Ein unerwartetes Geständnis. Christa Wagner

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Ein unerwartetes Geständnis - Christa Wagner

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erstaunlicher Klarheit war mir damals schon bewusst, dass mit jedem Schritt, den ich auf den Kellereingang zu tat, mein Leben eine Veränderung erfahren würde, deren Auswirkungen ich nicht absehen konnte. Dennoch zögerte ich keinen Augenblick. Ich wollte Simon sehen. So wie es einem Pluspol nicht gelingt, einem Minuspol auszuweichen, zog es mich zu ihm hin. Es musste einfach sein.

      Schnell stieg ich die dunkle, steile Treppe hinab, die zu einer schweren Innentür führte. Mit einiger Anstrengung stieß ich sie auf.

      Rauchschwaden waberten über den spärlich beleuchteten Kellerraum, der voll besetzt schien. Ich nahm eine kleine Bühne wahr, auf der ein Gitarrenspieler auf seinem Instrument herumzupfte.

      Da stand schon Simon strahlend vor mir, nahm meine Hand und führte mich zu einem kleinen Tisch, an dem wir nebeneinander an der Kellerwand Platz nahmen. Die Zuhörer saßen dicht gedrängt, dem Kellner gelang es kaum durchzukommen.

      »Was will dein Mädchen, Simon?«, schrie er zu uns herüber.

      Sein Mädchen? Das war dreist. Schon wollte ich etwas erwidern, ließ es aber dann sein.

      Die Lautstärke ließ nur ein Brüllen zu: »Ein kleines Bier!« Simon, der meine Irritation bemerkt hatte, erklärte, dass er Karl, der hier bediente, recht gut kenne, weil er öfter der guten Livemusik wegen hier sei. Der raue, aber herzliche Ton gehöre zu ihm. Daran solle ich mich nicht stören. Simon lachte: »Außerdem bist du doch wirklich hier meinetwegen, nicht wahr? Und ich bin glücklich darüber.« Er nahm meine Hand, die im schummrigen Kellerlicht noch heller leuchtete, in seine beiden warmen Hände und hielt sie einen Augenblick fest.

      Wieder durchflutete es mich heiß. Als er sie freigab, schaute ich erstaunt seine hellen Handinnenflächen an.

      Er grinste und drehte seine Hände hin und her: »Innen hell, außen dunkel!«

      »Das habe ich nicht gewusst«, stotterte ich und lachte. »In unserem fränkischen Dorf gibt es keine …« Ich zögerte einen Augenblick, denn als Erstes war mir das Wort Neger eingefallen, das aber in jüngster Zeit in Misskredit geraten war, und ich fügte schnell hinzu: »Schwarzen.«

      »Nun, ganz schwarz bin ich nicht. Meine Mutter ist schwarz, mein Vater weiß. Übrigens … mein Vater stammt aus Deutschland. Er hat verlassen seine Heimat 1938. Dort er spielte Klavier in einer Jazzband. Sie wurde von den Nazis verboten, weil zwei Mitglieder waren Juden. Er emigrierte mit ihnen nach New York. Ihm war auch klar, dass es über kurz oder lang gibt Krieg. Sie schlugen sich durch mit ihrer Musik in kleinen Kneipen. Meine Mutter war in einer als Sängerin engagiert. So haben sie sich kennengelernt. Deshalb ich kann auch etwas Deutsch, wenn auch nicht so toll.«

      »Aber nein, du sprichst …«

      Die Musik setzte wieder ein, diesmal eine E-Gitarre, und erstickte jede Unterhaltung. Wir erhoben unsere Gläser und prosteten einander zu.

      Wie gut das kühle Bier tat! Wir hörten einfach nur zu, sahen uns aber immer wieder an. Ich konnte gar nicht anders, als Simons sympathisches Lächeln zu erwidern.

      Als er den Arm um mich legte, schmiegte ich mich hinein.

      Sein Mädchen! Karl hatte recht.

      Was für ein Glücksgefühl!

      Nachdem der Gitarrist sich verbeugte, und heftiger Applaus aufbrandete, klatschte ich wie wild, obwohl mir die Musik viel zu laut war.

      Simon nahm wieder meine Hand. »Erzähl mir von dir, Bärbel!« Wie selbstverständlich war er zum »Du« gewechselt.

      Mit Wohlwollen nahm ich es wahr. In wenigen Sätzen schilderte ich ihm meine Situation, sparte aber vieles aus. Es reichte, wenn er die grobe Struktur kannte.

      Er unterbrach mich nicht, zeigte mir jedoch sein Interesse durch Nicken.

      Karl erschien, um zu kassieren, die Kneipe würde in einer Viertelstunde schließen.

      Obwohl ich protestierte, lud Simon mich ein.

      Karl sagte laut, dass es viele mithören konnten: »Spiel uns noch ein Stück zum Abschied, Simon! Was Romantisches für dein Mädchen!«

      Ein zustimmendes Gejohle setzte ein.

      »Los, Simon!«

      »Bitte spiel noch ’nen Rausschmeißer!«

      »Zeig, was du draufhast!«

      Simon musste anscheinend hier schon öfter gespielt haben. Ich sah ihn fragend an.

      Er lachte: »Na gut, aber nur ein Lied!«

      Simon drängte sich zur Bühne durch und setzte sich an ein schwarz lackiertes Klavier, das von mir bislang unbemerkt im Hintergrund der Bühne stand. Er wartete einige Augenblicke, bis es still war, dann drehte er sich zu mir und sagte: »Für Bärbel!«

      Das Gejohle setzte wieder ein, jedoch ein leichtes Heben seiner Hand ließ das Publikum schweigen. Er streckte seine Finger aus und begann leise zu spielen.

      Mir kam die Melodie bekannt vor, wusste aber weder den Namen des Stückes noch den des Komponisten. Das war mir auch egal. Mich faszinierten Simons schwarze Finger auf den weißen Klaviertasten, wie sanft er über die Tastatur glitt, um sie in der mittleren Passage kräftig und laut zu bearbeiten und gegen Ende wieder nahezu zärtlich die Tasten zu streicheln. Was für ein sinnliches Spiel! Was für ein Mann!

      Der letzte Ton verklang, ein Augenblick der Stille, dann heftiges Klatschen, Getrampel, Bravorufe!

      Simon stand auf, verbeugte sich kurz und kam auf mich zu. Als er mich anschaute, nahm er ein weißes Taschentuch heraus und gab es mir.

      Erst jetzt bemerkte ich, dass mir eine Träne das Gesicht heruntergelaufen war. Wie peinlich! Ich tupfte sie weg und gab ihm das Taschentuch zurück.

      Im Gedränge verließen wir den Keller. Draußen war es kalt, mir klapperten die Zähne.

      Simon legte den Arm um mich und begleitete mich wie selbstverständlich zu Tante Alices Wohnung.

      Simon erklärte, er sei mit seinen Kameraden spätabends öfter im Olim gewesen und kenne daher Karl recht gut. Seine Freunde hätten ihn immer wieder einmal aufgefordert, zum Abschluss ein Stück auf dem Klavier zu spielen.

      »Du bist hervorragend, spielst wie ein Profi.«

      »Aber nein. Dafür hat es nicht gereicht. Wäre sonst kaum gelandet bei der Army und hätte dich nicht kennengelernt. Das wäre doch schade gewesen.« Simon grinste und drückte meine Hand.

      Auch ich musste lachen. Es war alles so leicht mit ihm.

      Vor der Wohnungstür ließ er mich los, öffnete seinen Mantel, zog mich an sich und schloss ihn in meinem Rücken. Mein Gesicht presste ich an seinen Pullover. Ich sog seinen Duft aus Rasierwasser und frischem Schweiß ein.

      Simon hob mein Kinn sacht an und küsste mich zart mit geschlossenen Lippen, wie man ein Kind küsst. Wir sahen uns in die Augen.

      Und dann war ich es, die seine sinnlichen Lippen mit dem Finger suchte, ihre Konturen sanft nachzeichnete und ihm schließlich die meinen darbot. Seine Zungenspitze öffnete meine Lippen, alles war weich, leicht und zärtlich.

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