Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep
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»Nein!«, rief Taro heftig. »Ich werde dir nicht helfen, eine unschuldige Frau zu töten, die nichts Schlimmeres verbrochen hat, als Musik zu machen!«
Der Kappa lachte höhnisch auf. »Natürlich wirst du das nicht. Du hast es nämlich schon getan. Und du wirst mich jetzt auch nicht mehr daran hindern. Bis später, Menschenkind.« Damit verschwand er von dem winzigen Fenster und ließ Taro allein.
»He! Warte!« Taro paddelte hastig zum Fenster und sah den Froschmann eben noch in einem Dickicht aus Wasserpflanzen verschwinden, das hinter der Hütte wuchs wie ein kleiner Wald. »WARTE!«
Aber seine Menschenstimme verklang schnell im Wasser und der Kappa hörte ihn nicht – oder wollte ihn wohl auch einfach nicht hören. Taro starrte verzweifelt den Luftblasen hinterher, die aus seinem Mund entwichen und zu der plötzlich so unerreichbar fern scheinenden Wasseroberfläche hinauftrieben. Was sollte er nur tun? Er musste hier irgendwie rauskommen! Aber die Fensteröffnung war zu klein, die Tür fest verschlossen, und die Algenwände so viel unnachgiebiger, als sie auf den ersten Blick aussahen. Rastlos schwamm Taro hinüber zum nächsten Fenster, das in eine Art winzigen Garten aus Seegras und Sternpflanzen blickte. Auch dieses war viel zu klein, als dass er sich hätte hindurchzwängen können. Wie zum Hohn schwammen ein paar Fische an ihm vorbei in die Hütte, drehten eine kleine Runde und schwammen wieder hinaus. Taro hätte weinen mögen.
In diesem Moment jedoch geschah ein kleines Wunder. Als Taro den Fischen mit dem Blick folgte, wie sie ruhig und glitzernd im Unterwassergarten ihre Kreise zogen, sah er plötzlich im Seegras unter dem Fenster etwas funkeln. Ein verirrter Strahl gebrochenen Mondlichtes fing sich im blanken Metall einer … Schwertklinge?
Taro schnappte nach Luft. Yaes Schwert! War das möglich? Konnte das wirklich wahr sein? Konnte seine Rettung wirklich, wie der Kappa gesagt und doch eigentlich gelogen hatte, von der Strömung bis hierher und in Reichweite seines Armes getrieben worden sein? Oder zumindest beinahe in Reichweite. Denn sosehr Taro sich auch streckte und sich gegen die Algenwand presste, um den Arm noch ein Stück weiter durch das kleine Fenster zu schieben, er schaffte es nur gerade eben, den Schwertgriff mit seinen Fingern zu streifen. Ein Werkzeug. Er brauchte ein Werkzeug!
Sein Blick fiel auf die Seegrasnester, die das Kappa-Haus dekorierten. Und wenn er sich eine Schlinge aus Gras knüpfte und sie an einen der dekorativen Stöcke band?
Entschlossen machte sich Taro an die Arbeit. Es brauchte eine ganze Weile, bis er mit den Schwimmhaut-Fingern und in der ungewohnten Schwerelosigkeit des Wassers eine Art Angel zusammengebastelt hatte. Und noch länger dauerte es, bis er es tatsächlich schaffte, die Schlinge aus dem Fensterloch heraus und um den Schwertgriff zu manövrieren. Selbst unter Wasser schwitzte er inzwischen wie nach einem Tagwerk bei der Buchweizenernte. Wenn es ihm nun wieder abrutschte, wenn es weiter davontrieb, wenn …
Doch dann, endlich, schlossen sich seine Finger um den Schwertgriff, und er zog die Klinge vorsichtig durch das Fenster zu sich herein. Er hatte das Gefühl, noch nie in seinem kurzen Leben so erleichtert gewesen zu sein, obwohl er gar nicht wusste, wie genau ihm die Klinge helfen konnte. Es fühlte sich einfach unbeschreiblich gut an, sie wiedergefunden zu haben.
In diesem Augenblick hörte er vor dem anderen Fenster jemanden ein zufriedenes Liedchen pfeifen, das sich rasch näherte. Ein schneller Blick verriet Taro: Der Kappa kam zurück! Er trug eine Schale mit etwas, das seltsam schleimig und tentakelig aussah. Taro verbarg das Schwert hastig hinter einem der Seegrasbüschel. Er wusste es besser, als den Kappa offen mit der Waffe zu konfrontieren. Der Froschmann war hier im Wasser zu Hause. Er selbst war trotz seiner neuen Haut immer noch ein Mensch, der im fremden Element höchstens unbeholfen herumpaddeln konnte. Hier unten würde er den Kopfteich des Kappa nicht durch eine List leeren können, und kein Sonnenstrahl würde ihm zu Hilfe kommen. Er musste ihn also auf andere Art bezwingen, auch wenn er noch nicht wusste wie. Also hockte sich Taro auf das Seegrasbüschel, hinter dem er das Schwert versteckt hatte, und wartete, dass die Tür sich endlich öffnete.
Der Kappa kam sehr vorsichtig herein, als erwartete er, dass Taro hinter der Schwelle auf ihn lauern würde, um ihm einen Stein über den Kopf zu ziehen. Als er allerdings sah, dass der Junge nur scheinbar verzweifelt in einer Ecke hockte, breitete sich ein selbstgefälliges Lächeln auf seinem Gesicht aus. »So. Hast du verstanden, dass du nicht entkommen kannst? Gut für dich. Sieh her. Ich bringe dir Essen – ich halte meine Versprechen!«
Aber Taro hatte keinen Appetit, auch wenn sein leerer Magen sich bereits vor Hunger verknotete. Wie lange war er bloß schon hier unten? Dem Licht nach zu urteilen, war der neue Tag noch nicht angebrochen, aber lange konnte es nicht mehr dauern. Das nachtblaue Wasser begann bereits langsam seine Farbe zu verändern. Er musste unbedingt bald nach Hause. Wenn er nur irgendwie an dem Kappa vorbeikäme!
In diesem Moment erklang, wie zur Antwort auf seine Gedanken, ein lang gezogener, durchdringender und dabei leicht blubbernder Ton. Er kam von weit her, von oben herab, gefolgt von einigen weiteren, spielerisch hüpfenden und zugleich klagenden Klängen, die sich rasch durch den ganzen See verbreiteten und das Wasser ringsumher vibrieren ließen. Der Kappa erstarrte. Und auch ohne dass er die Musik zuvor je vernommen hätte, wusste Taro augenblicklich, was er da hörte. Die Kappa-Frau ließ sich durch ihr unfreiwilliges Landexil nicht davon abhalten, ihr Morgenlied zu spielen. Vielleicht weniger als je zuvor.
»Das ist doch nicht zu fassen!«, zischte der Kappa und schwamm halb aus der Tür hinaus, um hinauf zur Oberfläche zu starren. »Dieses Fischweib! Das tut sie nicht!«
Es war seine Chance. Taro hatte kaum Zeit, seine eigenen Gedanken zu hören, ehe er handelte. Entschlossen packte er das Schwert mit beiden Händen und riss es aus seinem Versteck im Seegras. Dann schoss er auf den Kappa zu, der zu spät bemerkte, wie ihm geschah, und zog die Klinge von unten nach oben über den Froschkörper. In der trägen Schwerelosigkeit des Wassers schien jede Bewegung wie in Zeitlupe abzulaufen. Das Schwert nahm kaum an Geschwindigkeit auf, und als es auf die zähe, faltige Haut traf, glaubte Taro für einen Augenblick, es würde sich einfach darin verfangen und stecken bleiben, um ihm zum zweiten Mal an diesem Tag aus den Fingern zu gleiten.
Aber nicht diesmal. Diesmal schloss Taro die Hände fest um den Griff, einen Finger nach dem anderen, wie Mina-sensei es ihm schon so oft verzweifelt zu erklären versucht hatte. Das Te-no-uchi – dieses eine, entscheidende Mal gelang es ihm. Und die Haut des Kappa riss.
Als müsse die Zeit die zuvor verlorenen Momente wieder aufholen, ging nun alles sehr schnell. Der Froschmann brüllte auf, vielleicht vor Schmerz, vielleicht vor Schreck. Dunkles Blut, fast schwarz im nachtfarbenen Wasser, blühte in schleierartigen Blumen auf und nahm Taro die Sicht. Er spürte mehr als er sah, wie der Kappa zu fliehen versuchte, und mehr aus Reflex denn aus einer klaren Absicht heraus ließ Taro das Schwert fallen, um seinen Feind zu packen. Seine Froschfinger sanken tief in die weiche Haut ein und saugten sich schmatzend daran fest. Und als der Kappa sich mit einem Fauchen zu ihm umdrehte, um sich zu befreien, da glitt die Haut mit einem lauten Schlürfen von seinem Körper, und eine sehnige, muskelbepackte und doch zugleich fast schlangengleich dünne Gestalt kam zum Vorschein, die Taro aus einem Maul voll spitzer Zähne wütend anbrüllte, bis der ganze See unter dem dröhnenden Laut vibrierte.
Doch schon im nächsten Augenblick weiteten sich die Augen des nackten Kappa vor Entsetzen, als ihm klar wurde, dass er ohne seine Haut nicht würde einatmen können. Mit