Von Flusshexen und Meerjungfrauen. Jennifer Estep
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Читать онлайн книгу Von Flusshexen und Meerjungfrauen - Jennifer Estep страница 15
Der Kappa musterte ihn, das unförmige Gesicht in skeptische Falten gelegt. »Verloren, wie? Was könnte das sein? Und was würdest du wohl tun, um es wiederzubekommen?«
Seine Augen waren erstaunlich klar und fast schon menschlich, wenn man sich die blutigen Tränensäcke wegdachte. Aber sein Blick, listig funkelnd und geradezu heimtückisch, jagte Taro einen Schauer über den Rücken. »Was meinst du damit?«
Der Kappa richtete sich ein Stück auf. »Ich meine, dummes Menschenkind, dass du meine Hilfe brauchen kannst mit dem, was du verloren hast. Oder willst du reinspringen ins Wasser und es selbst suchen? Wir Kappa kennen die Strömung, die alles hinauszieht in die Tiefen des Sees. Wir kennen den Grund und die Seegrashöhlen. Was auch immer du verloren hast – ich kann dir helfen, es wiederzufinden.«
»Ehrlich?!« Im ersten Moment wäre Taro am liebsten jubelnd aufgesprungen vor Erleichterung. Aber die Freude verging ihm rasch. Das war ein Kappa! Ein Wasserkobold, der Menschen ertränkte! »Warum solltest du das tun?«, fragte er misstrauisch. »Was willst du dafür von mir?«
Der Kappa grinste verschlagen. »Nicht viel, gar nicht viel. Du musst mich nur im Armdrücken besiegen, dann helfe ich dir.«
Taro dachte angestrengt nach. Davon handelten die Geschichten auch: Dass Kappa, wenn man ihnen begegnete, die Menschen gern zu einem Wettstreit herausforderten, also sagte dieser Frosch vielleicht die Wahrheit. Trotzdem musste er wachsam bleiben. Er war ja nicht dumm. »Und wenn ich verliere?«
Das Grinsen des Kappa wurde breiter und entblößte zwei Reihen winziger, nadelspitzer Zähne. »Dann sagst du mir, was du verloren hast, und ich darf es behalten.«
Taro musterte den Kappa von oben bis unten. Er sah schmächtig aus mit seinen mageren Ärmchen und der dürren Brust, über der die ledrig grüne Haut faltig herunterhing, als hätte der Kappa sie wie ein nachlässig angezogenes Kleidungsstück übergeworfen. Taros eigene Arme waren nicht viel weniger dünn, aber er war stärker, als er aussah, und er war deshalb selbst schon ziemlich oft im Kampf unterschätzt worden. Schwer zu sagen also, wie stark dieser Kappa wirklich war. Viel mehr Sorgen machten Taro allerdings seine listigen Augen. Er würde bestimmt nicht ehrenhaft kämpfen – was Taro grundsätzlich nicht viel ausmachte. Ehre war ein Ideal für einfältige Samurai. Die Shinobi von Aoyama-gō hatten klügere Werte. Aber es bedeutete, dass Taro noch listiger sein musste.
Er holte tief Luft. »Einverstanden.«
Der Kappa blinzelte ihn schlau an. »Fabelhaft. Also komm rüber und lass uns anfangen!« Damit tauchte er die Hände durch das Loch im Steg und schüttete sich aus der Handschale eine beachtliche Ladung Wasser über den Kopf. Fasziniert beobachtete Taro, wie es von den Algenhaaren abperlte und sich in einer Mulde oben auf dem Kopf des Kappa zu einer funkelnden Pfütze sammelte, die leicht hin und her schwappte, als der Froschmann zum Ende des Stegs hüpfte, wo er sich flach auf den Bauch legte und seinen Arm in Position brachte.
Entschlossen machte Taro einen großen Schritt über das Loch im Steg hinweg und legte sich dem Kappa gegenüber. Es kostete ihn ein wenig Überwindung, nach der grünen Hand zu greifen, die glitschig aussah und kalt – und sich auch genauso anfühlte, als er es schließlich doch tat. Aber Taro ließ sich sein Unbehagen nicht anmerken und packte stattdessen noch etwas fester zu.
»Bereit?« Der Kappa lächelte siegessicher.
Taro nickte grimmig. »Bereit.«
Sie begannen zu drücken. Doch Taro musste schnell einsehen, dass der Kappa, ganz wie befürchtet, längst nicht so schwach war, wie er aussah. Das Wasser in seiner Kopfmulde funkelte, und wo ein Tropfen über den Rand kullerte, schien er sich zu vertausendfachen und strömte über die Arme des Kappa wie Sturzbäche von kaltem Schweiß, sodass Taro kaum Halt an den glitschigen Fingern fand. Und so dauerte es auch gar nicht lange, da hatte der Froschmann seine Hand schon ein gutes Stück in Richtung der Planken gedrückt. Taro schnaufte und schwitzte und versuchte vergeblich, seinen Griff zu festigen. Das Wasser … es musste mit irgendeinem Kappa-Zauber belegt sein! Wenn es so weiterging, würde er verlieren!
Da kam ihm eine Idee. Eine kühne oder vielleicht sogar aberwitzige Idee. Aber er musste es wenigstens versuchen.
»Halt!«, keuchte er. »Wir müssen noch einmal von vorn anfangen!«
Der Kappa lachte ein gurgelndes Lachen und drückte Taros Hand noch ein Stück weiter herunter. »Ha! Du willst mich wohl austricksen!«
»Nein!« Taro biss die Zähne zusammen und versuchte verzweifelt gegenzuhalten, während er log, so überzeugend er nur konnte. »Aber ein Wettstreit ist ohne Ehre, wenn sich die Kämpfenden nicht formell begrüßt haben. Ich bitte dich! Ich bin Samurai. Wenn du mich jetzt besiegst, wo wir uns nicht einmal den Regeln gemäß begrüßt haben, verliere ich mein Gesicht.«
Der Kappa ließ nicht sofort in seinem Druck nach. Doch Taro sah das Zögern, das in seinen Augen aufblitzte. »Ich habe viele Samurai kennengelernt«, sagte er. »Aber davon habe ich noch nie gehört.«
Taro zog eine Grimasse. Seine Hand war nur noch wenige Fingerbreit vom Holz des Steges entfernt. »Vielleicht, weil sie dich nicht respektiert haben«, brachte er hervor. »Ich aber respektiere dich, wie ich jeden Krieger respektieren würde.«
Der Griff des Kappa lockerte sich ein winziges bisschen. Und in seinem Blick meinte Taro nun zu sehen, dass er sich von seinen Worten geschmeichelt fühlte. Ausgerechnet Respekt brachten ihm bestimmt nicht viele Menschen entgegen.
»Also schön«, quakte der Froschmann schließlich und ließ Taros Hand los, richtete sich ein Stück auf und beäugte ihn misstrauisch. »Zeig mir, wie ihr Samurai euch begrüßt.«
Taro nickte hastig, während er sich noch bemühte, wieder zu Atem zu kommen und zugleich ein wenig Zeit zu schinden. Er wusste doch selbst nicht genau, wie die Regeln der Samurai waren. Aber er hatte genug Geschichten über sie gehört, um sich selbst eine ausdenken zu können. Wenigstens eine kleine.
»Wir sitzen im seiza.« Er zog die Knie unter den Körper, hielt sich sehr gerade und legte die Hände auf die Oberschenkel. So wartete er, bis der Kappa es ihm gleichgetan hatte. »Und dann verbeugen wir uns.« Er verneigte sich tief, bis seine Nase beinahe das feuchte Holz des Steges berührte. Dabei ließ er den Kappa nicht einen Moment aus den Augen. Auch der Froschmann verneigte sich nun. Tiefer. Noch tiefer. Bis das Wasser aus seiner Kopfmulde über seine Stirn auf den Steg tropfte. Immer mehr und mehr, bis der Tümpel beinahe leer war, doch er schien es gar nicht zu bemerken, so konzentriert auf die Begrüßung war er.
Taro jubelte innerlich. Es hat funktioniert!
»Ich danke dir«, sagte er schnell. »Dann lass uns jetzt anfangen. Keine Verzögerungen mehr, ich verspreche es!« Rasch legte er sich wieder auf den Bauch, in der Hoffnung, dass der Kappa keine Gelegenheit bekäme, über den Verlust seines kleinen Kopfteiches nachzudenken, und schon gar nicht daran, sich einen neuen anzulegen, bevor sie in ihrem Wettstreit fortfuhren. Der Kappa schoss ihm einen funkelnden Blick zu, und wieder dachte Taro, dass diese klaren Augen gar nicht zu dieser schrumpelig-faltigen, grünschleimigen Gestalt passen wollten.
»Mit Vergnügen«, sagte der Kappa und packte Taros Hand erneut.
Taro bemerkte den Unterschied sofort. Es war, als wäre der Film auf der Haut des Kappa ein wenig rau, fast krümelig geworden. Diesmal würde er zumindest nicht abrutschen, da war er sich sicher.