Von Hause. Paul Keller

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Von Hause - Paul  Keller

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ist der Zollschein?“

      Liebich dreht alle Taschen um, immer wieder, immer wieder — er sucht wie verrückt nach ’m Scheine.

      „Ich — ich hab’n verloren —“

      Wenzel lachte hämisch.

      „Wenzel, mach’ mich nich unglücklich!“

      Liebich sinkt geknickt auf seine Karre. „Hab’ Erbarmen, Wenzel, lass mich laufen —“

      „Marsch, nach dem Zollamt!“

      „Hab’ Erbarmen, Wenzel —“

      „Nichts da! Vorwärts marsch, oder —“

      Wenzel, denk’ an de Franziska — mach se nich unglücklich wegen den paar Pfund Putter —“

      „Vorwärts! Die Karre aufnehmen und — marsch vor mir her. Bei Fluchtversuch kriegst ’ne blaue Bohne zwischen die Rippen!“

      „Erbarm dich, Wenzel — erbarm dich über mich und de Franziska —“

      Der Grenzer hebt das Gewehr. Da nimmt der Liebich die Karre auf. Aber er lässt sie wieder fallen. Es wird ihm schlecht — er muss sich hinsetzen — alle Glieder zittern ihm — es würgt ihn —

      „Ich glaub’ — mich hat — hat der Schlag gerührt — mir is so schlecht!“

      Liebich is kaum imstande, sich wieder aufzurichten. Den schweren Schubkarren zu stossen, is ihm ganz unmöglich. Er fasst immer nach ’m Herzen. So muss der Grenzer schliesslich selber zugreifen. Er schiebt den Karren, und Liebich muss drei Schritt vor ihm her gehen. Wollte er ausreissen, wär’s sein Tod. So geht’s den steilen Berg hinauf. Der Weg is glitschig; das Wetter is schauderhaft — Wind und Regen schlagen den beiden ins Gesicht. Der Grenzer schwitzt und kann’s kaum noch ermachen. Aber er muss den Karren schieben, denn der Liebich is ganz hin. Taumelig geht er vor ihm her. Immer wieder mal sagt er:

      „Wenzel, ich bitt’ dir alles ab, was ich dir angetan hab’ — aber lass mich laufen — tu’s uns nich an!“

      Der andere hört nicht darauf.

      Und nu kommt’s.

      Wie sie den Berg rauf sind, bis zur Chaussee und nich mehr weit zum Zollhause haben, greift der Liebich uff eenmal in de Westentasche und sagt ganz gemütlich: „Na, da hab’ ich ihn ja!“

      Und a bringt einen richtigen Zollschein raus. A hatte die Putter richtig verzollt. Der Grenzer, der kaum noch schnaufen kann, steht wie versteinert vor ihm, und Liebich lacht und sagt:

      „Ich dank’ Dir ooch, Wenzel, dass du mir die schwere Karre auf ’n Berg geschoben hast. Bist halt doch ein gutter Kerl, Wenzel! Von der Putter back’ wir nu Hochzeitskuchen. Sollst ’n Stickel davon kriegen.“

      Der andere is nu nahe am Ersticken gewest, aber der Liebich hat gemeint:

      „Ich hab’ dir’s doch von vornherein gesagt, dass ich die Putter verzollt hatte. Und wenn ich dir was sag’, kannste es doch glauben.“

      Hat die Achseln gezuckt, is plötzlich wieder ganz bei Kräften gewest und hat seinen Karren auf der Chaussee gemütlich weitergefahren. Und der Wenzel hat sich an einen Baum anhalten müssen und hat laut geheult vor Wut und Scham, wie ihn der andere geäfft hat. A hat mir amal erzählt, a hätt’ ihn totschiessen wollen, aber der liebe Gott hätte ihn vor der Sünde bewahrt. Aber er hat ’n tödlichen Hass uff a Liebich, und das nehm’ ich ihm ooch nich übel.“

      Soweit ging die Erzählung des Roten Hahnenwirtes.

      Es war unterdes dunkel geworden, und wir gingen schlafen. Von meiner Giebelstube aus sah ich noch ein wenig hinaus auf die dunklen Waldberge. Wer weiss, wo der Wenzel jetzt lag mit der Flinte im Arm und auf das menschliche Wild lauerte, das sich scheu und verstohlen durch die schwarzen Waldgänge schlich und auf jeden Laut lauschte, auf jedes Zeichen Obacht gab, das ein nahes Verderben anzeigen konnte. Und wie ich noch so hinaussah, passierte ein Schmugglerstück dicht vor meinen Augen.

      Ein Mann mit einem Schubkarren tauchte aus dem Dunkel auf. Er klopfte leise an einen Fensterladen. Der Hahnenwirt kam aus dem Hause, spähte erst nach allen Seiten, verhandelte mit dem Mann im Flüsterton und belud dann seinen Karren mit einem Fass und einem kleinen Paket.

      Der Hahnenfuss und die drei Stengel Rosmarin!

      Das ging nun hinüber über die Grenze nach dem „Blauen Hahn“. Ich war so aufgeregt, dass ich noch nicht schlief, als die Wirtsstubenuhr unten die elfte Stunde klirrte. Nicht lange darauf klopfte es unten an die Tür. Ich fuhr rasch in die Kleider, denn wo hätte ich junger Bursch ein Geschehnis in dem alten Schmugglerhaus verpassen wollen. Ich schlich die Treppe hinab und duckte mich in einen Winkel. Hollmann kam mit einer Laterne angeschlürft und fragte, wer draussen sei.

      „Liebich — der Wassermüller Liebich!“ antwortete eine tiefe Stimme.

      Mir pochte das Herz. Der Müller Liebich, der war ja der berühmte Schmuggler, der Gegner Wenzels, des Grenzers.

      Da öffnete der Wirt die Tür. Ein kräftiger Mann stand draussen.

      „Nanu, Liebich, willst du was über die Grenze schaffen?“

      „Ja,“ sagte der andere, und seine Stimme war ganz heiser.

      „Meine —meine Frau will ich rüberschaffen.“

      „Deine — Frau?“

      Liebich lehnte sich an den Türpfosten.

      „Sie is gestorben,“ sagte er tonlos. „Die Leiche will ich rüberschaffen. Da liegt sie.“

      Er wies auf ein Wägelchen, das draussen im Dunkeln stand.

      „Liebich,“ rief der Hahnenwirt, „du redst wohl irre? Du wirst doch mit sowas keen Allotria treiben!“

      „Komm raus,“ sagte der andere. Der Hahnenwirt ging hinaus, und ich folgte, ohne dass mich jemand bemerkte. Liebich hob eine Decke von dem Wägelchen auf. Darunter stand ein Sarg. Tiefinnerlicher Schmerz schüttelte den Mann so, und er weinte so stossweise, so bitterlich, dass der ganze furchtbare Ernst klar war.

      „Wann — wann is se denn —“

      „Vorgestern. Wir haben das erste Kind gekriegt. Nach sechs Jahren. Das Kind lebt — die Franziska is tot.“

      „Und nu willst du sie rüberschaffen? Nach Hause?“

      „Ja, sie wollte drüben begraben werden.“

      „Und warum bringst du sie denn in der Nacht?“

      „’s macht sonst zu viel Schererei, wenn man eine Leiche über die Grenze haben will. Is se aber erst amal drüben, wird se auch drüben begraben.“

      Liebich wollte die Leiche seiner Frau über die Grenze schmuggeln. Er konnte wohl gar nicht anders; sein ganzes Denken war so eingerichtet, dass ihm ein Verhandeln mit Grenzbehörden ganz ausgeschlossen schien. Müde setzte er sich auf die Bank, auf der ich vorhin mit Hollmann gesessen hatte.

      „Ich

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