.

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу - страница 7

Автор:
Жанр:
Серия:
Издательство:
 -

Скачать книгу

nicht genug, legte Freud nahe, »dass unter dem sittsamen Benehmen noch immer das Feuer der Begierde in der weiblichen Brust kochte und ihr eine überaktive sexuelle Fantasie verlieh, die mitunter zu falschen Anschuldigungen von Vergewaltigung führte«65. Aufbauend auf Freuds Ätiologie der Hysterie arbeitete der einflussreiche US-amerikanische Neurologe Bernard Sachs die Verbindung zwischen Hysterie und falschen Vergewaltigungsvorwürfen heraus. Nach ihm neigten »hysterische Frauen zu solchen Anschuldigungen, wenn sie sich in einem Zustand großer Erregung befanden, wie etwa während der Menstruation«. Umgekehrt war für Ärzte zu Beginn des 20. Jahrhunderts »die Neigung zu Anschuldigungen von unanständigem sexuellen Verhalten ein Nachweis für Hysterie bei einer Frau«.66 Deshalb entschied in den 1930er Jahren ein US-amerikanisches Komitee unter Vorsitz des Rechtsexperten John Henry Wigmore, dass Richter sich vor Hysterikerinnen und pathologischen Lügnerinnen in Acht nehmen und alle Frauen, die eine Vergewaltigung anzeigten, zuerst von einem Psychiater auf Freudianische Komplexe untersucht werden sollten.67

      Auch wenn sie nicht logen, rückten die Opfer ab den 1940er Jahren mit dem neu begründeten Feld der Viktimologie endgültig in den Fokus der Forschung. »So es Kriminelle gibt, ist es offensichtlich, dass es (ebenfalls) geborene Opfer geben muss, autoaggressiv und selbstzerstörerisch«68, erklärte Hans von Hentig in dem Grundlagenwerk der Viktimologie The Criminal and His Victim. Vergewaltigung wurde in der Fachliteratur zu einem durch das Opfer verursachten Verbrechen (»victim-precipitated«). Der Psychoanalytiker (und ehemalige Leiter der Forschungsgruppe, die die Insassen des Sing Sing Gefängnisses in New York untersucht hatte) David Abrahamsen stellte in seiner einflussreichen Studie The Psychology of Crime fest: »Das Opfer kann ebenfalls unbewusst selbst ihren Angreifer zu der Tat verleiten. Die bewusste oder unbewusste physische und psychische Attraktion zwischen Mann und Frau besteht nicht nur auf der Seite des Täters, der sich zu der Frau hingezogen fühlt, auch sie fühlt sich zu ihm hingezogen, was in vielen Fällen zu einem gewissen Maß der Auslöser für den sexuellen Übergriff sein kann. Häufig wünscht sich eine Frau unbewusst, mit Gewalt genommen zu werden.«69

      Diese nahezu telekinetische Energie, mit der Frauen Männer zu Kriminellen machten, ist umso verblüffender, als es ihnen gleichzeitig an eigener krimineller Energie mangeln sollte.70 So sich die frühen Kriminologen überhaupt mit der Frage des Geschlechts befassten, dann, um zu erklären, warum Frauen keine bemerkenswerten Verbrechen begingen. Cesare Lombroso, der Vater der Kriminologie, ging davon aus: »Wegen ihrer geringeren kortikalen Erregbarkeit haben Frauen allerdings auch weniger das Bedürfnis [nach dem Laster], das beim Manne immer stärker wird, je mehr seine Intelligenz wächst, und außerdem bildet der weibliche Misoneismus, der Respekt vor den einmal herrschenden Sitten, einen Zügel.«71

      Besonders schwer war es, sich Frauen als Täterinnen vorzustellen, wenn es um Sexualverbrechen ging72 – mit Ausnahme der Prostitution. Willem Adriaan Bonger, der kurz darauf der erste Professor für Soziologie und Kriminologie in den Niederlanden werden sollte, schrieb 1916: »… die Rolle der Frau im Sexualleben (und damit auch bei Sexualverbrechen) ist eher passiv als aktiv.«73 Darüber hinaus ging man sowieso davon aus, dass Frauen gar nicht vergewaltigen mussten, weil sie jederzeit Sexualpartner finden konnten, da Männer in dieser Hinsicht nicht wählerisch seien. »Während ein Übermaß an Leidenschaft beim Mann, wenn er nicht in die angemessene Bahn geleitet wird, zu sexuellen Übergriffen und Perversionen führt«, brachte es die Sozialreformerin Frances Alice Kellor auf den Punkt, »kulminiert dieselbe bei Frauen am häufigsten in Geisteskrankheit oder physischem Siechtum.«74

      Wo Männer vergewaltigen, werden Frauen halt verrückt.

      Diedrich Diederichsen prägte den Satz: »Wahres Spießertum erkennt man an der Verve, mit der es auf längst überkommene Tabus eindrischt.«75 Nun ist es natürlich einfach, sich über veraltete Geschlechtervorstellungen lustig zu machen. Doch wenn wir über Vergewaltigung sprechen, hallen dabei stets die Echos vergangener Diskurse mit. Ein großer Teil unseres »Wissens über Vergewaltigung« basiert auf Menschenbildern, die uns heute an den Haaren herbeigezogen erscheinen würden, wenn sie uns denn bewusst wären. Da das aber nicht der Fall ist, haben die daraus resultierenden Haltungen eine weitaus durchdringendere Wirkung und Nachwirkung, als sie hätten, wenn wir um ihre Genese wüssten. »Geschichten prägen uns, auch die miesen und sogar die, die absichtlich simplifizieren und unsere Alltagserfahrungen ausblenden. Über Geschichten organisieren wir unser Leben […] und diese Geschichten formen dann unsere Sehnsüchte und unsere Identität.«76 Das beginnt mit der Sprache. Sex wird als etwas beschrieben, das Männer Frauen geben – oder ihnen antun. Worte wie Koitus, Penetration – und ficken – drehen sich um den Penis und vermitteln, was er und seine Substitute – wie Dildos oder Finger – machen, so als würden sich die Körperöffnungen, die penetriert werden, nicht an dem Geschehen beteiligen. Nun gibt es selbstverständlich zahllose andere sexuelle Handlungen, die auch eine größere sprachliche Aufmerksamkeit verdienen. Doch ist Penetration die offensichtlichste linguistische Scheuklappe. Deswegen schlägt die Autorin Bini Adamczak als Gegenbegriff Circlusion77 vor, eingedeutscht Zirklusion, altmodisch auch Circumclusion: »Beide Worte bezeichnen etwa denselben materiellen Prozess. Aber aus entgegengesetzter Perspektive. Penetration bedeutet einführen oder reinstecken. Circlusion: umschließen oder überstülpen. That’s it. Damit ist aber auch das Verhältnis von Aktivität und Passivität verkehrt.« Dieser Neologismus sollte sich ohne größere Probleme einführen lassen, führt Adamczak aus: »Circlusion ist ohnehin bereits häufiger in der Alltagserfahrung. Denken wir an das Netz, das Fische fängt, den Gaumen, der die Nahrung umschließt, den Nussknacker, der Nüsse zermalmt. […] Circlusion ermöglicht so, eine Erfahrung auszusprechen, die wir schon lange machen.«78 Und damit nicht nur die Sprache, sondern auch das Denken zu verändern.

      Mit einem Konzept wie Circlusion als einer der treibenden Kräfte hinter Sexualität würden sich Klassiker wie Donald Symons The Evolution of Human Sexuality – das Thornhill und Palmer als Inspirationsquelle für ihre Natural History of Rape anführen – merkwürdig anhören: »Auf der ganzen Welt sind es vordringlich die Männer, die um die Gunst der Frauen werben, sie umgarnen, anmachen und verführen … Männer machen Frauen Geschenke, um mit ihnen schlafen zu können, und nehmen die Dienste von Prostituierten in Anspruch.« Vergewaltigung erklärt er als Nebenprodukt »der größeren männlichen Erregung, des größeren autonomen Sexdrives, geringerer Fähigkeit sich sexueller Aktivitäten zu enthalten, viel größerer Lust auf Sexualität per se und größerer Bereitschaft zu Sex ohne Liebe, und nicht wählerisch in Bezug auf ihre Sexualpartner zu sein«79. Mit einem Wort, als Nebenprodukt der Penetration. Kein Wunder also, dass es bis 1997 eines Penis bedurfte, um laut Strafgesetzbuch zu vergewaltigen.

      Ohne den Hinweis auf Vergewaltigung läge das allerdings noch immer im Mainstream der populären Meinungen. Wenn man die Stichworte Männer und Frauen und Sex in eine Aphorismen-Suchmaschine eingibt, erhält man geflügelte Worte wie: »Männer reden mit Frauen, um mit ihnen schlafen zu können. Frauen schlafen mit Männern, um mit ihnen reden zu können.« (Jay McInerney) Bestseller wie Das weibliche Gehirn behaupten, dass Frauen pro Tag 13.000 Worte mehr als Männer benutzen müssten, während Männer nur eines wollten. Was, ist ja klar. Die Autorin Louann Brizindine führt weder aus, wie sie auf die doch recht konkrete Zahl von 13.000 kommt, noch was mit Frauen passiert, die ihr Pensum nicht erfüllen. Wahrscheinlich explodieren sie und fallen damit aus der Statistik. Das ist sozusagen das Dampfkesselmodell in Bezug auf Sprache.

      2010 machte der britische Schriftsteller und Schauspieler Stephen Fry – der in England als Nationalerbe gilt, so wie die Kronjuwelen und Stonehenge – Schlagzeilen, als er in einem Interview mit dem Magazin Attitude erklärte: »Frauen interessieren sich nicht wirklich für Sex. Das ist nur der Preis, den sie für eine Beziehung bezahlen.«80

      Zwar hatte er das so nie gesagt, trotzdem wurde die Debatte begeistert von allen Medien aufgegriffen. »Die Wissenschaft von Frauen und Sex: Hat Stephen Fry doch Recht?«, titelte der Independent und griff für seinen Artikel wieder auf Darwin zurück,

Скачать книгу