Sternschnuppen. Gudmund Vindland

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Sternschnuppen - Gudmund Vindland

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war mir das peinlich! Ich versuchte, eine Art Entschuldigung herauszustottern, aber nicht einmal das schaffte ich. Ich rannte einfach die Treppe hinunter und mußte erst einmal einen kleinen Spaziergang machen, ehe ich mich zurücktrauen und erklären konnte, daß ich noch nie einen so lauten Liebhaber gehabt hatte. Sie wollten jedoch nichts von Entschuldigungen hören, schließlich hatten sie selten etwas so Komisches erlebt wie meinen Gesichtsausdruck, als mir aufging, was da passiert war.

      Und so hatte ich mit meiner Angst ein wenig Licht und Freude in den Alltag bringen können.

      In diesem Moment sah ich jedoch, daß Inga hinten auf dem Steg zum Leben erwachte. Sie setzte sich mit einem Ruck auf und rief mit ihrem kräftigen Alt: »Oooooo, mir ist vielleicht heiß! Ich muß wohl eingenickt sein. He, Yngve, sind wir hier die einzigen Wachen? Kommst du mit ins Wasser?«

      »Nein, das ist mir zu kalt.«

      »Quatsch! Heute morgen hatten wir fünfzehn Grad – und jetzt sind es sicher siebzehn.«

      »Ha! Wenn du noch drei Tage wartest, hast du vielleicht recht.«

      »Du bist feige. Verpiß dich! Ich will springen.«

      »Moment, Moment, wir müssen doch erst an Land – he!«

      »Weg!«

      Sie kam wie ein angreifendes Kamikazeflugzeug über den Steg gedonnert. Ich konnte gerade noch Øystein packen und uns platt auf den Boden drücken, ehe sie mitten auf dem Sprungbrett Anlauf nahm und über uns hinweg voll in den Fjord flog. Das Brett wackelte so sehr, daß wir um ein Haar denselben Weg genommen hätten. Aber ich konnte uns festhalten, und ich prustete los, als ich Øysteins Gesicht sah, der auf dem schwankenden Brett erwachte.

      »Willkommen im Sommer. Das war die Eröffnung der Badesaison.«

      »Himmel, hab ich mich erschrocken. Das war Inga, ja? Jetzt muß sie sich aber wirklich zusammenreißen. Stell dir vor, wir wären reingefallen – ich hätte jedenfalls einen Schock erlitten.«

      »Du bist aber nicht reingefallen, mein Murmeltier. Ich wache, wenn du schläfst, und schütze dich vor jeder Gefahr.«

      »Danke, aber ich glaube, ich ziehe festen Boden unter den Füßen vor. Von jetzt ab gibt’s für mich nur noch Beton.«

      Er krabbelte rückwärts auf den Steg, und in diesem Moment rief Inga weit draußen in der Bucht: »Jetzt kommt schon, wir haben mindestens achtzehn Grad!«

      »Genau wie in der Tiefkühltruhe!« rief Øystein zurück und setzte sich neben Ragnhild.

      Sie lag lächelnd da und stützte den Kopf in die rechte Hand, sie hinterließ einen selten ästhetischen Sinneseindruck. Sie war brünett, und jedes Männermagazin hätte sicher tief ins Portemonnaie gegriffen, um sie als Titeldame zu bekommen. Aber nicht mit Ragnhild, nein! Statt dessen vergeudete sie ihre ganze vollendete Nacktheit an uns in der WG und an alle anderen Badegäste.

      Ragnhild Farmandsen hatte das Aussehen ihrer Mutter und das Temperament ihres Vaters geerbt, und das machte ihr ernsthaft Sorgen. Ihre Mutter war vor vielen Jahren in die Nervenklinik gebracht worden und war nun als unheilbare Patientin abgeschrieben. Ihr Vater war Großbauer in Hedmarken, und er war es, der die Mutter zum Wahnsinn getrieben hatte. Er hatte schon eine Frau in einer kinderlosen Ehe verbraucht, und als er auf die Fünfzig zuging, hatte er sich noch einmal mit einer jungen Schönheit verheiratet, um es ein bißchen nett zu haben und um einen Erben zu bekommen. Einen Sohn natürlich. Als dann Ragnhild zur Welt gekommen war, war Hermann Farmandsen nicht gerade gnädig gewesen. Er machte sich energisch daran, diesen Fehler zu korrigieren, und bereits elf Monate später wurde der Anerbe geboren. Danach dauerte es zwei Jahre, bis der nächste Sohn erschien – es war immer gut, eine Reserve zu haben, wie Hermann sagte.

      Er liebte und züchtigte Weib und Kind nach Art des Alten Testamentes, er war felsenfest von der Unfehlbarkeit des Strafenden Gottes überzeugt. Ragnhild brannte zu Hause durch, als ihre Mutter weggebracht wurde. Ragnhild war damals sechzehn und wohnte bei einer Tante in Oslo, während sie aufs Gymnasium ging. Jetzt war sie zweiundzwanzig und besuchte die Universität. Sie gehörte zu der Minderheit, die für ihre Fächer lernte und ihre Examen mit guten Noten bestand. Ansonsten war sie ebenso auf der Suche nach eigenem Wert und eigener Identität – politisch, sexuell und fachlich – wie ich. Wir standen beide auf der Schwelle zur ML-Bewegung. Ich war im Grunde von Øystein, meinem rettenden Engel, dort hingestellt worden, während Ragnhild in der turbulenten Uniszene selber ihren Weg gefunden hatte. Die Ideologie sprach sie in vieler, aber nicht in jeder Hinsicht an. Die Ideologie erklärte nämlich klar und deutlich, daß sie sich einen Mann zulegen müßte. Einen richtigen Kommunisten. Das Problem war nur, daß Ragnhild bereits diverse Kommunistenmänner kannte, ohne daß sie mehr waren als eben Genossen. Sie wollte nicht automatisch hinnehmen, daß Verliebtheit und Schwärmerei nur bürgerlicher, individualistischer Kitsch waren, und deshalb weigerte sie sich, mit dem Erstbesten in die Federn zu hüpfen, sie wollte etwas davon haben. Sie hatte es mehrmals versucht, und sie hatte sogar einen Orgasmus gehabt – schließlich war sie nicht frigide, ganz im Gegenteil, aber sie fand es einfach so schrecklich anstrengend. Ich verstand sie gut. Ich war in meiner verlorenen Jugend ja schließlich auch Bettgesell einiger äußerst aktiver Herren gewesen, ohne etwas davon zu haben, aber darüber redete ich nicht sehr oft mit meinen Mitbewohnern. Ich wollte kein mißverstandenes Mitleid auf mich lenken.

      Im Gegensatz zu Ragnhild. Sie hatte ganz klare hypochondrische Züge, obwohl sie gesund und munter war – oder vielleicht gerade deshalb. Sie fürchtete sich vor allen möglichen Krankheiten, und sie äußerte immer wieder ihren Respekt vor den Japanern, die bei Erkältungen Mundbinden anlegen. Ansonsten machte ihr ihr Unterleib die allergrößten Sorgen, vor allem ihre Tage waren ekelhaft. Sie dauerten jeden Monat eine ganze Woche und nahmen ihr Kraft und Humor. Dann konnte sie für ihre nächste Umgebung eine Prüfung sein, aber niemand von uns machte ihr deshalb besondere Vorwürfe. Wir sahen ja, wie sehr sie leiden mußte, und ich sah einen ganz klaren Zusammenhang zwischen dieser Angst vor Krankheiten und dem Fehlen einer eigenen Identität. Sie war unsicher und auf der Suche, und damit wurde sie ängstlich. Sie hatte ihren Krankheitshaken gefunden, um sich daran aufzuhängen – genauso wie ich an meinem Haken mit dem Merkzettel »neurotische Angst vor Gewalt« hing. Millionen von Menschen zappeln an ihren selbstgewählten Haken und bleiben daran hängen, während sie in Wirklichkeit keinen Grund zur Angst haben. Und das ist eher tragisch als komisch.

      Aber jetzt waren Sorgen und Kümmernisse ins Meer gejagt, wir genossen unseren ersten sonnigen Sommertag am Strand. Inga zog sich prustend auf den Steg und schüttelte sich ausgiebigst, damit wir alle begriffen, wie schön das Wasser war. Und es war wirklich schön. Plötzlich hatte auch ich Lust auf eine Runde Schwimmen und ließ mich, ohne nachzudenken, ins Wasser fallen. Øystein hatte recht, es waren wirklich achtzehn Grad minus. Aber als ich keuchend die Wasseroberfläche durchbrach, schwebte mir Ragnhild, gefolgt von Øystein, bereits entgegen. Es war herrlich!

      Als wir wieder an Land gekommen waren, hatte Inga inzwischen ihr neues avanciertes Tonbandgerät aus dem Haus geholt. Sie legte »Satisfaction« den Stones ein, daß es nur so über den Fjord schallte – und dann tanzten wir uns trocken. Ich hätte mich niemals getraut, allein unter freiem Himmel so etwas zu machen, aber jetzt war es für uns vier eine Art gemeinsamer Herausforderung, unsere Hemmungen fallenzulassen und die Grenzen von Anstand und Ziemlichkeit zu durchbrechen. Ha! Sollen die Ziemlichen sich doch in ihre langen Winterunterhosen einnähen und darin verschimmeln! Hier kommt die junge, lebendige und emanzipierte Generation, die es wagt, munter mit Ärschen und Titten und Schwänzen herumzuwedeln – hoi!

      Ich spürte eine große Freude, die in jedem einzelnen tanzenden Körperteil pulsierte: Ich würde doch nicht jung sterben! Es war fast nicht zu glauben, daß ich wirklich hier war, zusammen mit

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