Sternschnuppen. Gudmund Vindland

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Sternschnuppen - Gudmund Vindland

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      Gudmund Vindland

      Sternschnuppen

      Roman

       Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs

      Lindhardt & Ringhof

      Gudmund Vindland, Jahrgang 1949, ist in Oslo aufgewachsen und lebt dort als freier Journalist und Autor. Als 1979 sein erster Roman »Der Irrläufer« (AtV 1819) in Norwegen erschien, sorgte er für großes Aufsehen und wurde zum Bestseller. 1989 kam der Roman »Stjerneskudd« (dt.: »Sternschnuppen«) heraus.

      Voller Witz und Selbstironie, voller Leidenschaft und Furor erzählt der junge Yngve Vilde vom schwulen Leben im Norwegen der 70er und 80er Jahre. Hin- und hergerissen zwischen seiner Sehnsucht nach inniger Zweisamkeit und seiner unwiderstehlichen Lust an allem, was die Sinne erfreut, sucht er seinen Weg. Seine große Liebe heißt Øystein. Mit dem Sproß einer Industriellenfamilie lebt Yngve in einer bunten Land-WG, in der sowohl marxistisch-leninistischen Ideen als auch Alkohol, Nacktbaden und klassischer Musik gefrönt werden. Yngve und Øystein geben sich zwar ein Eheversprechen, doch als Øystein nach einem Besuch bei seinem dominanten Großvater zu Yngve zurückkehrt, ist nichts mehr wie früher. Obendrein veröffentlicht die Maoistische Partei ihren skandalösen Kommentar zur Homosexualität, so daß sich der überzeugte Marxist Øystein gänzlich von Yngve lossagt. Die Kommune zerbricht, und Yngve zieht nach Oslo, wo er in die Schwulenszene und ein Leben im Alkohol- und Drogenrausch eintaucht. Dann verliebt er sich aufs neue und verbringt himmlische Tage mit dem jungen Truls, bis er von dessen Mutter das wahre Alter des Jungen erfährt. Yngve flieht abermals und sammelt Frust und Kilos an. – Bis eines Tages Øystein wieder vor seiner Tür steht. Nach all den Enttäuschungen scheint Yngve nun doch noch sein Happy-End zu bekommen. Doch in dem Moment zeichnet sich eine neue, ungeheure Bedrohung ab ...

      Mit Dank an Eli Håvard, Ivar, Øyvind und alle anderen in der Stiftung Stjärnsund

      Für meinen geliebten Arne und alle anderen Positiven

       Die Feuertaufe

      Es war bereits hell. Das merkte ich, ohne die Augen zu öffnen. Dann fiel mir ein, wo ich war und warum, und ich kniff sie hart wieder zusammen, um die unbarmherzige Wirklichkeit so lange wie möglich auszuschließen. Aber die Angst kam von innen. Sie war immer da, wie ein Dorn in meiner Seele, um mich daran zu erinnern, wer ich war; ich konnte niemals ein anderer werden als Yngve Vilde, vierundzwanzig Jahre, Korrekturleser bei der Prawda, erst vor vier Monaten aus Norwegens meistgepriesenem Irrenhaus entlassen – eine Tatsache, die mich dazu brachte, mich hinter meinen zusammengekniffenen Augenlidern nur noch mehr zusammenzukrümmen. Seit Wochen fürchtete ich mich schon vor dem Licht und vor dem Tag da draußen. Es war der Morgen des ersten Mai, und ich würde zum ersten Mal an dem Platz, an den ich gehörte, an einer kommunistischen Demonstration teilnehmen – im Rosa Block. Ich streckte den Arm aus und tastete nach dem einzigen festen Haltepunkt, den es in meinem Dasein gab – nach meinem Liebsten –, und doch, er war da. Øystein Einhorn lag neben mir und schlief den Schlaf der Unschuldigen; er, der mich mit Lockungen und Drohungen dazu gebracht hatte, mich an diesem übermenschlichen Projekt zu beteiligen.

      Ich hatte tierische Angst. Ich hatte Menschenmengen und Massenveranstaltungen noch nie ertragen können. Das einzige, womit ich mich zur Not abfinden konnte, waren die Schlangen im staatlichen Alkoholladen. Meine größte Leistung in dieser Hinsicht war eine Demo gegen EG und Inflation im Jahre 1972 – und dabei hatte ich einen Mann mit einem großen Löwenherzen kennengelernt –, aber das war anders gewesen. Erstens war mehr als die Hälfte der Bevölkerung derselben Ansicht wie ich. Zum anderen war es vor meinem totalen Zusammenbruch und der darauf folgenden Genesung. Diesmal aber sollte ich an der kommunistischen Maidemo teilnehmen, die höchstens zehn Prozent des Volkes mit Wohlwollen betrachtet. Außerdem sollte ich öffentlich als Schwuler auftreten – und ich war immer noch äußerst skeptisch denen gegenüber, die behaupteten, daß sich die allgemeinen Ansichten radikal zum Besseren änderten. Ich war davon überzeugt, daß sich die wachsende Toleranz auf die Theorie beschränkte. Ich war sicher, daß es gefährlich war, die Leute dadurch zu provozieren, daß wir ganz offen durch die Straßen der Hauptstadt trampelten. Deshalb hatte ich eine Scheißangst davor, unter wehenden und stolzen homopolitischen Fahnen zu marschieren. Aber es half kein Zappeln und kein Schrei’n. Øystein wollte, daß ich dabei war, und da hatte ich im Grunde keine Wahl.

      Ich hatte an einigen Treffen des »Verbands von 1948«, der norwegischen Lesben- und Schwulenorganisiation, teilgenommen, der sich langsam zu einer starken Kampforganisation für homosexuelle Emanzipation entwickelt hatte, mit immer radikalerer Ausprägung. Natürlich gab es innerhalb des Verbandes starke Gegensätze. Zu ihm gehörten schließlich Mitglieder aller politischen Schattierungen – von Rechten bis zu Marxisten-Leninisten –, unsere sexuelle Orientierung war unsere einzige Gemeinsamkeit. Aber bisher hatten wir uns auf eine gemeinsame Linie einigen köönnen, die einzige Ausnahme bildeten die Anarchos. Die waren im allerhöchsten Grad mit dem Ausbrechen beschäftigt.

      Durch Øystein war ich mit der ML-Fraktion des Verbandes bekannt geworden, die aus etwa zwanzig engagierten Knaben und wenigen Mädels bestand. Sie waren eine sympathische und anregende Gesellschaft, mit der ich mich immer stärker verbunden fühlte, aber ich war doch noch nicht bereit, in die Partei einzutreten und ein vollwertiger Teil der Bruderschaft zu werden. Daß Øystein Mitglied war, war für mich nicht automatisch ein Grund. Ich hatte mich bisher zu einem Dasein als Zaungast entschlossen – aber heute fühlte ich mich gezwungen, vom Zaun herunterzuspringen und an der Demo teilzunehmen. Ich biß die Zähne zusammen, öffnete die Augen und ging unter die Dusche.

      Wir trafen uns zum Frühstück im Schwulencafé, und ich war so nervös, daß ich am ganzen Körper zitterte – und natürlich war ich stocknüchtern. Die Alkoholpolitik in unserer WG war äußerst gemäßigt, und ich hatte seit über einem halben Jahr schon keine beruhigenden Pillen mehr geknabbert. Deshalb fühlte ich mich vollkommen ausgeglichen und hatte Stacheldrahtnerven entwickelt.

      Zu meiner großen Überraschung wurde zum Frühstück Bier serviert, und einen Moment lang spielte ich mit dem Gedanken an eine leichte Notlösung, nämlich, ein bis drei Halbe zu kippen. Aber da griff Über-Yngve ein und bestellte Kaffee. Mein frischrestauriertes Über-Ich ließ sich nicht zu einer Mäßigung seiner strengen Forderungen manipulieren: Wenn ich schon zu einer Demo ging, dann wollte ich das auch mit klarem Kopf erleben und nicht in tranigem Bierrausch herumwuseln. Basta! Leider machte mich der viele Kaffee durchaus nicht weniger nervös, aber zum Ausgleich törnte mich die starke Stimmung beim Frühstück total an. Wir waren mehr als sechzig Schwule und Lesben, die in die Welt ziehen und den Leuten klarmachen wollten, daß wir stolz darauf waren! Wir sangen Kampflieder und hielten Appelle und fühlten uns phantastisch, ehe wir uns zum Grønland-Platz begaben, wo die Demo anfangen sollte. Was danach passierte, registrierte ich mit glasklaren Sinnen, auch wenn ich mich nicht gerade bodennah fühlte.

      Überall waren überwältigend viele Leute. In Brugata und Grønlandsleiret wimmelte es von Menschen, und der riesige Grønland-Platz war fast voll. Was mir als erstes auffiel, waren die vielen Trachten. Jede dritte Frau schien in Tracht zu gehen, und das ergab für mich keinen Sinn. Ich war zu einer radikalen Arbeiterdemonstration gekommen – nicht zu einem Spielmannstreffen. Ich konnte nicht fassen, daß es so viele radikale Bauerntöchter geben sollte. Erst vor einem Jahr hatte ich persönlich in der Prawda einige Artikel Korrektur gelesen, die sich mit der bizarren Tatsache befaßten, daß sich der Norwegische Bäuerinnenverband mit großer Mehrheit dagegen ausgesprochen hatte, unser königliches Reichserbhofgesetz auch auf Frauen auszudehnen. Jetzt kapierte ich den Zusammenhang überhaupt nicht mehr. Bis wir unsere munteren Mitbewohnerinnen trafen, Ragnhild und Inga, die ebenfalls in Tracht waren. Alle beide. Ragnhild war per Definition nach dem neuen Gesetz Anerbin, ihre Hedmarkstracht war also in Ordnung. Aber was war mit Inga? Sie war doch trotz allem auf Holmenkollåsen aufgewachsen. Unterstützt von ihrer energischen Körpersprache, die ihren Silberschmuck lustig klingeln ließ, klärte sie dieses Mysterium

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