Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal страница 8

Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal

Скачать книгу

Promiskuität angeht, zwischen Gorillas und Schimpansen. Wir können das an der relativen Größe der Hoden erkennen: Erst Gorillas (ein wenig sexuell freizügig, kleine Hoden), dann Männer und schließlich Schimpansen (sehr freizügig, sehr große Hoden).«81 Und an der Nase eines Mannes erkennt man seinen Johannes?

      Laut Populär-Primatologie seien schon Affenweibchen schüchtern und sexuell zurückhaltend. Bloß lässt sich das nicht belegen, ganz im Gegenteil. So nennt die Anthropologin Meredith Small eine ganze Reihe von Affenarten, bei denen das Weibchen auf das Männchen zugeht, ihre Genitalien in sein Gesicht drückt und auf unzählige weitere Arten Sex initiiert.82 Pavianweibchen bespringen offensichtlich mit größtem Vergnügen ein Männchen nach dem anderen. Und weibliche Bonobos sind nicht nur während ihres gesamten Zyklus sexuell aktiv, sie sind auch diejenigen, die die männlichen Bonobos anführen – was den Ethnologen Frans B. M. de Waal zu der Spekulation über die Evolutionstheorie anregte: »Was wäre gewesen, wenn die Forschung mit den Bonobos begonnen hätte? Wir würden heute aller Wahrscheinlichkeit nach davon ausgehen, dass frühe Hominide in frauenzentrierten Gesellschaften gelebt haben, in denen Sex wichtige soziale Funktionen erfüllte.«83

      Trotzdem ist die Tatsache, dass Frauen nicht primär durch Schokolade und Liebeserklärungen und Babys sexuell erregt werden,84 wohl so überraschend, dass sie immer wieder mit wissenschaftlichen Experimenten bewiesen werden muss. Bis vor kurzem wurden Daten mit dem bewährten Mittel des Fragebogens erhoben. Proband*innen bekamen Bilder oder Filme zu sehen und kreuzten an, was sie ansprach. Wenig überraschend kam dabei genau das heraus, was erwartet wurde: Männer reagierten mehr oder minder stark auf visuelle Reize wie Brüste oder andere Geschlechtsteile, während Frauen nicht durch sexuelle Stimuli erregt wurden, sondern durch emotionale. Bei anonymen Befragungen fielen die Ergebnisse etwas anders aus, aber grundsätzlich schienen Menschen, wenn es um Sex ging, in erster Linie eines zu tun: zu lügen.

      Oder sich selbst anzulügen. Oder nicht mitzubekommen, wie ihre Körper reagierten. Deshalb maß J. Michael Bailey, Professor für Psychologie an der Northwestern University in Illinois, 2002 in einer groß angelegten Studie die Reaktionen auf Bilder mit sexuellem Inhalt direkt an den Genitalien.85 In der Gruppe der männlichen Testpersonen wurden heterosexuelle Männer laut Selbstauskunft am meisten durch Pornos mit heterosexuellem Sex erregt, gefolgt von lesbischem und schließlich schwulem Sex. Bei homosexuellen Männern war es umgekehrt. Auch in der Gruppe der weiblichen Testpersonen stuften lesbische Frauen laut Selbstauskunft lesbische Pornos als am stimulierendsten ein, danach heterosexuelle und an letzter Stelle schwule (und heterosexuelle Frauen anders herum) – bloß dass ihre Genitalien eine komplett andere Geschichte erzählten: Durchblutung und Feuchtigkeit war bei jeder Form von homosexuellem Sex am intensivsten, während heterosexuelle Akte zwar niedrigere Werte erzielten, doch sogar kopulierende Bonobos bekamen eine Reaktion.

      Die Studie krankte an allem Möglichen: dass sie nur in den Kategorien Männer/Frauen sowie heterosexuell/homosexuell konzipiert war und dass Sex ausschließlich in den Genitalien verortet wurde. Was sie jedoch eindeutig widerlegte, war der Sex-Mythos: »Dass Männer, wenn es um Sex geht, eher auf visuelle Reize reagieren als Frauen, und sowieso immer Sex haben wollen.«86

      Doch sobald es um Frauen und Erregung geht, ist das Überraschendste an den bahnbrechenden neuen Erkenntnissen, dass diese bereits als bahnbrechend betrachtet werden.

      Damit nicht genug, muss das Gegensatzpaar Männer-visuell/Frauen-emotional wieder und wieder widerlegt werden. Heather Rupp vom Kinsey Institute maß zusammen mit Kim Wallen, Professor für Psychologie und Neuroendokrinologie an der Emory University, die Zeit, die Proband*innen erotische Bilder ansahen, ohne den Blick abzuwenden.87 Selbst im Hundertstelsekundenbereich gab es keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Testpersonen. Darauf zeigten sie ihnen Bilder von Sonnenuntergängen, um herauszufinden, ob sie beim Betrachten von Sex größere Hirnaktivität aufwiesen. Selbstverständlich. Spannend wurde es allerdings bei der Auswertung, welche Teile der Bilder sich Wallens und Rupps Proband*innen anschauten. Eye Movement Tracking enthüllte, dass Männer mehr Zeit mit Gesichtern verbrachten, Frauen, die keine hormonelle Empfängnisverhütung benutzten, bevorzugten dagegen Genitalien und Frauen mit hormoneller Empfängnisverhütung die Kleidung der abgebildeten Personen und den Hintergrund. So viel zu der These, dass Männer immer zuerst auf die Titten schauen.

      Auch ist aktives weibliches Begehren ja keineswegs eine Erfindung der sexuellen Revolution oder der feministischen Revolution oder der sexuellen feministischen Revolution, sondern seit Jahrhunderten der sprichwörtliche weiße Elefant im Raum. Als Rom 2011 das Archiv der Apostolischen Pönitentiarie für Wissenschaftler*innen öffnete, fanden diese darin Tausende von Briefen aus dem 15. Jahrhundert, in denen Frauen vor dem obersten Gerichtshof der katholischen Kirche ihre sexuelle Befriedigung einklagten.88

      Deshalb ist es so bezeichnend, dass Laurie Penny, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, in ihren Texten gerade Unsagbare Dinge – so der Titel eines ihrer Bücher – auszusprechen, reflektiert: »Als ich Unsagbare Dinge schrieb, wollte ich ursprünglich über meine (positiven) sexuellen Erfahrungen schreiben. Aber am Ende entschied ich mich dagegen, weil mich Journalist*innen sonst nur danach gefragt hätten. Und das bedauere ich inzwischen. Mir ist aufgefallen, dass ich es in meinen politischen Texten leichter fand, darüber zu schreiben, dass ich vergewaltigt worden bin, als über all den Sex, den ich selbst wollte.«89

       Sexing the Difference III: Nein heißt nein!

      Ein Buch hat die Art, wie wir über Vergewaltigung sprechen, radikaler verändert als jedes andere Werk des 20. Jahrhunderts – ja, ihm wird sogar das Verdienst zugeschrieben, die »Verschwörung des Schweigens«90 durchbrochen zu haben, so dass wir überhaupt darüber reden: Susan Brownmillers Bestseller Gegen unseren Willen von 1975 war eines der ersten Bücher der US-amerikanischen Frauenbewegung der 1970er Jahre, das vom Mainstream nicht nur akzeptiert, sondern förmlich gefeiert wurde. Brownmiller galt als Pionierin, »die die Existenz von Vergewaltigung, die von Historikern bisher ignoriert oder trivialisiert worden ist, als treibenden Faktor der Weltgeschichte enthüllt hat«.91 Das Buch löste eine breite Debatte aus, in deren Folge die Rechtsprechung zuerst in den USA und daraufhin in zahlreichen weiteren Ländern geändert wurde, und 1976 wählte das Time Magazine Brownmiller zur Frau des Jahres.

      Dass Gegen unseren Willen derartige Auswirkungen hatte, lag daran, dass das Buch nicht nur die Geschichte eines Verbrechens erzählte, sondern anhand von Vergewaltigung eine Analyse der herrschenden Gesellschaftsordnung lieferte. Nach Brownmiller war Vergewaltigung Ursprung und Urszene des Patriarchats. Entsprechend beginnt auch ihre Argumentation wie bereits Krafft-Ebings – und Ellis’ und Darwins und so weiter – in der Urgeschichte mit der Überwältigung der schwachen Frau durch den starken Mann. Allerdings hat sie für diese Szene eine deutlich andere Interpretation: »In der gewalttätigen Welt der primitiven Menschen hatte eine Frau irgendwo einmal die Zukunftsvision ihres Rechts auf eigene körperliche Integrität, und ich sehe sie vor mir, wie sie wie der Teufel darum kämpfte. Urplötzlich war ihr klar geworden, dass dieses spezielle Exemplar eines behaarten Zweibeiners nicht gerade der Homo sapiens war, mit dem sie sich gern zusammengetan hätte, und so war sie es vielleicht, und nicht ein Mann, die den ersten Stein aufnahm und ihn warf. Wie verblüfft muss er gewesen sein, und welch ein unerwarteter Kampf muss dann stattgefunden haben.«92

      Trotz ihrer progressiven Ansichten über das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper konnte Brownmillers Urfrau den Kampf jedoch nicht gewinnen, denn sie hatte etwas, das sie inhärent verletzlich machte: ihre Genitalien. »Die im Mann angelegte Fähigkeit zu vergewaltigen und die entsprechende Verletzlichkeit der Frau liegen ebenso in unserer Physiologie begründet wie der eigentliche Geschlechtsakt selbst. Ohne diesen biologischen Zufall, ohne diese Vorrichtung, die zwei ineinander passende Teile, Penis und Vagina, erfordert, gäbe es weder Geschlechtsverkehr noch Vergewaltigung.«93

Скачать книгу