Rosenhain & Dschinnistan. Christoph Martin Wieland

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Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland

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du auch«, erwiderte die Alte, »was es auf sich hat, junge Nymphen wider ihren Willen zu sehen? Hast du nie gehört, daß es nichts Geringers als den Verstand oder, in deinem Fall, wenigstens die Augen kostet? Wenn sie dich hätte sehen wollen, so wäre sie nicht so hastig vor dir geflohen, daß sie die Hälfte ihres Gewandes an den Hecken gelassen hat und die andere Hälfte nur noch in Fetzen nachschleppte.«

      »Das pflegt nicht immer zu folgen, gute Mutter. Aber was auch bei der Sache zu wagen sein mag, auf meine Gefahr! Sei nicht unerbittlich! Laß mich sie nur sehen und sprechen, wenn es auch nicht anders als in deiner Gegenwart geschehen könnte.«

      »Du bist ein ungestümer Mensch«, erwiderte die Spinnerin. »Was geht das Mädchen mich an? Wenn sie hereingekommen ist, so wird sie noch dasein; die Grotte ist groß, suche sie meinetwegen.«

      Phöbidas ward itzt auf einmal in der Vertiefung der Grotte die Öffnung eines schmalen Gangs gewahr. Er zwängte sich hinein, die Höhle wurde immer weiter und höher und teilte sich in eine Menge schwach erleuchteten Kammern, die keinen andern Ausgang hatten als den, woher er gekommen war. Er durchsuchte sie alle nach der Reihe, aber vergebens; er sah und fühlte nichts als leere Wände.

      Er rief, so laut er konnte: »Höre mich, holde Nymphe! Zeige dich mir nur einen Augenblick!« – Umsonst! Nichts als seine eignen Worte hallten ihm vervielfältigt von den öden Felsenwänden entgegen. Immer fing er wieder von neuem an zu suchen, verirrte sich zuletzt in dem helldunkeln Labyrinth und fand nur mit großer Mühe den schmalen Gang wieder, durch den er gekommen war.

      Er wollte nun seinen ganzen Unmut über die alte Spinnerin ausgießen, welche, wie er glaubte, seiner gespottet hätte; aber siehe da! die Alte war verschwunden, und eine schöne Frau von majestätischem Ansehen saß an ihrer Statt am Rocken und spann mit einer Grazie, die den kältesten aller Stoiker bezaubert hätte.

      »Was suchst du hier, junger Mensch?« fragte sie den bestürzten Phöbidas in einem sanften Ton, aber mit einem Scharfblick in seine Augen, der wie ein Blitz durch sein ganzes Wesen fuhr. Ein glühendes Rot entbrannte plötzlich auf seinen Wangen, er wußte nicht, was er antworten sollte, und verstummte.

      »Ein gutes Zeichen«, sagte die Dame, den Kopf seitwärts drehend, »er kann noch erröten.«

      »Besser, wenn er über nichts zu erröten hätte«, antwortete eine unsichtbare Stimme, die nur einer der Musen angehören konnte und durch ihren lieblichen Silberton den immer mehr erstaunenden Jüngling beinahe noch mehr entzückte, als die Gestalt der fliehenden Nymphe getan hatte, wiewohl der Sinn ihrer Worte nicht von der besten Vorbedeutung war. Aber zu sehr bestürzt über alles, was er in dieser wunderbaren Grotte sah und hörte, konnt er noch immer keine Worte auf seiner Zunge finden und blieb, wie in den Boden eingewurzelt, stumm und unbeweglich stehen.

      »Wofern du, wie es scheint, hier nichts zu suchen hast«, sagte die schöne Spinnerin, »würdest du nicht übeltun, dich zurückzuziehen.«

      Dieses Wort, in einem milderen Ton gesprochen, als sein Inhalt und der Blick, der es begleitete, versprach, gab ihm auf einmal die Sprache wieder.

      »Wenn du, wie mich alles glauben heißt, eine Göttin bist«, sagte er, »so sei gütig und verzeihe mir. Ich bin meiner selbst nicht mächtig. Diesen Morgen, da ich im Wald umherirrte, erblick ich eine junge Nymphe, die, sobald sie mich gewahr wird, die Flucht ergreift. Es war mir unmöglich, ihr nicht nachzusetzen. Sie läuft schneller als der Wind, und ich verfolge sie durch Busch und Wald, über Berg und Tal bis zu dieser Grotte, in welche sie sich hineinstürzt. Auch hieher folgt ich ihr, aber sie war verschwunden, und...«

      »...du fandest an ihrer Stelle eine alte Spinnerin an diesem Rocken sitzen, die dich nicht allzu freundlich anließ?«

      Phöbidas, in der Ungewißheit, ob die schöne Dame, die er vor sich sah, und die Alte nicht ebendieselbe Person sei, verstummte abermals. »Du bist ein wunderlicher Mensch«, sagte die Dame. »Gestehe mir aufrichtig, wer bist du?«

      »Der Sohn des thessalischen Fürsten, dem diese Landschaft angehört.«

      »Die Alte hatte recht«, versetzte die Dame; »wenn dem so ist, desto schlimmer für dich! – Aber wo glaubst du zu sein?«

      »Wo anders als im Gebiete meines Vaters, welches sich vom Fuß des Öta über die ganze Gegend um Elateia erstreckte«

      »Deine Nymphe hat dich weiter geführt, als du glaubst. Diese Grotte ist ein Teil des Parnassus, und du bist im Gebiete – des delphischen Gottes und seiner Schwester.«

      »Ist's möglich?« rief Phöbidas bestürzt.

      »Einer törichten Leidenschaft ist alles möglich«, sagte die Dame. »Du bist, wie du siehst, in meinem Gebiet; aber das würdest du auch im Gebiete deines Vaters sein. Deine Leidenschaft hat dich in meine Gewalt gegeben.«

      »Ich unterwerfe mich ihr willig; nur bitte ich, bediene dich ihrer mit Milde.«

      »Was wünschest du von mir, Phöbidas?«

      »Du weißt es und vermagst hier alles. Ich beschwöre dich bei der Göttin, die dich geboren hat, laß mich das liebliche Mädchen wiedersehen, das mich mit unwiderstehlicher Gewalt bis hieher gezogen hat.«

      »Es gibt keine unwiderstehliche Gewalt, junger Mensch. Bloß deine Schwäche macht dich zu unserm Sklaven. Gebiete dir selbst, so bist du frei!«

      »Ich will nicht frei sein«, rief der Jüngling. »Ebensoleicht könnt ich mir gebieten, den Parnaß auf den Öta zu setzen, als die Holde nicht zu lieben, die du mir entrissen hast.«

      »Zu lieben«, sagte die Dame, ironisch lächelnd; »du liebst also meine Daphnidion?«

      »Sonst wußt ich nicht, was Liebe ist. Noch gestern glaubt ich alle Mädchen zu lieben, die mir gefielen; es war lauter Spiel und Kinderei. Was ich itzt fühle, ist ganz was anders; es gilt Leben oder Tod.«

      »Diese Sprache führen alle deinesgleichen. Ich glaube an keine so plötzlich vom bloßem Ansehen aufgebrausete Liebe; und du, lächerlicher Mensch, hast deine Geliebte sogar nur von hinten gesehen.«

      »Gleichviel«, rief Phöbidas; »was ich sah, hat ein unauslöschliches Bild in meiner Seele zurückgelassen, das nie aufhören wird, sie auszufüllen, bis ich sie selbst wiedersehe. Ich werde wahnsinnig darüber werden. Was kannst du für eine Freude haben, mich elend zu machen?«

      »Beinahe«, sagte die Dame, »könntest du mich verführen, Mitleiden mit dir zu haben.«

      »Die Frage ist noch, ob er es verdient«, sagte die unsichtbare Stimme.

      »Das soll sich bald zeigen«, erwiderte die Dame. »Du verlangst deine Nymphe zu sehen und zu sprechen; du sollst sie sogar berühren, um gewiß zu sein, daß es keine Luftgestalt ist. Aber merke wohl, mehr als einen Sinn zu befriedigen ist dir nicht erlaubt. Es kommt auf dich an, ob du sie sehen willst, ohne mit ihr zu reden, oder mit ihr reden, ohne sie zu sehen, oder sie berühren, ohne sie weder zu sehen noch zu hören. Wähle!«

      Phöbidas, nicht gewohnt, lange zu überlegen, was er wollte, und vom Bilde der fliehenden Daphnidion erhitzt, dachte bei sich selbst: "Ich habe sie bereits gesehen und gehört; denn vermutlich war die Stimme der Unsichtbaren die ihrige; aber berührt hab ich sie noch nicht, und lief ich ihr denn aus einer andern Absicht so lange, bis mir der Atem ausblieb, nach, als um sie zu erhaschen?" – »Ich wähle das letztere«, sprach der Unbesonnene.

      »Das

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