Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

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Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland

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ließ den jungen Thessalier und seinen Ratgeber die in dieser Geschichte offen genug zutage liegende Moral selbst daraus ziehen und begnügte sich, beiden die Betretung ihres Dianen geheiligten Bodens und jeden fernern Versuch auf ihre kleine Daphne scharf genug zu untersagen, um ihnen die Lust dazu auf immer vergehen zu machen.

      Aber wiewohl Phöbidas durch die schmachvolle Vereitlung seines Anschlags und die Todesangst, die er unter den Nägeln von zwanzig grimmigen Dorfnymphen ausgestanden, für seine Leichtfertigkeit hart genug gezüchtiget schien, so konnte oder wollte die Priesterin doch der öffentlichen Stimme nicht entgegen sein, welche verlangte, daß das Andenken dieser Begebenheit erhalten und zu einem warnenden Beispiel für die künftigen Zeiten aufgestellt werden sollte. Sie verordnete also oder ließ es (was mir wahrscheinlicher ist) bloß geschehen, daß, sooft der Jahrstag derselben wiederkehrte, alle Mädchen der Gegend auf einem großen Rasenplatz am Eingang des Hains, den sie Dianen geheiligt hatte, sich unter den Augen ihrer Mütter zu fröhlichen Spielen und Tänzen versammelten und, wenn der letzte große Rundtanz geendigt war, einen aus Lumpen zusammengeflickten und mit gehacktem Stroh ausgestopften Popanz, der Pböbidas genannt, unter großem Jubel so lange mit Hasenpappeln peitschten, bis er ihnen in lauter einzelnen Fasern um die Köpfe flog. Diese Gewohnheit soll mehrere Jahrhunderte durch in Übung geblieben sein; und wenn einer von den vielen gelehrten und forschlustigen Wandersmännern, welche seit einiger Zeit Griechenland nach allen möglichen Richtungen bereisen und durchforschen, falls er in diese Gegend kommt, Nachfrage tun will, so wird sich vielleicht finden, daß sie sich bis auf diesen Tag erhalten hat.

      Ob übrigens der wirkliche Phöbidas sich die auf eigene Kosten erworbene Erfahrung und die jährliche Züchtigung seines leblosen Stellvertreters zur Besserung habe dienen lassen, ist nicht bekannt, dürfte aber aus mehrern Ursachen, deren Anführung den Scharfsinn meiner Zuhörer beleidigen würde, mit gutem Fug bezweifelt werden.

      Die Erzählung, womit die Gesellschaft zu Rosenhain am dritten Abend unterhalten werden sollte, war durchs Los dem Fräulein Amanda von B., einer entfernten Verwandtin des Hauses, zugeteilt worden.

      Alle Glieder des freundschaftlichen Kreises zeigten ihr so unverhohlen, wieviel Vergnügen man sich von diesem Abend verspreche, daß auch eine viel weniger bescheidene junge Person als Amanda ein wenig verschüchtert hätte werden mögen. »Ich bedarf Aufmunterung«, sagte sie, »und Sie machen mich durch Erwartungen zittern, die ich zu erfüllen nicht hoffen kann. Bedenken Sie, wie sehr ich schon dadurch im Nachteil bin, daß ich auf Herrn von P. folge.« – »Der Abstich wird schwerlich zu meinem Vorteil sein«, fiel ihr dieser ins Wort, »aber auf jeden Fall ist es um keinen Wettstreit, sondern um eine bloße Unterhaltung zu tun, die auf beiden Seiten gleich anspruchlos ist. Wir geben, was wir haben, und unsre Zuhörer, in billiger Erwartung, daß wir unser Bestes tun, sind bereit, mit dem, was wir geben, vorliebzunehmen.«

      »Auf diese Bedingung«, sagte Fräulein Amanda lächelnd, »kann ich es um so getroster wagen, Ihnen sogar ein Feenmärchen zum besten zu geben.«

      Die Entzauberung

       Inhaltsverzeichnis

      Rosalie von Eschenbach, ein liebenswürdiges junges Mädchen, welches seine Eltern schon in der Kindheit verloren hatte, war unter den Augen einer bejahrten und begüterten Vatersschwester, zu deren Erbin sie bestimmt war, mit allen Vorteilen und Nachteilen einer ländlichen Erziehung, fern von der Hauptstadt auf einer alten Ritterburg in einer wildanmutigen romantischen Gegend erzogen worden. Von ihren frühesten Jahren an war Lesen ihr angenehmster Zeitvertreib; das gute Kind hatte aber nichts zu lesen als Ritterbücher und Feenmärchen, wovon die alte Tante selbst eine große Liebhaberin war und deren sie eine ziemliche Menge besaß, welche, nebst einigen Andachtsbüchern und einer mit silbernen Buckeln beschlagenen großen Kupferbibel, die ganze Bibliothek des Schlosses ausmachte. Im Lesen und Schreiben hatte das Fräulein von dem Pfarrer des Orts, in der Musik von dem Kantor eines benachbarten Städtchens, in weiblichen Arbeiten von einer ziemlich geschickten Hausjungfer und im Tanzen von einem gewesenen Kammerdiener ihres Vaters, einem alten Hausratsstück des Schlosses, Unterricht bekommen. Von der Ausbildung, so sie auf diese Weise erhielt, war eben kein hoher Grad von Vollkommenheit zu erwarten; aber die Natur hatte das Beste bei ihr getan, und da Fähigkeit und innerer Trieb sie in allen weit über ihre Lehrmeister hinausführte, so fand sich's, daß sie, den Mängeln ihrer Erziehung zu Trotz, mit einer sehr einnehmenden Gesichtsbildung, einem nymphenmäßigen Wuchs, einer festen, blühenden Gesundheit und einer sanften, gutlaunigen und gefälligen Gemütsart, in ihrem sechzehnten Jahr das reizendste und liebenswürdigste Fräulein auf zwanzig Meilen in die Runde war.

      Alles dies, mit dem nicht unbedeutenden Zusatz der gewissen Anwartschaft auf ein ansehnliches Vermögen, machte Rosalien zum Gegenstand der Bewerbung aller heuratslustigen Jünglinge, Hagestolzen und Witwer ihres Standes weit umher. Aber unter den wenigen, welche von irgendeiner Seite Mittel gefunden hatten, einige Auszeichnung von ihr zu erhalten, war doch nur ein einziger, der sich schmeicheln konnte, mit einer Achtung von ihr begünstiget zu werden, die den Keim einer geheimen, vielleicht ihr selbst noch verborgenen Neigung zu verraten schien.

      Dieser Glückliche war Alberich, eine Art von irrendem Ritter von der fröhlichen Gestalt, dem die besondern Gnaden, worin er bei den Schönen stand, und die Vorteile, so er daraus zu ziehen wußte, einen glänzenden Namen in der Hauptstadt des Landes gemacht hatten. Er war mehrere Jahre lang im Besitz des Rufs gewesen, daß seinen Reizungen und seiner Gewandtheit in den Künsten der Verführung nicht zu widerstehen sei. Dieser Ruf wird (wie ich höre) oft so wohlfeil erkauft, daß seine Besitzer wenig Ursache haben, stolz auf ihn zu sein. Ob dies auch bei Alberichen der Fall war, ist mir unbekannt; genug, nach einigen Jahren hatte der Aufwand, den er zu Behauptung desselben machte, von seinem sehr mäßigen Erbgut so viel aufgezehrt, daß er sich genötigt sah, aus dem Kreise, worin er bisher geschimmert hatte, herauszutreten und sich in die Provinz, wo Rosalie wohnte, zurückzuziehen, in der Absicht, um irgendeine reiche Erbin zu werben, die ihn in den Stand setzen könnte, mit neuem Glanz in der Hauptstadt zu erscheinen und seine gewohnte Lebensart fortzusetzen.

      Unter denen, die er zu dieser Absicht tauglich fand, schien ihm Rosalie von Eschenbach durch ihre Unerfahrenheit, Unschuld und wenige Weltkenntnis diejenige zu sein, deren Eroberung die wenigste Mühe kosten würde; und da sie zugleich die Reichste und Schönste war, so hatte er durch bedeutende Empfehlungen aus der Hauptstadt sich um so leichter Zutritt bei der alten Tante verschafft, da er aus einer wohlbeurkundeten, obgleich etwas entfernten Verwandtschaft seines Hauses mit dem ihrigen sich eine ganz besondere Ehre machte und der unbegrenzten Gefälligkeit, die er für ihre Eigenheiten und Grillen zeigte, durch seine persönlichen Vorzüge einen desto höhern Wert in ihren Augen zu geben wußte. Denn Ritter Alberich, ungeachtet dessen, was einige Hauptstädte Europens von seiner Blüte abgestreift, war noch immer der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, und wären nicht vierzig wohlgezählte Jahre zwischen ihnen gestanden, sie würde sich nicht lange bedacht haben, ihn für sich selbst zu behalten.

      So leicht war nun freilich die junge, zartfühlende und ihres eignen Werts sich nicht ganz unbewußte Rosalie nicht zu gewinnen. Indessen hatte doch die blendende Außenseite des Ritters ihre Augen, die geschmeidige Leichtigkeit, womit er sich in den unbedeutendsten Dingen nach ihrer Denkart und ihrem Geschmack richtete, ihre Eigenliebe – und die vorgebliche Übereinstimmung ihrer Gemüter, die er mit der feinsten Schauspielerkunst zu heucheln wußte, ihr Herz zu seinem Vorteil bestochen; und wenngleich das, was sie für ihn fühlte, noch nicht Liebe war, so schien es doch das namenlose Etwas zu sein, woraus, mit Zeit, Geduld und unablässiger Sorgfalt, es fein warmzuhalten, zuletzt unversehens Liebe hervorgekrochen kommt.

      Unter Rosaliens übrigen Verehrern, die nicht bedeutend genug sind, um uns in nähere Bekanntschaft mit ihnen zu setzen, war nur einer, der eine Ausnahme zu verdienen scheint. Es war der einzige Sohn eines begüterten Landmanns, welcher den Willen und

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