Sternschnuppen. Gudmund Vindland

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Sternschnuppen - Gudmund Vindland

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Menschen mußten sich die Augen gerieben und staunend den Mund aufgerissen haben, wenn sie am Tempel vorbeigesegelt kamen, denn man erwartet hier oben bei uns keine griechischen Tempel. Aber er liegt ganz unangefochten oberhalb von drei halbkreisförmigen Balustraden, und ursprünglich waren auf jeder Seite symmetrisch Urnen und Statuen aufgestellt. Ganz oben führt eine breite Treppe mit neunzehn Stufen zum Haus selber, dessen Dach von vier eleganten symmetrischen Säulen mit erlesenem Kapitell getragen wird. Und es ist durchaus keine Mussolinische Zuckerbäckerei. Es ist eine genaue Kopie eines Tempels in der Ägäis – wenn auch nicht in vollem Maßstab, leider. Das Innere besteht aus einem Wohnzimmer mit grünem Belag, einem schwedischen Kachelofen und schlummerndem Lüster sowie einem neun Quadratmeter großen Eßzimmer und einer noch kleineren Küche mit Elektroherd und fliegenden Ameisen. Im ersten Stock gibt es ein brauchbar großes Schlafzimmer für die Herrschaft mit restlos ramponierten Betten und ein unentbehrliches Mädchenzimmer von dreieinhalb Quadratmetern, in dem eine verrostete Waschschüssel in der Ecke steht.

      Es war Ingas Verdienst, daß wir bald umziehen würden, von einer Idylle in die andere, wie die Made im norwegischen Speck. Und falls irgendwer denkt, daß wir in einem Traumschloß wohnten, dann muß ich wohl teilweise zustimmen. Obwohl wir alle ausgeprägte Tatmenschen waren, umschwebten uns doch unleugbar einige große und schöne Träume. Über die Revolution. Über ein sozialistisches Chlorwegen. Über volle Gleichberechtigung. Über eine offene und positive Sexualmoral. Kurz gesagt, über eine bessere Gesellschaft. Ich persönlich träumte immer noch vom Ruhm, aber am liebsten träumte ich in Øysteins Armen – seinem Einheitsideal so nahe, wie ich nur kommen konnte.

       Gedankenpolizei

      Die Fähre aus Oslo brauste draußen in der Bucht an uns vorbei, und Kyrre stand an der Spitze des Roten Tornados auf dem Vorderdeck. Er schien an die dreißig Leute mitgebracht zu haben, und Inga rannte ziellos auf dem Steg herum, während sie versuchte, das mentale Kostüm der perfekten Wirtin überzustreifen – aber sie fand nicht einmal ihren Bikini. Ragnhild versuchte, die Vorstellung abzubrechen.

      »Jetzt setz dich doch erst mal wieder, Inga. Die bringen doch Huhn und Salat und Baguettes und Getränke mit, und sie sind schließlich allesamt ans Organisieren gewöhnt, nicht wahr? Wenn sie nicht selber mit allem fertig werden, dann kannst du dir immer noch einen Weg durch den Brei bahnen, aber nicht vorher.«

      »Ich kann ja wohl unsere Gäste begrüßen!« antwortete Inga heftig und trampelte den Weg hinauf.

      »Ach ja. Wir sollten uns wohl ein bißchen anziehen, Knaben, sonst halten die uns am Ende für Anarchisten oder Trotzkisten oder Nudisten. Jetzt hält die Schicklichkeit ihren Einzug!«

      Ragnhild war, gelinde gesagt, wütend über die neopuritanische Moralwelle, die über die ML-Bewegung hereingeschwappt war. Es wurde im Grunde gefordert, daß sich alle anständig benahmen und zu jeder Gelegenheit gute Manieren und passende Kleidung vorweisen konnten. Wenn die Arbeiterklasse in Anzug und Sonntagskleid auftrat, sollten die ML-Leute ihr den Respekt erweisen, daß sie desgleichen taten – was ja eigentlich nicht so umwerfend revolutionär war. Das war einfach normale bürgerliche Höflichkeit, die meine klassenbewußten, arbeitenden Eltern sicher zu schätzen gewußt hätten – aber sie würden deshalb trotzdem nicht AKP wählen. Und hier haben wir den Kern der Sache. Die neue Linie lief eigentlich darauf hinaus, daß die Arbeiter nicht unnötig durch äußerliche Kleinigkeiten provoziert werden sollten, damit man mit ihnen ins Gespräch kommen und sie zu Maos Jüngern machen konnte. Wie man weiß, klappte das nicht. Ich selber hatte keinen Anzug und wollte mir auch keinen zulegen. Ich ziehe mich weiterhin lieber bequem und leger an, auch wenn ich es ab und zu witzig finde, im Smoking herumzustolzieren.

      Was Ragnhild so empörte, war, daß die AKP anfing, diese neue Linie zu formalisieren. Sie machten es zu einer Regel, daß es wünschenswert war, sich Moralbegriffe und Werte der Arbeiterklasse zuzulegen – ohne dem eine qualitative Bewertung zugrunde zu legen. Sie übernahmen ganz einfach alles, und das war so dumm, wie es ein Fehlschlag war.

      Sie wollten jedoch weder verstehen noch zugeben, daß sie einen Fehler machten, und deshalb kamen mir die ersten zaghaften Zweifel an der Vernunft dieser Leute. Sie hatten beschlossen, volkstümlich zu sein, sich der Arbeiterklasse zu nähern und sich in deren eigener Sprache mit ihr zu verständigen. Das war die Theorie. Und dann haben wir die Praxis. In der Praxis steigerten sie ihre Volkstümlichkeit bis zur Parodie und machten sich und nicht zuletzt auch ihre Botschaft dadurch lächerlich. Außerdem waren in den unteren Volksschichten nicht wenige einfach stocksauer über diese Grünschnäbel aus dem Westend, die versuchten, Proletarier zu spielen. Damit erzielten sie genau das Gegenteil des Gewünschten. Sie verjagten die Menschen mit dem Mittel, das sie anziehen sollte. Und das wollten sie einfach nicht einsehen.

      Leider interessierte die AKP sich in den siebziger Jahren nicht nur für Sprache und Kleidung. An diesem Abend in Wolkenwild wurde mir in dieser Hinsicht eine heftige Lektion verpaßt. Unter unseren feiernden Rot-Front-Gästen befand sich nämlich ein großer dünner Bursche mit Brille und Adamsapfel, der soviel mißtrauische Antipathie ausstrahlte, daß die Hälfte auch als Viertel durchgegangen wäre, um mit meinem Vater zu sprechen. Er schlich im Haus herum und sah sich alles mit kurzsichtiger Skepsis ganz genau an. Als er den Erker erreicht hatte, blieb er stehen und schluckte wie zur Bestätigung mehrmals. Denn dort hatten wir ja die Glotze in die Ecke gestellt und Matratzen auf den Boden gelegt und überall Kissen verteilt. Und ich hatte einen nicht mehr ganz taufrischen Gobelin aus Hedmarken und üppige Vorhänge aufgehängt, um die Abendsonne auszusperren – das Ganze konnte also haarscharf unnorwegisch wirken, um nicht zu sagen, haremssklavisch.

      »Du!« sagte Adamsapfel zu mir, als ich an ihm vorbeischlüpfen wollte. »Was meinste denn, was die dazu sagen?«

      »Wer sagt was wozu?«

      »Arbeiter! Wenn die herkommen und das da sehn, meinen die doch, ihr feiert hier Orgien.«

      »Tun wir ja vielleicht.«

      »Ach. So einer biste. Scherzkeks, wa? Denkste nich’ dran, daß ihr dem ganzen Proletariat als gutes Beispiel vorangehn sollt? Ein einfacher Arbeiter würd sich hier nie zu Hause fühlen. Arbeiter sitzen auf Stühlen!«

      Mir war natürlich klar, daß Genosse Adams sich so ekelhaft aufführen wollte, wie er aussah, aber er gehörte zufällig zu der Sorte Mensch, vor der ich keine physische Angst habe. Und deshalb gab ich dem Drang nach, diesem Nervbolzen ordentlich vor den Latz zu treten.

      »Wenn du dich gütigerweise kurz umdrehst, dann kannst du vielleicht hinten den Salon erkennen, wo mindestens acht Menschen auf Sofas und Stühlen sitzen. Das hier ist unser Fernsehzimmer, verstehst du, und da ist es praktisch und bequem, sich hinhauen zu können, wo man will. Gruppensex läuft bei uns normalerweise am Strand.«

      »Ja, das glaub ich gern. Aber sieh dir doch das Zimmer mit Glas- und Messingtischen und diesen niedrigen Sofas an, das is ja wohl nur was für Leute wie dich, Arbeiter können sich so was nich’ leisten! Die würden sich hier nich’ zu Hause fühlen!«

      »Meine Eltern schienen sich hier jedenfalls sauwohl zu fühlen, als sie zu Besuch waren. Mein Vater hat da in der Ecke gesessen und über die Nachrichten geschimpft, genau wie zu Hause.«

      »Ich red hier von Arbeitern

      »Mein Vater arbeitet in der Fabrik – am Fließband –, und meine Mutter ist Köchin in einem Altersheim.«

      »Ha! Gelogen! He, Genossen, hört her! Wir haben einen Provokateur unter uns! Dieser Typ versucht, dekadente Ideen zu verbreiten und behauptet auch noch, seine Eltern wären Arbeiter. Jetzt fragen wir ihn doch mal, wie diese Eltern heißen und wo sie wohnen und ob sie im Telefonbuch

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