auf das Seeufer stoßen mussten, blieb der Kappa so plötzlich stehen, dass Taro beinahe in ihn hineingelaufen wäre, und drehte sich zu dem Jungen um, um den Finger auf die Lippen zu legen.
Schnaufend blieb Taro stehen. Er hätte ohnehin nicht sprechen können vor lauter Atemnot, also nickte er bloß. Da winkte der Kappa ihn noch näher zu sich heran, dass Taro schon schwindelig wurde von dem durchdringend fauligen Fischgeruch, und deutete zwischen den Schilfhalmen hindurch in eine winzige Bucht.
Taro beugte sich ein wenig vor und spähte durch die monddurchwirkte Dunkelheit, bis seine Augen tränten. In der Bucht, fast vollständig verborgen zwischen einigen großen Felsen nahe dem Ufersaum, lag eine Gestalt im schimmernden Mondlicht und schlief. Es war eine Frau von kleiner, fast graziler Statur, mit schlanken Gliedern, einem schmalknochigen Gesicht und einem lang geschwungenen Wimpernkranz über hohen, scharfen Wangenknochen, der außergewöhnlich schöne, ausdrucksstarke Augen versprach. Selbst im Schlaf wirkte sie anmutig, und sogar ihr Atem, der die muskulöse Brust in gleichmäßigen Zügen wölbte, sprach von Kraft und Eleganz. Aber was Taro vor allem anderen den Mund offen stehen ließ, war das faltige Päckchen, das sorgsam zusammengelegt und verschnürt bei den Füßen der Frau lag. Taro erkannte es fast sofort, weil er dieselbe Textur so unfreiwillig lange und fasziniert bei seinem Wettstreit gegen den Froschmann angestarrt hatte, der gerade neben ihm hockte – nur dass sie in seinem Fall noch an seinem Körper hing.
War diese Frau also … eine Kappa-Frau? Sahen Kappa so unter ihrer Haut aus?
»Nimm sie mit«, hörte er in diesem Moment die Stimme des Kappa dicht an seinem Ohr wispern. »Wenn du ihre Haut anziehst, kannst du unter Wasser schwimmen und atmen.«
Taro drehte sich ruckartig um und starrte in sein triefäugiges, fischstinkendes Gesicht. Was sollte er tun? Eine Kappa-Haut stehlen und sie anziehen?
»Jetzt nimm sie schon«, zischte der Kappa ungeduldig und stieß ihn so heftig an, dass Taro mit einem erstickten Laut aus der Deckung des Schilfgrases herausstolperte. »Bevor sie aufwacht!«
Taro stand da wie angewurzelt. Mit angehaltenem Atem starrte er auf die schlafende Kappa-Frau, als könne selbst der leiseste Luftzug sie wecken.
Doch die Kappa rührte sich nicht.
Ihm blieb keine Wahl, dachte Taro verzweifelt. Er musste Yaes Schwert wiederbekommen. Die Hilfe des Kappa war die einzige Hoffnung, die ihm blieb. Um das Schwert zu finden, musste er in den See hinab, und dorthin würde er nicht gelangen, ohne die Haut der Kappa-Frau anzuziehen. Er konnte sie ja danach zurückgeben, versuchte er sich zu beruhigen, genau wie das Schwert. Was ihm bloß nicht in den Kopf wollte, war, warum der Froschmann so versessen darauf war, dass er mit ihm ging, statt einfach selbst nach dem Schwert zu tauchen und seine Schulden so schnell wie möglich einzulösen. Irgendetwas stimmte da nicht.
Aber weil er ja wirklich keine Wahl hatte, beschloss Taro kurzerhand, nicht länger darüber zu grübeln, sondern zu handeln. Entschlossen machte er ein paar Schritte nach vorn, ergriff das glitschige Haut-Päckchen mit beiden Händen und hastete zurück ins schützende Schilf. Kaum dort, packte der Kappa ihn auch schon am Handgelenk und zerrte ihn erneut mit sich, und wieder rannten sie durchs Schilf, immer weiter, ohne anzuhalten, bis sie endlich den alten Steg mit der zerborstenen Planke erreichten und sich keuchend auf die klammen Planken sinken ließen.
»Also jetzt erklär mir das noch einmal«, japste Taro, als er wenigstens halbwegs wieder zu Atem gekommen war. »Ich kann mit dieser Haut unter Wasser atmen? Heißt das, diese Frau kann das jetzt nicht mehr? Warum hat sie sie dann ausgezogen?« Noch immer umklammerten seine Finger das schlabbrige Hautpäckchen, als wollten sie es nie wieder loslassen. Er konnte noch gar nicht glauben, dass er es wirklich getan hatte. Eine Haut gestohlen, um sie sich selbst anzuziehen! Eine stinkende Kappa-Haut noch dazu!
»Unser Volk lebt im Wasser, aber wir schlafen an Land«, erklärte der Kappa, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Unbequeme Häute legt man ab, wenn man schläft. Macht ihr Menschen das nicht so? Sonst fühlt man sich ja danach steif wie ein Stück Treibholz.«
Taro starrte ihn ungläubig an. Das stimmte natürlich in gewisser Weise. Aber eine Haut war doch kein Kleidungsstück!
Der Kappa starrte triefäugig zurück. »Wir müssen allerdings nicht sehr oft schlafen. Nur zweimal im Jahr. Du hattest echtes Glück, Menschenjunge. Also was nun? Ziehst du sie an oder nicht?«
Taro sah wieder hinunter auf die Haut in seiner Hand. Sie war glitschig. Schleimig und feucht, aber eigentümlich warm. Und sie stank. Sie stank abscheulich. Aber er musste stark sein! Er musste das Schwert zurückholen, und zwar noch heute Nacht. »Ja«, sagte er und stemmte sich auf etwas zittrige Beine. »Ich ziehe sie an.«
Erneut zeigten sich die Nadelzähne des Kappa, als er grinste. »Fabelhaft.«
Taro