Reisen. Helon Habila
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Mark zuckte schweigend mit den Schultern. Ein Dankeschön wäre nett gewesen, andererseits hatte er einiges durchgemacht. Bevor wir gingen, nahm Julius mich beiseite. „Wie gut kennen Sie ihn?“
„Wir kennen uns ungefähr seit zwei Monaten. Warum?“
Er zuckte wieder mit den Achseln. „Sie sollten mit ihm reden.“ Er wirkte, als läge ihm noch etwas auf der Zunge, aber offenbar fand er schweigen ratsamer. Er sah Mark, dann mich an. „Reden Sie einfach mit ihm. Um … um mehr über ihn zu erfahren, Sie verstehen?“
„Okay.“ Ich war verwirrt. Verheimlichte Mark mir etwas? Er würde mir doch bestimmt sagen, wenn es gefährlich wäre, ihn aufzunehmen? Wir gingen erst mal in eine Kneipe und ich gab ein Bier aus, um Marks Freiheit zu feiern. „Mein erstes Bier seit Tagen“, sagte er und schwieg dann die meiste Zeit. Gern hätte ich Julius’ Bemerkung erwähnt, aber wie brachte man so etwas zur Sprache? Ich beschloss, das Thema zum geeigneten Zeitpunkt möglichst taktvoll aufs Tapet zu bringen. Als wir ausgetrunken hatten, sah er auf. „Hoffentlich ist deine Frau nicht sauer, wenn du ein Findelkind anschleppst.“
„Sie wird’s verkraften“, sagte ich, obwohl mir klar war, dass ich mit dieser Aktion zu weit ging, einen nur schwer rückgängig zu machenden Schritt tat. Von nun an war ich für Mark verantwortlich. Was immer er tat, was immer mit ihm geschah, würde direkte Auswirkungen auf Gina und mich haben.
6
Als ich die Wohnungstür aufschloss, hörte ich Stimmen und mir fiel ein, dass wir an diesem Tag Gäste hatten. Gina war mit ihrer Reisenden-Serie fertig und hatte ihre Modelle sowie einige von den Zimmer-Leuten zur privaten Vernissage eingeladen – und ich hätte auf dem Heimweg die Getränke dazu mitbringen sollen. „Scheiße“, entfuhr es mir leise und ich sann fieberhaft nach einer Entschuldigung.
„Alles in Ordnung?“, fragte Mark mit hochgezogenen Augenbrauen. Ich lächelte und winkte ihn herein.
Gina stand, ein Glas in der Hand, im Wohnzimmer und unterhielt sich mit einem Mann, der sein Ralph-Lauren-Hemd ziemlich weit aufgeknöpft trug, damit man seine behaarte Brust bewundern konnte. Sie machte den Mund auf, schloss ihn aber wortlos, als sie Mark sah. Ihre Augenbrauen hoben sich fragend. Ich ging zu ihr und küsste sie auf die Wange. „Hi, Darling“, sagte ich. Auf dem Balkon standen zwei Frauen mit einem Glas Wein in der Hand und rauchten. Ich winkte ihnen zu und schüttelte dem Mann die Hand.
„Du bist Ginas Mann“, konstatierte er. „Ich bin Dante.“ Er war Franzose oder Italiener, womöglich Spanier. Ob er sich wohlfühlte mit so exponierter Brust? Ich nickte und drehte mich zu Mark um. „Das ist Mark, ein Freund.“ Ich wartete, ob Gina sich an ihn erinnerte, wenn ja, ließ sie es sich nicht anmerken.
„Mark, das ist meine Frau, Gina.“
Gina sah von Mark zu mir, immer noch mit fragendem Blick, gab ihm dann die Hand. Mark mit seiner Baseballkappe, seiner gerade einmal bis zu den Knöcheln reichenden Jeans, dem einschultrig getragenen Rucksack, dem Geruch nach Inhaftierung wirkte neben dem elegant aufgeknöpften Dante dermaßen fehl am Platz, dass ich mich für ihn schämte.
„Komm“, sagte ich, nahm seinen Rucksack und zeigte Mark das Badezimmer, damit er sich die Hände waschen konnte; außerdem musste ich kurz allein sein, um mich zu fassen. Am dringendsten brauchte ich jedoch etwas Alkoholisches. In der Küche standen zwei offene Weinflaschen auf der Arbeitsplatte, eine rot, eine weiß. Während ich im Büfett nach einem Glas suchte, kam Gina herein. Sie machte die Tür zu und lehnte sich dagegen.
„Ich habe versucht, dich zu erreichen.“
Ich schenkte mir ein Glas Wein ein und trank es in einem Zug aus. Gina kam zu mir herüber, nahm mir das Glas ab und stellte es behutsam ins Spülbecken. Ich nahm es wieder an mich und schenkte mir erneut ein. Eine Woche nach unserer Heirat waren zwei ihrer Freunde auf dem Weg nach Baltimore durch unsere Stadt gekommen und Gina wollte mich ihnen vorstellen. Sie hatte gekocht und ich hätte auf dem Heimweg von der Bibliothek, wo ich meine Englisch-Studenten unterrichtete, Wein mitbringen sollen, allerdings war mir die gesamte Sache völlig entfallen. Ärgerlicherweise tat ich nichts Wichtiges, sondern hockte lediglich mit einem Roman in der Bibliothek herum und als ich mich wieder erinnerte, war ich drei Stunden zu spät dran. Als ich heimkam, lag sie im Bett und sprach am nächsten Tag kein Wort mit mir.
„Entschuldige, ich hatte vergessen, dass wir heute Gäste haben.“ Sie sehe in ihrem roten Kleid wunderschön aus, fügte ich hinzu.
„Ich habe mehrmals angerufen. Dir auf die Mailbox gesprochen.“
„Ich kann noch schnell Nachschub holen, wenn es nicht zu spät ist …“
„Natürlich ist es zu spät. Dante hat ein paar Flaschen mitgebracht. Und wer ist dieser Typ? Irgendwie kommt er mir bekannt vor.“
„Er heißt Mark. Er war schon mal bei uns.“
„Was macht er hier?“
„Er braucht einen Platz zum Schlafen.“
„Zum Schlafen?“
„Ja. Ich erklär’s dir später.“
„Du kannst es mir jetzt erklären.“
„Zu kompliziert. Später.“
„Trink bitte nicht so viel“, sagte sie und verließ die Küche. Ich leerte das zweite Glas, diesmal langsam. Um mich den Gästen stellen zu können – so ungefähr das Allerletzte, wonach mir war –, benötigte ich einen Stimmungsaufheller und ein frisches Hemd. Als ich durch den Flur zum Schlafzimmer ging, sah ich, dass die Ateliertür offenstand. Auch dort waren Leute, ein Mann und eine Frau, die sich leise unterhielten. Ich blieb im Türrahmen stehen und räusperte mich. Im Dämmerlicht erkannte ich Manu und die Frau, deren Tochter ebenfalls anwesend war. Sie stand im Schatten einer Leinwand.
„Hallo“, sagte ich. Die drei drehten sich um und starrten mich schweigend an, als erwarteten sie einen Anschiss von mir. Die Frau stellte sich neben ihre Tochter.
„Ich wusste nicht, dass Sie hier drinnen sind“, ich hielt weiterhin den Blick auf Manu gerichtet. Alle starrten mich weiterhin schweigend an und als die Situation immer peinlicher wurde, meinte ich: „Ich bin gerade erst gekommen. Ich habe mich mit einem Freund getroffen.“ Sie sagten immer noch nichts und dann nahm die Frau die Tochter bei der Hand und drückte sich mit größtmöglichem Abstand an mir vorbei durch die Tür ins Wohnzimmer. Wieder sah ich Manu an, dann der Frau hinterher. „Ich weiß gar nicht, wie sie heißt.“
„Bernita.“
„Sie redet nicht viel, oder?“
„Sie ist schüchtern“, sagte er.
Ich betrat das Zimmer und stellte mich neben ihm vor eine der Leinwände. Insgesamt waren es sechs, der Größe nach geordnet, die größte, 150 × 130 cm, links und die kleinste, 60 × 50, rechts. Die Gemälde waren so aufgebaut, dass lediglich das Licht einer einzigen Lampe auf sie fiel. Manus Porträt, 150 × 130, erwiderte unseren Blick, nachdenklich, ein wenig müde, aber voller Würde, wie ein besiegter König inmitten seines zerstörten Palastes.
„Gut getroffen“, sagte ich.
Das nächste Porträt zeigte die Frau mit ihrem Kind. Ich sah die fertigen Gemälde zum ersten Mal.