Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

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Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal

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von Gegen unseren Willen.140 Die Situation ist nur durch eine symbolische Handlung im Gerichtssaal zu lösen. Also entscheidet Katheryn, die Zuschauer wegen Anstiftung zu einem Verbrechen zu verklagen, um Sarah eine zweite Chance zu geben, dass ihre Stimme gehört wird.

      Susan Brownmiller hatte erklärt, dass sie Feministin wurde, als sie erkannte, »dass Vergewaltigung eine permanente Bedrohung darstellt, die mein Leben von Grund auf beeinflusst hat«141. Entsprechend ist auch Sarahs Aussage vor Gericht in Angeklagt als ihre Subjektwerdung als Feministin zu verstehen: »Ich habe Nein gesagt. Ist Nein nicht genug?«142

      Trotzdem ist der kathartische Höhepunkt des Filmes keineswegs Sarahs eigene Schilderung der Geschehnisse, sondern die eines männlichen Zeugen, der schließlich gegen seine Geschlechtsgenossen aussagt.143 Das ist umso verblüffender, als in dem »echten« Fall keine männliche Autorität benötigt wurde. Doch in Angeklagt war das Bedürfnis nach Eindeutigkeit so immens, dass er das Filmteam für den Paternalismus der Gerichtsszene blind machte. »Selten war ein Paar männlicher Augen mächtiger; ohne sein Zeugnis gäbe es keine Verurteilung – ja es gäbe, wie die Verteidigerin feststellt, nicht einmal eine Vergewaltigung«144, konstatiert die Medienwissenschaftlerin Carol Clover. Denn erst als der Zeuge die Tat beschreibt, wird die bis dahin ausgesparte Vergewaltigungsszene eingeblendet und dadurch zur filmischen Realität. Die Wahrheit ist zu sehen und damit auch zu glauben.

      Angeklagt war der mediale Höhepunkt einer Debatte, die bewirkte, dass sich ein Wandel in der Mainstreamdarstellung von Vergewaltigung vollzog. So wurden Szenarien, in denen das Opfer das Verbrechen genoss, immer inakzeptabler, und der Empathieschwerpunkt verschob sich zugunsten der Frau, deren Abscheu und Ekel seitdem im Mittelpunkt stehen.145 Dabei beschreibt der Film die berühmte Szene auf dem Flipperautomaten weder mit Sarahs Worten, noch zeigt er sie aus ihrer Sicht, wie es etwa der Film Bandit Queen (1994) von Shekhar Kapur über die indische Banditin Phoolan Devi tut, in dem die Kamera buchstäblich Devis Position einnimmt und die nackten Beine ihrer Vergewaltiger filmt, die nacheinander in ihren Intimbereich eindringen. Das Gefühl, ganz nahe bei der Protagonistin zu sein, sozusagen in ihrer Psyche, wird in Angeklagt ausschließlich durch das Stilmittel der Rückblende erzeugt. Die Filmwissenschaftlerin Janet Walker bezeichnet dieses Verfahren als »trauma cinema«146, Werke über Erlebnisse aus der Vergangenheit, die in der Regel mit Hilfe von Rückblenden erzählt werden, analog den Flashbacks, die wir mit Traumata assoziieren.

      In den 1980er Jahren war es eine populäre Überzeugung, dass traumatische Ereignisse vom Unterbewussten tatsächlich wie von einer Filmkamera festgehalten und später in Flashbacks »abgespielt« würden – und zwar genau so, wie sie stattgefunden hätten, und nicht so, wie sie in der Situation wahrgenommen wurden. Die »objektive« Rückblende in Angeklagt bewegt sich in dieser Vorstellungswelt. Durch sie erlebt Sarah ihr Trauma noch einmal, dieses Mal jedoch nicht alleine, sondern mit dem versammelten Gericht, das sie vom Stigma der lüsternen Frau, die sich nachts alleine in Kneipen herumtreibt, freispricht und nun richtig als Opfer identifiziert. Mit diesem Akt des Veräußerns ist die Therapie erfolgreich abgeschlossen und die Angeklagten erhalten – pars pro toto für die Mehrheit der männlichen Bevölkerung – das Urteil: schuldig.

      »Terror strahlt aus dem Mann, Terror erleuchtet sein Wesen, Terror ist sein Lebenszweck«147, gab die Schriftstellerin und Aktivistin Andrea Dworkin bekannt, deren Texte in den 80er Jahren für eine kurze Zeit überraschend einflussreich waren, ebenso wie die Arbeiten von Catharine MacKinnon, die erklärte, dass heterosexuelle Sexualität nur schwer von einer Vergewaltigung zu unterscheiden sei, denn: »Männliche Dominanz ist sexuell. Das bedeutet, dass vor allem Männer, wenn nicht nur Männer, Herrschaft sexualisieren.«148 Demgegenüber gab es die nicht minder breit rezipierte These, dass der Feminismus Männer so sehr in ihrer Identität gefährde, dass sie durch das Wegbrechen der »stabilen Geschlechterordnung« zu Vergewaltigern würden – besser bekannt als »Krise der Männlichkeit«-Theorie.149 Es ist eine Ironie des Schicksals, dass dieser vehement geführte politische Kampf das Problem letztendlich entpolitisierte, indem er es sexualisierte. Doch zwischen den Polen »Männer vergewaltigen, weil sie schlechte Menschen sind« und »Männer vergewaltigen, weil Feministinnen schlechte Menschen sind«150 war eine Menge verbrannter Erde.

      Die Reaktionen auf den Big Dan Case sind charakteristisch für das angespannte Verhältnis zwischen den Geschlechtern zu diesem Zeitpunkt. In einem Artikel für Ms rang die spätere Journalismusprofessorin Mary Kay Blakely damit, dass ihre eigenen Söhne eines Tages unter den jubelnden Zuschauern einer Vergewaltigung sein könnten. Sie adressierte ihren Text an einen der »34 Prozent Männer, die sich von sexualisierter Gewalt gegen Frauen abgestoßen fühlen«151. Abgesehen von der Frage, woher Blakelys Statistik kam, ist vor allem die durchdringende Bedrohung bemerkenswert, die im historischen Rückblick wie ein Szenario aus einem totalitären Regime wirkt, in dem Eltern nicht einmal ihren Kindern trauen können, wenn diese männlich sind. Angeklagt war das cineastische Manifest dieser Haltung. Die Filmkritikerin Penny Ashbrook lobte, der Film komme beeindruckend nahe an eine Umsetzung von Susan Brownmillers berühmter Aussage, dass »Vergewaltigung eine Methode bewußter systematischer Einschüchterung ist, durch die alle Männer alle Frauen in permanenter Angst halten«152.

      Tatsächlich war »die weibliche Angst«153 zu diesem Zeitpunkt ein Synonym für das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung durch Vergewaltigung geworden, das Susan Griffin in ihrem einflussreichen Artikel »Rape: The All-American Crime« mit den Worten beschrieben hatte: »Ich war niemals frei von der Angst vor Vergewaltigung. Von klein auf war Vergewaltigung für mich, wie für die meisten Frauen, ein Teil meiner natürlichen Umgebung – eine Bedrohung wie Feuer oder Blitzschlag.«154 Vergewaltigung galt als »alles durchdringende und kontinuierliche Conditio der weiblichen Existenz«155. Damit hatte der Anti-Rape-Aktivismus – so viel wir ihm auch zu verdanken haben, und das will ich auf keinen Fall schmälern, auch wenn ich nicht immer mit seiner Rhetorik übereinstimme – paradoxerweise eben das erreicht, was Brownmiller als Absicht »allen Männern« unterstellte, nämlich dass ein signifikanter Teil der weiblichen Bevölkerung in konstanter Furcht lebte, einer Furcht, die es selbstverständlich auch davor gegeben hatte, jedoch nicht in demselben Ausmaß. Denn Furcht funktioniert wie ein sozialer Virus, der zwar nicht unbedingt durch Publizität erzeugt, aber vervielfältigt wird. »Nach den ganzen Workshops und Flugblättern über Date Rape, Safer Sex und sexuelle Belästigung, bleiben wir – egal wie mutig und erwachsen, wie rebellisch und sorglos wir auch sein mögen – mit dem Gefühl von unmittelbarer Gefahr zurück«156, kommentierte Katie Roiphe.

       Ehre I: Das Schicksal, das schlimmer ist als der Tod

      Allerdings kam die Auffassung, dass Vergewaltigung deshalb ein besonderes Verbrechen sei, weil dabei die Seele oder die Essenz einer Frau angegriffen werde, nicht erst in den 1970er Jahren auf, sondern lässt sich so weit zurückverfolgen wie die entgegengesetzte Überzeugung, dass Frauen nur darauf warteten, überwältigt zu werden. Vergewaltigung ist wie kaum ein anderes Thema voller Paradoxien und Widersprüche. Doch lag dieser spezielle Widerspruch an der Vorstellung dessen, was eine »echte« Vergewaltigung konstituierte und wer als »vergewaltigbar« galt. Von dieser Kategorie waren nicht nur cis Männer und trans Menschen ausgeschlossen, sondern auch ein großer Teil der cis Frauen, wenn diese beispielsweise nicht weiß waren oder in anderer Form den Normen von Weiblichkeit nicht entsprachen. Tatsächlich machte der Raub jener Essenz sie erst zu einem »echten« Opfer, dem »echte« Rechte zustanden. Das bedeute allerdings auch, dass eine Frau ohne diese Essenz schlicht keine echte Frau war. Doch wie kam es überhaupt zu dem Axiom, dass die Sexualität einer Frau ihre Essenz sei? Schließlich ist die Selbstbestimmung über die eigene Sexualität eine wichtige Angelegenheit für alle Geschlechter – ebenso wie die Selbstbestimmung über den eigenen Geist, und über die Gesundheit, wie die Gewährleistung der Grundbedürfnisse und all der anderen Dinge, die das Leben lebenswert machen. Warum also wurde

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