Von Hause. Paul Keller

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Von Hause - Paul  Keller

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nun ziemlich steil bergab. Und plötzlich riss uns Liebich den Wagen aus der Hand und sauste mit dem Gefährt wie ein Rasender den Berg hinab.

      Ein scharfer Schuss. Wir schrieen auf. Liebich brach zusammen. Das Wäglein fuhr mit den Vorderrädern schwankend über ihn hinweg und blieb stehen. Selbst mehr tot als lebendig, rannte ich mit den anderen der Unheilstätte zu. Wenzel und der Wirt zogen Liebich unter dem Wagen hervor. Er war bewusstlos. Die Kugel war ihm rücklings in die linke Schulter gedrungen.

      Sie legten ihn an den Wegrand.

      „Er hat’s nich anders haben gewollt,“ sagte der Grenzer. „Es ist gotteslästerlich so was!“

      Still war’s — ganz still. Aber die Herzen hämmerten.

      Da trat der Hahnenwirt an das Wäglein und riss die Decke herunter. Ein brauner Sarg mit weissen Beschlägen und einem geschnitzten Kreuz wurde sichtbar. Vier Schrauben verschlossen ihn. Mit zitternden Fingern machte sich der Hahnenwirt daran, die Schrauben zu lösen. Der Grenzer sah ihm erst finster zu, dann half er, und die beiden Männer hoben den Deckel.

      Sie liessen ihn mit einem Schrei zur Erde sinken. In dem Sarge lag eine tote Frau. Sie war in einem weissen Kleid, und ein blonder Kopf von rührender Schönheit lag auf einem seidenen Kissen.

      „Es ist wahr gewest,“ stammelte der Hahnenwirt — „es ist wahr gewest!“

      Der Grenzer starrte auf die Leiche, die vom Mondlicht beschienen vor ihm lag, ein wehes Lächeln um den blühenden Mund.

      „Franziska!“

      Der Grenzer stammelte unverständliche Worte und sank plötzlich mit einem markerschütternden Weinen neben dem Sarg nieder. Nie wieder habe ich einen Mann so laut und weh weinen gehört.

      Da rührte es sich am Wegrande. Liebich kam zu sich, sah wirr und wild um sich, wusste plötzlich alles, was sich zugetragen, sah den geöffneten Sarg und hörte den anderen schluchzen.

      „Geh weg — weg — du Hund — ich — ich schlage dich tot!“

      Er sank in die Ohnmacht zurück. Der Grenzer kniete immer noch auf der Strasse. Er presste den Kopf an das Holz des Sarges und sprach wirre Worte durcheinander, Worte, die um Verzeihung flehten, Gebetsworte, zärtliche Worte innigster Liebe. Der Hahnenwirt stand mit gefalteten Händen da, unfähig, etwas zu tun, und mir jungen Burschen war das Herz voll Furcht und Grauen. Endlich rafften wir uns zusammen, schlossen den Sarg wieder und deckten ihn wieder zu. Was wir zuerst hätten tun müssen, darauf kamen wir zuletzt — wir sahen endlich nach dem Verwundeten. Er erwachte und schrie furchtbar auf, als wir den Arm an der zerschossenen Schulter berührten.

      Zum Dorf war es glücklicherweise nicht weit. Wir wollten anfangs Liebich mit auf das Wägelchen laden, aber es war zu schmal, er hatte neben dem Sarge nicht Platz.

      Wenzel, der Grenzjäger, kam wieder heran. In tiefster Niedergeschlagenheit sagte er:

      „Liebich, verzeih mir’s, dass ich dich diesmal in falschem Verdacht hatte.“

      Da kam etwas von dem alten herben Humor in Liebichs Seele zurück, und er sagte:

      „Du denkst immer falsch; du weisst nie, was los is!“

      Nach dem Dorfe hinunter mussten wir. Es zeigte sich, dass sich Liebich wohl aufrichten, aber nicht allein gehen konnte. Er musste gestützt werden.

      „Stützt ihn,“ sagte der Grenzer; „ich werde den Wagen ziehen.“

      „Geh von der Leiche weg,“ befahl da Liebich; „rühr’ sie nicht an!“

      Noch über den Tod hinaus reichte die glühende Eifersucht. Also kam es so, dass der Hahnenwirt und ich das Wäglein zogen und Liebich, auf den Todfeind gestützt, hinterher schwanken musste.

      Es war tief in der Nacht, schon gegen Morgen hin, als wir mit unserer traurigen Last an Franziskas Heimathaus anlangten und eine alte Frau der tot heimkehrenden Tochter unter tausend Tränen die Tür öffnete.

      Am übernächsten Tage wurde die Franziska auf dem heimatlichen Kirchhof begraben. In aller Herrgottsfrühe war die Beerdigung. Liebich konnte ihr nicht beiwohnen; er lag krank zu Bette. Der Schmerz hatte ihn aber doch so weich gemacht, dass er sich mit seinem alten Gegner Wenzel versöhnt hatte. Trotz dieser Aussöhnung erlaubte er aber nicht, dass Wenzel mit der Franziska zu Grabe ging.

      Und der war doch dabei. Er stand auf einem Berge, von da man den Friedhof übersehen konnte, hörte die Glocken läuten, hörte die Lieder klingen und sah, wie auf weissen Grabtüchern etwas Liebes, Liebes in die Tiefe sank.

      Damit wäre nun eigentlich diese Erzählung aus. Aber da es sich darin nicht bloss um die Liebesgeschichte der schönen Franziska aus dem Böhmerland, sondern um das Leben in den Grenzhäusern überhaupt handelt, will ich noch erzählen, wie ich in späteren Jahren zu meinem Freunde Heinrich Hollmann, Wirt zum „Roten Hahnen“, zurückgekommen bin.

      Er blieb immer der Alte, immer der redselige, etwas grosssprecherische Mann mit der gleichen Respektlosigkeit vor allen Dingen und Personen seiner Umgebung und dem gleichen absoluten Respekt vor seiner Frau. Weber und kleine Bauern gingen in seinem Hahnenwirtshaus ein und aus, und wenn ich diese wortkargen Leute mit den blauen, leeren Augen hinter ihren Branntweingläschen sitzen sah, wusste ich wohl, warum sie schmuggelten. Beileibe nicht nur um des bisschen Erwerbes willen, wie ja auch der Wildschütz nicht nur um eines lumpigen Talerhasens allein Ehre und Freiheit, ja vielleicht Gesundheit und Leben in die Schanze schlägt.

      Ihr Herren, die ihr zu Gericht sitzet, denkt nur an die kleinen niederen Stuben dieser Armen, an ihre eintönige, langweilige Arbeit, die Stunde um Stunde Jahr um Jahr, ein ganzes Menschenleben dieselbe trostlose Last ist. Und denkt daran, dass auch diese Menschen eine Seele haben, die nach Tat und Abwechselung, Freude und Gefahr lechzt, dass auch diese Sehnsucht nach grünen Wegen der Romantik sucht. Was tun sie? Sie schmuggeln, sie wildern wohl auch. Und in all der langen Zeit, da sie hinter dem Webstuhl im engen Käfig sitzen, geht ihre Phantasie auf einsamen Schleichwegen zwischen Gefahr und lohnendem Sieg. Kommt nun einer der Ihrigen, erzählt er von irgend einergelungenen Tat, dann tritt Leben in die leeren Augen, dann geht das träge Herz mal eine Stunde lang schneller, dann steigt’s in müden Leibern auf wie Trotz und Kraft. Was bietet ihnen auch der Staat? Wieviel vom allgemeinen Erbe lässt er ihnen zukommen, und wie gross ist die Schädigung, die sie hinwiederum ihm zufügen? Mögt Ihr es entscheiden; ich tue es nicht.

      Vom Liebich-Müller erzählte mir der Hahnenwirt, dass er nicht mehr schmuggele. Die Fahrt mit dem Sarge war sein letztes unerlaubtes Überschreiten der österreichischen Grenze. Es machte dem Müller keinen Spass mehr, zu schmuggeln. Denn die Franziska war tot, vor der er den Nebenbuhler lächerlich machen konnte. Mit dem Wenzel vertrug er sich, wenn er ihn traf. Er gab jetzt sogar zu, dass der Wenzel gewissermassen auch ein wenig im Rechte sei; denn wenn er, der Liebich, Grenzer wäre, gäbe es überhaupt keine Schmuggler mehr, sondern alle sässen auf Nummer Sicher. Da stimmte ihm dann der Hahnenwirt biedermännisch bei.

      Eines aber brachte dem Müller grosse Genugtuung. Etwa zwei Jahre nach Franziskas Tode heiratete Wenzel ein braves Mädchen aus dem gleichen böhmischen Dorf. Da hat Liebich, als Wenzel mit seiner Braut zur Kirche ging, bei Franziskas Grab gestanden und hineingesagt:

      „Weisste, Franzel, was der Wenzel macht? Hochzeit macht a. Mit der Nitsche Hedwig, dem albernen Ding. Da haste den Kerl! Was hab’ ich dir immer gesagt? A Windhund is a. Ohne eene Spur von Treue. Da wirst du ja jetzt froh sein, dass du mich genommen hast, denn ich hätte nie eene andre als dich genommen, nie!“

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