Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

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Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal

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Freund – später einer meiner besten Freunde – nach unserem ersten oder zweiten Treffen nicht ein, noch einen Kaffee in meinem Zimmer zu trinken. Ich war vergewaltigbar, also war ich vorsichtig.«6

      Das Gefühl, mit einer – mal mehr, mal weniger, aber stets anwesenden – Bedrohung zu leben, ist keineswegs der zweiten Welle der Frauenbewegung vorbehalten. Auch jüngere Feminist*innen wie Hengameh Yaghoobifarah vom Missy Magazine schildern die Vorahnung von sexualisierter Gewalt nicht als Ausnahme, sondern als Alltag: »Laute Typengruppen bedeuten einen Straßenseitenwechsel, das bereite Handy für die Notruf-Schnellwahl, zwischen den Fingern zu einem Schlagring aufgestellte Schlüssel und viel Herzrasen […] all diese Maßnahmen sind zur Routine geworden. Denn Frau zu sein bedeutet leider, in ständiger Angst vor Gewalt leben zu müssen.«7

      Nach wie vor gehört die Warnung vor Vergewaltigung zu den Initiationen in die Geschlechterverhältnisse. Zuweilen noch vor jeglicher Form von sexueller Aufklärung erfahren Mädchen, dass sie aufpassen müssen – in der Regel ohne nähere Informationen, wie sich das gestalten soll. Jungen wachsen mit ebenso verwirrenden Botschaften auf, so sollen sie auf Mädchen besondere Rücksicht nehmen und vorsichtig mit ihnen umgehen, gleichzeitig gelten aber genau diese Eigenschaften als »unmännlich«: die Philosophin Susan Bordo nennt das den »Double Bind der Männlichkeit«8.

      Im Vergewaltigungsskript gibt es nur zwei Geschlechter: Täter und Opfer. Wer Vergewaltigung sagt, denkt an aggressive Männer und ängstliche Frauen, an Penisse als Waffen und Vaginas als ungeschützte Einfallstore in ebenso ungeschützte Körper; oder weniger martialisch: an Männer, die meinen, »ein Recht« auf Frauenkörper zu haben. Um die Rechte dieser Frauenkörper zu verteidigen, prägte die Frauenbewegung in den 1970er Jahren die Parole »Nein heißt nein!«, die noch heute die Anti-Vergewaltigungs-Politik maßgeblich bestimmt. Diese Parole hat, wie im nächsten Kapitel ausgeführt wird, eine Geschichte und eine Funktion, doch bricht sie nicht mit den Vorstellungen, auf denen der Vergewaltigungsdiskurs basiert, nämlich: dass Männer sexuell aktiv bis überaktiv sind, während sich die Aktivität der Frauen auf Nein-Sagen beschränkt, dass männliche Sexualität monströs und gefährlich ist, gegenüber der »guten« weiblichen Sexualität und so weiter.

      Auch ich habe »Nein heißt nein!« auf zahllosen Demonstrationen, auf zahllosen Transparenten durch die Gegend getragen und mir mit Kajal auf den Bauch geschrieben (zusammen mit »Mein Körper gehört mir« und »Mein Bauch gehört mir«). Um die Welt von Vergewaltigung zu befreien, schien es ein kleiner Preis, dass sich unser Stil an diesem Punkt nur unwesentlich von der Rhetorik derjenigen unterschied, gegen die wir doch eigentlich kämpften. »Welchen Teil von Nein verstehst du nicht?« war wenigstens witzig, und es enthielt noch einen Hauch von Austausch. Doch »Nein heißt nein« war das Äquivalent zu »Noch ein Wort, und du gehst ohne Abendbrot ins Bett«.

      Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sexuelle Gewalt einen so gewaltigen Einfluss darauf hat, wie wir uns in der Welt verorten und anderen Menschen gegenübertreten, ist die Sprache, die wir dafür finden, jedoch keineswegs ein Nebenwiderspruch, wie mir heute klar ist. Und die Kommunikation in diesem Kontext wird mitnichten nur von Feministinnen mit paternalistischer Autorität geprägt, so scheint es manchmal, als gäbe es genau genommen gar keine Kommunikation zwischen zwei Seiten, die in so überzogener Form den gängigen Geschlechterstereotypen entsprechen, dass es schwerfällt, sie als Mitglieder derselben Spezies zu erkennen. Der Vergewaltigungsdiskurs ist eine der letzten Bastionen und Brutzellen für Geschlechterzuschreibungen, die wir ansonsten kaum wagen würden zu denken, geschweige denn auszusprechen – und zwar durch alle politischen Lager und Gesellschaftsschichten hindurch. Sobald wir das V-Wort in den Mund nehmen, laufen die Uhren rückwärts, und es ist für immer 1955. Die Propaganda im Kalten Krieg der Geschlechter besagt, dass weibliche Sexualität ein bedrohtes Gebiet ist, das geschützt und verteidigt werden muss – anstatt erforscht und genossen. Etwas weiter unter dem Radar, aber nicht weniger folgenreich, sind die Botschaften über männliche Sexualität, die als zerstörerische Macht erscheint, die kontrolliert und beherrscht werden muss – anstatt erforscht und genossen. Die Publizistin Katie Roiphe nennt dies das »Vampirmodell männlicher Sexualität«9.

      Dass diese Diskurse keineswegs mit dem letzten Jahrtausend beendet wurden, bewiesen die Biologen Randy Thornhill und Craig T. Palmer, als sie 2000 versuchten, Vergewaltigung evolutionsbiologisch zu erklären. Ihr Buch A Natural History of Rape basiert auf der Grundthese, dass Männer genetisch darauf programmiert seien zu vergewaltigen, um ihre evolutionären Chancen zu verbessern, indem sie ansonsten unerreichbare Frauen schwängern.10 Anthropolog*innen, Psycholog*innen und Soziolog*innen aus aller Welt wiesen darauf hin, dass keineswegs nur Frauen im gebärfähigen Alter vergewaltigt würden, dass die Wahrscheinlichkeit, durch eine Vergewaltigung schwanger zu werden, prozentual deutlich unter der von einvernehmlichem Geschlechtsverkehr liege,11 von diesen Schwangerschaften ein guter Teil nicht ausgetragen werde und dass die evolutionären Vorteile, unter solch belasteten Umständen zur Welt zu kommen, sowieso fraglich seien. Vor allem aber müssen Sexualstraftäter verblüfft gewesen sein, als sie den Grund für ihre Verbrechen erfuhren.

      »Die meisten männlichen Verbrecher geben reproduktiven Erfolg nicht als Motivation für ihre Verbrechen an. Das liegt daran, dass psychologische Mechanismen normalerweise im Bereich des Unbewussten wirksam sind«, verteidigten Satoshi Kanazawa von der Indiana University of Pennsylvania und Mary C. Still von der Cornell University die Fortpflanzungdurch-Vergewaltigung-These. »Etwas treibt sie dazu. Unser Schluss ist, dass dieses Etwas der entwicklungspsychologische Mechanismus ist, der alle Männer dazu treibt, nach reproduktivem Erfolg zu streben. Den Männern ist diese evolutionäre Logik überhaupt nicht bewusst.«12 Das hört sich so unheimlich an wie das Klischee von dem Vergewaltiger, der seinem Opfer zuraunt: »Ich weiß, dass du es in Wirklichkeit auch willst«, nur dass es in diesem Fall die Wissenschaft ist, die weiß, was der Vergewaltiger will.

      Thornhill und Palmer verstanden die Aufregung nicht, die ihr Buch ausgelöst hatte. »Alle Leute verstehen Sex doch als etwas, das Frauen haben und Männer wollen«13, rechtfertigten sie sich und schlugen ein Anti-Vergewaltigungs-Programm für Schulen vor, in dem junge Männer eindringlich darin trainiert würden, ihren »evolutionsbasierten« Drang zu sexuellen Übergriffen unter ständiger Kontrolle zu halten. Nach dem Motto: Wenn man weiß, wie gefährlich etwas – also man selbst – ist, reißt man sich besonders zusammen.

      »›Zusammenreißen‹? Ist es so schlimm?«14, fragte der Soziologe Michael Kimmel zynisch. »Wie wäre es stattdessen mit ›ausdrücken‹ – ihren ebenso evolutionsbasierten biologischen Drive: Genuss, Gegenseitigkeit und Freude zu empfinden, auszudrücken? Der ja vielleicht genauso in unsere DNA eingeschrieben ist? Erziehung dazu, sich zusammenzureißen, ist wahrscheinlich die (zweit)größte politische Pleite, die es gibt, und noch dazu völlig ineffektiv.«15

      Abgesehen davon, dass eine Botschaft wie »Vergewaltigung liegt in deinen Genen« ein vernichtendes Urteil für Jugendliche bedeutet, ist es auch unmöglich, ein gesundes Verhältnis zu der eigenen Sexualität aufzubauen, wenn man gleichzeitig die ganze Zeit dagegen ankämpfen soll wie ein trockener Alkoholiker gegen sein Verlangen nach Spirituosen. Konsequent zu Ende gedacht, wäre der einzige sichere Ort für eine solche Sexualität hinter Schloss und Riegel. Es muss menschenfreundlichere Theorien und entsprechend auch menschenfreundlichere Lösungen für das Vergewaltigungsenigma geben.

      Derweil schlägt Michael Kimmel spielerische Intervention vor, wie den »Spritzschutz«, den ein Kollege von ihm für die »Rape Awareness«-Woche seiner Universität produzieren ließ: »(Für diejenigen, die nicht wissen, was ein Spritzschutz ist: Es handelt sich dabei um die Plastikgitter, die in Männertoiletten in die Pissoirs gestellt werden, um Spritzen zu vermeiden.) Mein Kollege ließ Tausende mit dem einfachen und hoffnungsvollen Slogan herstellen: Das Mittel, Vergewaltigung zu stoppen, liegt in deiner Hand.«16

      Dieser Vorschlag ist deutlich sympathischer und berücksichtigt die menschliche Fähigkeit, sich zu ändern und eigene

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