Vergewaltigung. Mithu M. Sanyal

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Vergewaltigung - Mithu M. Sanyal

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Autor*innen, für ihre unreflektierte Reproduktion von rassistischen Stereotypen im weiteren Verlauf des Buches kritisiert. Doch stieß sich damals niemand sonderlich an der biologistischen Grundannahme: »Es ist dem Bauplan der Geschlechtsorgane, um den man nicht herumkommt, zuzuschreiben, dass der Mann der natürliche Verfolger des Weibes war und die Frau seine natürliche Beute.«95

      Das muss man nun im Kontext der Zeit lesen, in der Ehemänner den Arbeitsvertrag ihrer Frauen kündigen durften, wenn sie meinten, dass diese wegen ihres Berufs den Haushalt nicht sorgfältig genug machten,96 Frauen für die gleiche Arbeit geringere Stundenlöhne bekamen und ihnen ganze Berufszweige (wie beispielsweise die Polizei97) verschlossen waren. Bei diesen ungleichen Ausgangsbedingungen ist es wenig verwunderlich, dass Brownmiller der Verdacht kam, Männer hätten vielleicht einen schlechten Charakter. Und da wir alle aus den gleichen Zellen bestehen, musste der Grund für den Machtunterschied – und die damit einhergehende Möglichkeit für Machtmissbrauch – auf einer anderen Ebene zu finden sein. Was lag also näher, als ihn in den einzigen Teilen des Körpers zu suchen, die offensichtlich unterschiedlich waren?

      In der politischen Theorie der 1970er Jahre bestand die Persönlichkeit aus zwei Anteilen, nature und nurture. Wo nature unveränderlich war, lag nurture in der Hand der Gesellschaft. Und bei genauerem Lesen fällt auf, dass Gegen unseren Willen durchaus beide Anteile berücksichtigt: Vergewaltigung als durch die Genitalien determinierte Handlung und als Ergebnis kultureller Prägungen. So beschreibt die imaginierte Urszene den »ersten Vergewaltigungsversuch«98 als Schlüsselerlebnis für die fliehende Frau ebenso wie für ihren männlichen Verfolger, der nun die zweite Vergewaltigung plant. »Ja, eine der frühesten Formen männlicher Gruppenbildung wird die zur gemeinsamen Vergewaltigung einer Frau gebildete Bande plündernder Männer gewesen sein. Und nachdem dies vollbracht war, wurde Vergewaltigung nicht nur ein männliches Privileg, sondern auch das entscheidende Machtinstrument des Mannes gegenüber der Frau, der Durchsetzung seines Willens und Hauptursache ihrer Furcht. [Der] Triumph seiner Männlichkeit.«99

      Bis heute ist die Schilderung von körperlichen Grenzüberschreitungen als »Triumph« (des Vergewaltigers) ein Topos in Vergewaltigungserzählungen, ebenso wie die »Entdeckung des Mannes, dass seine Genitalien als Waffe zu gebrauchen sind«. Wobei man meinen sollte, dass sich kaum etwas weniger als Waffe eignet als ein Penis, doch ist diese Analogie noch deutlich älter als Gegen unseren Willen. Brownmiller kommt zu dem Schluss: »Die Frau war für den Mann der erste bleibende Wert, den er erwarb, sein erstes echtes Besitzstück und somit Grundstock und Eckpfeiler des ›Vaterhauses‹.«100

      Als Buch einer Bewegung hatte Gegen unseren Willen das erklärte Ziel, die Verhältnisse zu verändern, und an diesem Eckpfeiler sollte das Vaterhaus in der Folge angegriffen werden. Wobei Vaterhaus selbstverständlich eine literarische Umschreibung für das Patriarchat war, das nun als System zur Vergewaltigung von Frauen verstanden wurde, ebenso wie Vergewaltigung im Umkehrschluss als System zur Stabilisierung des Patriarchats. Der berühmteste Satz des Buches lautete: »[Vergewaltigung] ist nicht mehr und nicht weniger als eine Methode bewußter systematischer Einschüchterung, durch die alle Männer alle Frauen in permanenter Angst halten.«101

      Diese Definition hatte ein solches Gewicht, weil Susan Brownmiller damit die Gretchenfrage des Feminismus beantwortete: »Wie hat das alles angefangen?«102 Dadurch ist Vergewaltigung jedoch nicht nur der Ursprungsmythos des Patriarchats, sondern auch der der zweiten Welle der US-amerikanischen Frauenbewegung. Denn für die Frauenrechtlerinnen des 19. Jahrhunderts hatte die Frage der sexuellen Gewalt nur eine marginale Rolle gespielt. »Es ist in der Tat auffällig, wie wenig Aufmerksamkeit die Feministinnen des 19. Jahrhunderts für Vergewaltigung übrig hatten«, bemerken die Historikerinnen Ellen Du Bois und Linda Gordon. Den Rang der »zentralen weiblichen Angst«103 hatte – zumindest in den bürgerlichen Teilen der Frauenbewegung – die Prostitution eingenommen. Anti-Vice-Organisationen104 debattierten, wie sie die männliche Lust stoppen und die Ehre der Frauen reinhalten könnten.105 Wenn die britische Suffragette Frances Swiney feststellte: »Die Erlösung der Frau vom Mädchenhandel kann nur durch die Erlösung des Mannes von seiner Sexbesessenheit erreicht werden«106, dann hörte sich das nicht zufällig nach dem frigide-Frauen/feurige-Männer-Modell von menschlicher Sexualität an. Denn diese Ansichten darüber, was uns zu Männern und Frauen – und damit erst als Menschen vorstellbar – macht, waren so weitreichend, dass sie die Grenzen der politischen Lager überschritten, und auch die Feministinnen der 70er Jahre griffen auf diese bereits vorhandenen Argumentationsstrukturen zurück. Nur dass der Kampf gegen Prostitution und Geschlechtskrankheiten inzwischen vom Kampf gegen Vergewaltigung als gemeinsames Ziel abgelöst worden war.

      Zu sagen, dass sich die US-amerikanische Frauenbewegung der 70er Jahre um Anti-Rape-Gruppen organisiert hätte, würde dieser wichtigen sozialen Bewegung jedoch nicht gerecht. Doch nahm die Auseinandersetzung mit Vergewaltigung in den USA eine ähnliche Position ein wie zeitgleich in Europa der Kampf gegen den Abtreibungsparagrafen: Sie lieferte eine vereinende Erfahrung und wurde zur Metapher für all das, was mit den Geschlechterverhältnissen nicht stimmte. Oder, wie die Autorin und Mitgründerin der New York Radical Women Robin Morgan es ausdrückte: »Vergewaltigung ist die ultimative Metapher für Unterdrückung, Gewalt und Herrschaft.«107

      Nun wird der Diskurs über etwas so Allgegenwärtiges wie Geschlecht gleichzeitig immer wieder radikal in Frage gestellt. Und so wartete die »neue Vergewaltigungsgeschichte«108 mit einigen grundlegenden Änderungen auf. Vor dem Anti-Rape-Aktivismus der 70er Jahre hatte es ein mehr oder minder festes Set an Vorstellungen über Vergewaltigung gegeben:

      – Vergewaltigung ist Sex.

      – Frauen sagen nein, wenn sie ja meinen.

      – Opfer sind schöne, junge Frauen, deren Attraktivität einen Mann so erregt, dass er sich nicht mehr beherrschen kann.

      – Alternativ sind Opfer Flittchen, die Männer bewusst provozieren und es nicht besser verdienen.

      – So oder so trägt das Opfer (Mit-)Schuld an der Vergewaltigung, weil es den Täter durch seinen Minirock oder aufreizendes Verhalten eingeladen hat.

      – Denn Frauen wünschen sich im Grunde ihres Herzens, vergewaltigt zu werden.

      – Vor allem Frauen, die mit einem Mann beim ersten Date nach Hause gehen, wollen in Wirklichkeit Sex.

      – Eine Frau, die sich wehrt, kann nicht vergewaltigt werden. (Gleichzeitig allerdings paradoxerweise: Keine Frau kann sich erfolgreich gegen eine Vergewaltigung wehren, also kann sie sie genauso gut genießen.)

      – Echte Vergewaltigungen sind sehr selten,

      – Falschanzeigen dagegen häufig, weil Frauen entweder Hysterikerinnen sind oder sich an einem Mann, der sie abgewiesen oder sitzengelassen hat, rächen wollen oder versuchen, eine uneheliche Schwangerschaft zu rechtfertigen.

      – Täter sind gesellschaftliche Außenseiter, Psychopathen und/oder Sexmonster.

      – Vergewaltigungen geschehen im öffentlichen Raum und nicht zu Hause, und Täter und Opfer sind nicht miteinander bekannt (der Fremde hinter dem Busch) usw.

      Und nun kam die Anti-Vergewaltigungs-Bewegung und bezeichnete diese Überzeugungen durch die Bank als Vergewaltigungsmythen (rape myths), deren Existenz darauf hinweise, dass wir in einer Kultur der Vergewaltigung, also in einer Rape Culture109 lebten. »Das ist ein zentraler rhetorischer Trick. Er nimmt alle Elemente des alten Narrativs und kehrt sie in ihr Gegenteil um. Er liefert die knappste und effektivste Erklärung für die alte narrative Struktur, indem er sie als ›Mythen‹ bezeichnet, und macht sie damit auf einen Streich ungültig. Tatsächlich liefert die Umkehrung jedes einzelnen Mythos

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