Sternschnuppen. Gudmund Vindland

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Sternschnuppen - Gudmund Vindland

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auch alle Frauen in meiner Klasse. Das ist einfach so«, sagte Inga Lunde.

      Ich traute mich nicht, sie zu fragen, was genau sie mit »Klasse« gemeint hatte, aber mir ging auf, daß die meisten Frauen aus dem guten Bürgertum ihre fleckenlosen Nationaltrachten trugen. Und warum nicht? Sie brachten jedenfalls Farbe in die Menschenmenge, aber ansonsten wirkten sie ein wenig eingeschnürt und schienen in der brennenden Sonne zu schwitzen, die Armen. Und sie waren nicht die einzigen. Bei näherem Hinsehen zeigte es sich, daß ein großer Prozentsatz der demonstrierenden jungen Männer in Anzug und Schlips angetreten war. Das begriff ich einfach nicht, nahm es aber ohne weiteres Nachdenken hin, auf dieser Welt ist eben kein Ding unmöglich.

      An jenem Vormittag des ersten Mai war die Folklore auf Grønland mächtig vertreten. Mit Blaskapellen und Rockbands auf Lastwagen und starken Appellen aus unzähligen Megaphonen. Und jeder Zehnte der sechstausend Anwesenden verkaufte irgendein radikales Pamphlet; man brauchte einen Rucksack, um eine kleine Auswahl davon mit nach Hause nehmen zu können. Ich beschränkte mich darauf, einen Anstecker mit wehenden roten Fahnen zu kaufen, der auf meinem bescheidenen Jackenrevers, Marke Levi’s Cord, wunderhübsch aufleuchtete. Weiter mochte ich einfach nicht gehen. Ich weigerte mich kategorisch, mir irgendein Schwulenabzeichen anzupappen. Zum Ausgleich klammerte ich mich an Øystein, der Plaketten genug für uns beide hatte. Es war einfach notwendig für mich, körperlichen Kontakt zu ihm zu haben. Ich wußte, daß ich zerreißen würde, wenn ich in dieser lärmenden Menschenmenge auch nur eine einzige Sekunde auf eigenen Füßen stehen müßte.

      Der Rosa Block war ungefähr in der Mitte der Demo angesiedelt, und bald wickelten die Enthusiasten Transparente mit stolzen Losungen auseinander:

      Keine Unterdrückung von Homosexuellen mehr!

      Homosexuelle Frauen und Männer – gemeinsam sind wir stark!

      Schluss mit der gesetzlichen Diskriminierung von Homosexuellen!

      Inzwischen sammelten sich an die hundert kampfesbereite Menschen unter diesen Fahnen. Wir standen in Sechserreihen, bewegt und entschlossen, und warteten auf den Abmarsch, als eine heulende Stimme allen anderen Lärm übertönte und mit gewaltiger Kraft mein inneres Ohr erreichte: »Tutta, Tuttaaa! Maaaine Güte, demonstrierste auch? So was habe ich ja noch nie gesehen! Vom Irrenhaus zur Demo! Halten deine Nerven das denn aus?«

      Das war Terje, das hörte ich an seiner Stimme, aber ich konnte diese Stimme nicht mit dem Wesen in Verbindung bringen, das sie von sich gab. Vor mir stand nämlich eine Art Sennerin mit zwei langen blonden Zöpfen und rotweißblauen Schleifen. Sie war ganz schön üppig – oder, genauer gesagt, ausgestopft – und trug die fescheste Tracht, die ich an diesem Vormittag entdeckt hatte. Aber anstelle von Silber und Gold hatte die Dame sich haufenweise Plaketten und Anstecker mit den allerfrappierendsten Botschaften an den Busen geheftet, von »Kein Ausverkauf Norwegens!« bis zu »Legalize Erdbeereis!«. Ihr ganzer üppiger Busen sah aus wie eine Generalissimo-Uniform, was von zwei roten Wangen und einem schwarzgefärbten Vorderzahn noch betont wurde.

      Diese freudige Überraschung mußte mir eine Art Schock verpaßt haben, ich brachte kein Wort heraus. Einerseits wäre ich ihm gerne um den Hals gefallen und hätte ihn herzhaft betatscht, andererseits war mir mit aller wünschenswerten Deutlichkeit klar, daß das hier nicht zum Programm gehörte. Er war einfach knatschverrückt. Wir sollten im Kampf für unsere sonnenklaren demokratischen Rechte durch die Straßen marschieren, und da tauchte Terje, mein bester Freund unter allen Menschen, von nirgendwoher auf – und auf so irrwitzige Weise. Er würde alles ruinieren.

      »Das hier ist Ernst«, sagte Øystein und legte mir energisch den Arm um die Schultern. »Das hier ist kein Karneval!«

      »O doch, Schwesterchen, das hier ist der internationale Festtag der Arbeiterklasse, damit du’s weißt, und ich hab mich in meinen feinsten Zwirn gezwängt – genau wie alle anderen Mädels in dieser Gaunerbande! Außerdem steht im Programm, daß alle unter ihren eigenen Prämissen oder so teilnehmen können, und da war’s doch höchste Zeit, daß ich die Mottenkugeln aus diesem Prachtwams herausschüttele; das hab ich übrigens von meiner Großmutter aus Homotal geerbt.«

      Terje lief mit Speed – daran konnte kein Zweifel mehr bestehen –, deshalb war er vööllig unaufhaltsam, wenn auch nicht total unwiderstehlich. Ich hatte ihn zuletzt im Januar gesehen, als er seinen Job bei der Straßenbahn hingeschmissen hatte, weil er mit einem Porschefahrer nach München gurken konnte, aber jetzt war er also vom Kontinent heimgekehrt, um den großen Tag im Land seiner Mütter zu begehen. Ich versuchte, mich zu konzentrieren, um etwas Nettes und Lehrreiches zu sagen, aber daraus wurde nichts. Terje Falkenauge war natürlich nicht allein.

      Eine kreischende Volksmenge von mindestens zwölf Personen wälzte sich hinter ihm her – und sie wirkten eher wie zwölf Dutzend. Sie trugen die unmöglichsten Damenkostüme dieses Jahrtausends – Seide und Straußenfedern, Krinolinen und Häubchen –, und sie trugen ein riesengroßes Transparent mit einer goldenen Inschrift auf schockrosa Grund:

      Schwule sehen aus wie alle anderen!

      Ich kann fast mit Sicherheit sagen, daß mich diese Behauptung vor einem totalitären Angstanfall rettete. Schließlich war es komisch! Es war eine so grenzenlose Übertreibung, daß sie dem großen Ernst, der mich fast bis zum Asphalt hinuntergedrückt hatte, den Stachel brach. Ich trippte turmhoch bei der Erkenntnis, daß Humor unsere wichtigste Waffe im Kampf gegen die Große Mehrzahl und ihre festgewachsenen Vorurteile ist. Mir ging auf, daß die Angst der Gesellschaft wie Reif in der Sonne verdampfen wird, wenn wir sie dazu bringen können, mit uns zu lachen. Ich begriff, daß wir unsere Existenz mit Humor sichern müssen.

      Im Jahre 1974 hatten das vor mir zwölf Menschen verstanden und gewagt, es zu zeigen. Ich wurde der dreizehnte, Scheiß drauf, in der Hinsicht bin ich wirklich nie abergläubisch gewesen. Leider kapierte das von den restlichen hundert damals niemand. Sie waren wütend. Sie hielten das für eine verdammte Scheißprovokation – und das war es natürlich auch. Ein Wirrwarr von streitenden, gestikulierenden Menschen sammelte sich um diesen durchgetunteten Zuwachs zu unserem Block –, und ich beschloß, mich und Øystein aus dem Wortwechsel weit herauszuhalten, mit der Androhung augenblicklicher Desertion, falls er mich losließe. Aber gleichzeitig mußte ich einfach losprusten, und deshalb wußte er nicht so recht, was er machen sollte. Zum Glück beschloß er, daß ich mich wohl am Rande der Hysterie befand – was ja schließlich zutraf – und daß es deshalb seine erste Pflicht war, in diesem ganzen Chaos auf mich aufzupassen. Der Konflikt ließ sich weder durch Vergleich noch durch Richterspruch lösen. Den suffragettischen Mili-Tanten wurde ein Platz in der Demo oder zumindest in unserem Block brüsk verweigert, und sie wurden mit Lärm und Geschrei vertrieben. Terje verschwand zusammen mit ihnen im Gewimmel, und das machte mich ziemlich unglücklich.

      »Wir müssen doch Platz für alle haben, Øystein! Und ich fand sie witzig.«

      »Ja schon, aber vergiß nicht, daß wir schließlich der Welt zeigen wollen, daß wir – ja, daß wir wie alle anderen sind. Diese idiotischen Anarchos untergraben ja den ganzen Sinn unserer Demo – und jetzt geht’s endlich los.«

      Ich achtete auf alles, als wir uns in Bewegung setzten und ein Teil der meilenlangen Demo wurden, die in die Innenstadt marschierte. Øystein und ich gingen mitten im Block, und ich ließ seine Hand nicht los. Daß wir uns an den Händen hielten, war an sich schon eine Provokation, aber ich hatte noch mehr Angst davor, mit meiner eigenen Angst isoliert zu sein. Denn unter den Pflastersteinen rummelte die ganze Zeit eine gewaltige brüllende Finsternis, und ich hatte immer noch eine Sterbensangst davor, den Gullideckel in meinem eigenen Kopf hochzuheben.

      Wir fingen an, Schlagworte zu rufen, laut und rhythmisch.

      Homos – Heteros – Solidarität!

      Homos –

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