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sich nicht »wie Schlampen anziehen«, um Vergewaltigungen zu vermeiden. Dagegen sind vergleichbare Forderungen an Männer, »sich gefälligst zusammenzureißen«52, den Neandertaler in sich zu bezwingen,53 oder die Handzettel, mit denen die American College Health Association männliche Erstsemester warnt: »Ihr mögt eure Lust nicht kontrollieren können, wohl aber eure Handlungen.«54 noch immer Teil der Rhetorik, mit der wir das unerklärliche Phänomen Vergewaltigung erklären.

      Doch wie konnte ein solches sexuelles Szenario überhaupt so breit anerkannt werden, angesichts tatsächlicher sexueller Beziehungen? Indem alles, was diesem Bild nicht entsprach, Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts als krank definiert wurde, oder, um im wissenschaftlichen Diskurs der Zeit zu bleiben: als pervers. Verwirrenderweise wurden diese Perversionen gleichzeitig als normaler Bestandteil der weiblichen Psyche deklariert: die Frau, das perverse Geschlecht.

      So fuhr Krafft-Ebing, nachdem er die Asexualität der Frau etabliert hatte, fort: »Gleichwohl macht sich in dem Bewusstsein des Weibes das sexuelle Gebiet mehr geltend als in dem des Mannes. Das Bedürfniss nach Liebe ist größer als bei dem, continuierlich, nicht episodisch.«55 Männer dachten also nur an Sex, wenn sie eine Frau sahen, während Frauen die ganze Zeit heiß darauf waren, es sei denn, sie hatten tatsächlich Sex mit einem Mann?

      Die Psychoanalytikerin Helene Deutsch, die in den 1940er und 50er Jahren als die Spezialistin für Die Psychologie der Frau – so der Titel ihres einflussreichsten Werkes – galt, erklärte dieses Paradox mit dem weiblichen Masochismus, der nach Deutsch nicht eine Spielart, sondern die Voraussetzung für den erotischen Genuss der Frau darstellte. Nachdem sie für die Erhellung der physischen die psychischen Vorgänge herangezogen hatte, erklärte sie die Psyche wiederum mit der Physis, genauer gesagt mit der Vagina, die nach Deutsch komplett passiv sei und nur durch den Penis erweckt werden könne.56 Daraus entstünde das tiefe weibliche Bedürfnis, überwältigt zu werden. »Die ›unentdeckte‹ Vagina wird – im normal günstigen Fall – durch einen ›Vergewaltigungsakt‹ erotisiert. […] Jene Phantasie ist nur eine psychologische Vorbereitung für einen realen, wohl milderen, jedoch dynamisch identischen Vorgang. Er drückt sich in der aggressiven Penetration von Seiten des Mannes einerseits, in der ›Überwältigung‹ der Vagina zur erogenen Zone andererseits aus!«57

      Damit bezog sich Helene Deutsch auf Sigmund Freuds These, die psychosexuelle Entwicklung der Frau sei erst dann abgeschlossen, wenn ihre Erogenität von der Klitoris (die nach Freud ein verkümmertes männliches Sexualorgan und damit aktiv sei) in die Vagina (das eigentliche weibliche Sexualorgan und damit passiv) gewandert wäre. In seinen Drei Abhandlungen zur Sexualität hatte er bestimmt: »Ist die Übertragung der erogenen Reizbarkeit von der Klitoris auf den Scheideneingang gelungen, so hat damit das Weib seine für die spätere Sexualbetätigung leitende Zone gewechselt, während der Mann die Seinige von der Kindheit an beibehalten hat.« Dies barg selbstredend mannigfaltige Gefahren für Fehlentwicklungen und Regredierungen unterwegs, so dass die Voraussetzung für das »Weibwerden« gleichzeitig zur Voraussetzung wurde »für die Bevorzugung des Weibes zur Neurose, insbesondere zur Hysterie. Diese Bedingungen hängen also mit dem Wesen der Weiblichkeit innigst zusammen.«58

      Doch auch ohne Neurosen war die Prognose für die weibliche Sexualität pessimistisch. Nicht nur glich der Geschlechtsakt so sehr einer Vergewaltigung, dass Kinder, die ihre Eltern beim Koitus überraschten, laut Freud meinten, eine Vergewaltigungsszene zu sehen – zumindest beim Verlust ihrer Jungfräulichkeit empfände die Frau das genauso, da »die sexuellen Geschehnisse in [der Hochzeitsnacht] oft nur auf eine Notzucht hinauslaufen«59, wie der Psychiater Leopold Loewenberg ausführte. Helene Deutsch ging noch weiter und setzte voraus, dass die Penetration dies im Kern auch bliebe. »Die häufige Angst der Frau vor dem Koitus liegt in der Tatsache begründet, dass er eine Beschädigung der Körpereinheit darstellt.«60 Sexualität – und damit ist der Koitus gemeint, jede andere Form von Sexualität galt als Regression – war demnach in letzter Instanz nicht natürlich für die Frau, so masochistisch veranlagt sie auch war.61

       Sexing the Difference II: Ja heißt nein!

      Bei der Lektüre dieser ganzen psychoanalytischen Texte, in denen die Vorstellung von Sexualität nie einfach für Sexualität steht, sondern stets für etwas weitaus Dunkleres, Tieferliegendes, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass auch Vergewaltigung und Masochismus Stellvertreter für ganz andere Auseinandersetzungen waren und dass sich sexuelle Macht und Ohnmacht völlig banal auf reale Macht und Ohnmacht bezogen.

      Tatsächlich schreiben Freud und Deutsch und Ellis nicht über Masochismus als sexuelle Phantasie, sondern als (neurotische) Charaktereigenschaft. Damit sind diese Texte streng genommen gar keine sexualpsychologischen Schriften, sondern Psychogramme ihrer Gesellschaft anhand von sexuellen Symptomen. Und so wurden sie auch gelesen. Außer einem kleinen Fachpublikum interessierte sich niemand ernsthaft für die Probleme des »Rattenmannes« oder der »Anna O.«, aber alle wollten wissen, was Männer und Frauen wirklich dachten und fühlten. Freud und Ellis informierten die gebannte Öffentlichkeit – nicht überraschend, aber doch überraschend unverblümt –, dass der Sexualtrieb nicht nur in seiner männlichen Ausprägung aktiv wäre und in seiner weiblichen passiv, sondern dass Dominieren Männlichkeit und Dominiertwerden Weiblichkeit definiere.

      Der Einfluss dieser Definition erklärt, warum Masochismus noch heute ein solches Reizthema ist, dass der Erfolg eines Softporno-Bestsellers wie 50 Shades of Grey ausreichte, um eine Debatte darüber auszulösen, warum sich Frauen in der Tiefe ihrer Psyche danach sehnten, von Männern dominiert zu werden – so, als würden Menschen ihre sexuellen Praktiken eins zu eins auf andere Interaktionen, auf berufliche Ambitionen und vor allem die Politik übertragen. Newsweek widmete dem männlichen Dom und der weiblichen Sub des Romans eine Coverstory und fragte: »Warum ist der freie Wille eine solche Last für Frauen?«62

      Worauf die britische Autorin und Aktivistin Laurie Penny antwortete: »Zu den Dingen, die Jean-Jacques Rousseau wirklich zu schätzen wusste, zählten neben der Freiheitsphilosophie auch junge Damen, die ihm bis zur Ekstase den Hintern versohlten. […] Nie gab es jedoch auch nur den kleinsten Hinweis darauf, dass Männer, die sich sexuell gern von Frauen dominieren lassen, auch sozial und wirtschaftlich von ihnen dominiert werden wollen. […] Dass Kink – besonders der Sadomasochismus – dermaßen salonfähig geworden ist, soll den Frauen aber angeblich beweisen, dass es mit unserem Emanzipationskram eben doch nicht so weit her ist, wie wir es vielleicht glauben.«63 Auch die geschlechtsspezifische Vorstellung der sexuellen Präferenzen – Männer hauptsächlich dominant versus Frauen hauptsächlich submissiv – hat mehr mit Deutsch/Freud/Ellis zu tun als mit gelebten Realitäten. 2015 belegte eine Studie an der Universität Merseburg, dass sich Männer und Frauen in Bezug auf ihre sexuellen Vorlieben statistisch schlicht nicht voneinander unterscheiden.64

      Die aufgebrachten Artikel und Kommentare über die weitgehend harmlose Cinderella-Geschichte mit – nicht einmal wirklich masochistischen – Sexszenen lassen das Ausmaß des Schadens, den der psychoanalytische Masochismus-Diskurs angerichtet hat, erahnen. Besonders problematisch war, dass Freud in der Psychopathologie des Alltagslebens die berüchtigte Behauptung aufgestellt hatte, Frauen fänden es schwierig, sich gegen eine Vergewaltigung zu wehren, weil ein Teil von ihnen diese herbeisehne. Er illustrierte das nicht etwa mit einem Fall aus seiner Praxis, sondern mit einem Ausschnitt aus einem literarischen Werk: Don Quijote von Miguel de Cervantes.

      Darin kommt eine Frau zu dem Richter Sancho Panza und zeigt eine Vergewaltigung an. Panza nimmt dem Angeklagten seine volle Geldbörse weg und gibt sie der Frau als Entschädigung. Sobald diese gegangen ist, schickt er ihr den Mann jedoch hinterher mit dem Auftrag, die Börse zurückzustehlen. Nach einer Weile kommen die beiden kämpfend und fluchend zurück zum Gerichtshaus. Woraufhin Sancho Panza zu der Frau sagt: Hättest du nur die Hälfte der Kraft, die

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