Sternschnuppen. Gudmund Vindland
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Ich lag auf dem Sprungbrett und lächelte vor mich hin. Es war ein so gutes Gefühl, endlich ein Teil des großen Ganzen zu sein, mit der Sicherheit und den Herausforderungen, die das mit sich brachte. Vorläufig konnte ich mit den Herausforderungen gut fertig werden, auch wenn ich mich weigerte, auf der Straße zu stehen und die Parteizeitung zu verkaufen. Dazu hatte ich einfach keine Nerven, und die anderen akzeptierten das ohne saure Gesichter oder irgendwelche Ermahnungen. Sie gingen wohl davon aus, daß ich mich in Zukunft stärker engagieren würde. Aber heute hatten sich alle freigenommen, abgesehen von Kyrre, der wie immer in Oslo bei einer Besprechung war. Es war ein Samstagvormittag Anfang Juni, und es war der erste wolkenlose Sommertag, den wir unten an unserem Strand genießen konnten.
Ich blickte zu Ragnhild und Inga hinüber, die sich weiter hinten auf dem Steg sonnten, ebenso nackt wie Øystein und ich, aber natürlich nicht so eng umschlungen. Inga lebte mit Kyrre in einer Beziehung, die ausgesprochen in Ordnung wirkte. Sie teilten Bett und politisches Engagement, und letzteres war das erklärt Wichtigere. Nicht zuletzt von Inga aus, auch wenn es ihr schwerfiel, ein politisch aktives Dasein praktisch durchzuführen. Sie war auf dem richtigen Hügel geboren und aufgewachsen, und deshalb hatte sie Komplexe. Von unserem Haus aus konnten wir das Haus ihrer Eltern direkt unter Holmenkollen sehen – was manchmal zu heftigen Ausbrüchen führte.
»Der Teufel soll sie holen!« konnte sie dann rufen. »Verdammte Blutsauger!«
Inga Lunde litt unter dem harten Schicksal, aus dem allerbesten Bürgertum zu stammen, die Arme – vor allem, nachdem sie beschlossen hatte, im Kampf für die Diktatur des Proletariats fast ganz unten zu leben. Auch sie hatte nach dem Abi mit ihren Eltern gebrochen, wenn auch erst, nachdem sie ein Jahr in Amerika verbracht hatte. Die USA Nixons und des Vietnamkrieges hatten sie zur glühenden Antiimperialistin gemacht, und deshalb hatte ihr Weg sie nach ihrer Heimkehr zur AKP geführt, wo sie nun mit aller Kraft – und sie hatte viel – versuchte, sich zurechtzufinden. Sie war sehr blond und norwegisch und hatte eine hübsche Stupsnase in einem runden, munteren Gesicht. Ingas offenkundige Schwäche war, daß sie versuchte, die ihr innewohnenden Widersprüche in einem Sturzsee von Aktivitäten zu ertränken, die sie möglichst alle im selben Augenblick unternahm, vom Anlegen eines Küchengartens bis zum Häkeln doppelseitiger Wandbehänge. Und es ist kein Wunder, daß ein Mensch durcheinander gerät, wenn er gleichzeitig spült, Brotteig ansetzt, Gemüsesuppe kocht, das Rauchen aufgibt, Erdbeeren saubermacht, die Weltprobleme erörtert und außerdem noch in den unglaublichsten Schattierungen Stoff färbt.
Bei Inga kam es dann oft so weit, daß sich ihre gesunde Gesichtsfarbe unheilverkündend verdunkelte, bis sie aussah, als ob sie explodieren würde – und das geschah auch in der Sekunde, in der sie feststellte, daß sie die Übersicht verloren hatte. Dann schlug sie in wütenden Weinanfällen mit blinder Aggression sich selbst und nach allen Seiten. Der einzige, der dann mit ihr fertig wurde, war Kyrre, der mit verbalen Strafmaßnahmen wahre Wunder bewirken konnte.
»Na, hast du’s mal wieder geschafft? Was hast du diesmal alles auf einmal versucht? Was ist das für eine Schweinerei, die da qualmt? Das brennt! Und wieso ist unsere Bank grün und lila? Kannst du nicht endlich mal lernen, eins nach dem anderen zu tun?«
Und so weiter.
Nach einigen Minuten beruhigte sich Inga dann so weit, daß sie alles wieder in Ordnung bringen konnte.
Seltsamerweise stellten sich diese Anfälle nur ein, wenn Kyrre im Haus war. Es war natürlich praktisch, daß er zur Hand war, um die anfallenden Aufgaben zu lösen, aber mir ging bald auf, daß hier eine typische Wechselwirkung vorlag. Ich hielt es allerdings nicht für meine Aufgabe, eine Analyse zu erstellen, daß Inga durchdrehte, weil sie vor Kyrres abschätzendem Blick Angst hatte. Sollten sie das doch mit ihrem dialektischen Materialismus selber herausfinden! Außerdem hatte ich mich bereits einmal zuviel in ihre Privatangelegenheiten eingemischt.
Das begab sich an einem strahlenden Vormittag im Januar, nur zwei Wochen nach meinem Einzug. Ich hatte Nachtschicht bei der Prawda, und Inga und Kyrre mußten auch erst am Nachmittag nach Oslo. Ich saß allein im Eßzimmer und las die Parteizeitung, als ich plötzlich aus meinem mühsam erkämpften ausgeglichenen Gemütszustand herausgerissen wurde, weil in ihrem Schlafzimmer ein entsetzlicher Schrei ertönte. Ich erstarrte zu Eis und glaubte, in tausend Stücke zerrissen zu werden, als dem Schrei ein noch lauteres Brüllen folgte – und dann kam kurzes gutturales Stöhnen und Heulen. Da oben schien jemand in höchster Not um Hilfe zu schreien, und plötzlich ging mir auf, daß das Inga sein mußte. Aber was um Himmels willen war da oben los? Ob er sie schlug? Konnte Kyrre denn wirklich ein brutaler Chauvi sein, der seine Freundinnen verprügelte? Wieder ertönte da oben ein langgedehntes Brüllen – ganz bestimmt ein Todesröcheln, dachte ich –, und ich sprang auf und stüürzte die Treppe hinauf, wobei ich rief: »Inga? Ingaaa! Was macht er denn bloß mit dir?«
Drinnen wurde es einen Moment lang ganz still, dann brachen beide in ein gackerndes, verschwörerisches Lachen aus, das langsam zu immer lauterem Jauchzen wurde. Dann schien jemand an der Innenseite der Tür zu kratzen, die mit einem Krachen aufgerissen wurde und Inga sehen ließ, die unterwegs zum Bad auf den Treppenabsatz gekrabbelt kam. Und als sie mich erblickte, brachen ihr die Arme weg und sie blieb wie ein großer, hellroter Seehund da liegen und heulte vor Lachen, während Kyrre im Zimmer im Bett lag und stolz und munter herumbrüllte.
Und erst jetzt begriff ich, daß es Inga Lunde gekommen