Mein geniales Leben. Jenny Jägerfeld

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Mein geniales Leben - Jenny Jägerfeld

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      Bestimmt fanden Majken und Bobo den Umzug auch gut, obwohl sie in Stockholm garantiert nicht so sehr gelitten hatten wie ich. Außer dem guten Essen, das es bei Oma gab, fanden wir es alle super, dass jeder von uns hier sein eigenes Zimmer hatte. In Stockholm hatte Bobo bei Mama und Svedrik geschlafen, und Majken bei mir im Zimmer. Das Zimmer hatten wir zwar mit einem Bücherregal abgeteilt, aber das war nicht so ideal. Majken ist acht, also vier Jahre jünger als ich. Außerdem brachte sie immer ihre Freundinnen mit nach Hause, und wenn die im Zimmer waren, konnte man fast nicht denken. Majken redet schrecklich laut. Ihre Freundinnen in Stockholm redeten genauso laut, aber wahrscheinlich nur, weil sie Majken übertönen wollten. Wenn die Freundinnen allein waren, redeten sie ganz normal.

      Als Majken klein war, ging Mama mit ihr zum Arzt, weil die Erzieherinnen in der Vorschule meinten, Majken wäre taub. Sie sprach nämlich nicht nur wahnsinnig laut, sondern schien auch kaum zu hören, was andere Leute sagten. Aber nach dem Test erklärte der Arzt, Majken hätte ein Gehör wie ein Walfisch. Walfische können offenbar Geräusche von der anderen Seite des Atlantiks hören. Der Arzt hat vielleicht ein bisschen übertrieben, aber Majken hört tatsächlich das Rascheln einer Bonbontüte über mehrere Zimmer hinweg. Das ist sozusagen ihre Superkraft. Majken selbst hat erklärt: »WAHRSCHEINLICH HÖRE ICH VOR ALLEM DANN NICHT SO GUT, WENN MIR JEMAND WAS VERBIETEN WILL.«

      Wenn Majkens Stimme durch Mark und Bein geht, wie Oma immer sagt, ist es mit Bobo gerade umgekehrt. Sie spricht fast überhaupt nicht. Sie kann nur dreißig oder vierzig Wörter sagen. Ihre häufigsten sind: Gujke, Hallohallo, neinnein, Mama, Sigge, Maje (bedeutet Majken) und fetti (bedeutet fertig, das schreit sie, wenn sie auf dem Klo gewesen ist). Und dann kann sie noch viele Tiernamen, Tiere sind ihr größtes Interesse. Außer Gurke, natürlich. Aber obwohl sie nicht viel reden kann, scheint sie mit ihrem Leben zufrieden zu sein. Mama ist weniger zufrieden. Sie macht sich Sorgen, weil Bobo so »eine Spätentwicklerin« sei.

      In Stockholm ging Bobo zu einer Logopädin. Das gefiel ihr, weil es da große Buchstaben aus Samt gab, die waren wie Schmusetiere, mit Augen und Mündern und allem Drum und Dran. Und außerdem machte die Logopädin immer so verrückte Töne, in der Hoffnung, dass Bobo die nachahmen würde. Was sie aber nicht tat.

      Aber immerhin scheint Bobo zu verstehen, was man zu ihr sagt. Wenn es ums Sprechen geht, bin ich der einzig Normale. Tut gut, wenigstens auf einem Gebiet normal zu sein.

      Wie dem auch sei. Zurück zum Thema. Nach Großvaters Tod vor vier Jahren erbte Oma ein kleines Hotel, The Royal Grand Golden Hotel Skärblacka, wie es inzwischen heißt. Die meisten Gäste waren Touristen aus Deutschland, aber seit wir hier eingezogen sind, ist damit Schluss.

      Der einzige Hotelgast, der geblieben ist, heißt Krille Marzipan. Aber der macht sein Bett selbst und sorgt für sein eigenes Frühstück und so. Krille Marzipan ist ein sehr langer, sehr dünner und sehr eleganter Herr, der es liebt, über seine Filmideen zu reden. Jedes Mal, wenn man ihm begegnet, hat er eine neue Idee. Alle sind ähnlich … wie soll ich sagen … speziell. Die ersten siebenundvierzig Ideen, die er mir erzählte, fand ich einigermaßen spannend. Inzwischen fühle ich mich ehrlich gesagt etwas erschöpft. Zu dumm, dass man immer so höflich ist.

      Mama ist weniger höflich. Sie unterbricht ihn sofort und sagt: »Krister, nein!« Ich selbst versuche lieber, eine Ausrede zu finden. Zum Beispiel: »Ich muss … äh, Wäsche zusammenlegen.« Aber das führt dann nur dazu, dass ich dastehe und Wäsche zusammenlege, während Krille Marzipan danebensteht und labert. Ich muss mir unbedingt eine andere Lösung ausdenken.

      Weiter im Text. Oma hat alle Zimmer im Stil der 1950er-Jahre eingerichtet, wie damals, als sie jung war. In Bobos Zimmer steht eine Jukebox. Das ist eine Maschine, die Schallplatten abspielt, wenn man eine Münze reinsteckt. Ein bisschen wie Spotify, nur mit echten Vinylplatten. Und man kann nur Hits aus den 1950er- und 1960er-Jahren abspielen.

      In Majkens Zimmer steht ein alter Coca-Cola-Automat, der jetzt allerdings leer ist. Aber letzten Samstag hat Majken fünf echte Colaflaschen besorgt und ihn damit aufgefüllt. Bobo und ich durften uns eine Flasche teilen, die vier übrigen trank Majken aus. Hinterher lief sie den ganzen Nachmittag rülpsend durch die Gegend. Ich brauche wohl nicht extra zu erwähnen, dass Majken sehr laut rülpsen kann.

      In meinem Zimmer gibt es das Beste von allem: einen Flipperautomaten! Er heißt Frau Fortuna, und ich liebe ihn! Jedes Spiel kostet eine Krone, aber das sind alte Kronen von früher, und Oma hat eine Dose voller alter Kronenmünzen neben das Spiel gestellt. Wenn die Münzen alle sind, öffnet man unten am Flipper einfach eine kleine Klappe, leert alle Kronen aus und kippt sie wieder in die Dose zurück. Na, ist das was?! Man fühlt sich echt, als wäre man im Paradies gelandet!

      Mama findet wahrscheinlich nicht, dass sie im Paradies gelandet ist. Abgesehen vom Zigarettenrauch, der Oma immer in eine hellgraue Wolke hüllt, stört es Mama, dass Oma zu viel Krempel hat. Z. B.: ein elektrischer Rollstuhl (den Opa benutzte, bevor er starb), eine große Buddha-Statue aus grünem Marmor, eine Menge Uhren (in jedem Zimmer mindestens eine), die bei jeder vollen Stunde eine kleine Melodie spielen, und dann die vielen meterhohen Bücherstapel.

      Aber am schlimmsten findet Mama die ausgestopften Tiere, die im ganzen Haus herumstehen: Füchse, Raben, Kaninchen, Vielfraße, Wiesel, Eichhörnchen, Nerze, einfach alles! Auf dem roten Perserteppich in der Eingangshalle steht sogar ein komplettes Zebra, direkt neben der Treppe zum Obergeschoss. Das Zebra dient Oma als Ablage für Kleider, Hüte und Einsteins Hundeleine. Oma sammelt ausgestopfte Tiere. Manchmal habe ich das Gefühl, beobachtet zu werden, und wenn ich mich dann blitzschnell umdrehe, steht da ein ausgestopfter Fischotter auf einer Kommode und glotzt mich an.

      Aber eine Sache findet Mama echt gut, nämlich, dass wir umsonst hier wohnen dürfen. Natürlich nur vorübergehend, wie sie immer wieder betont. Bis sie einen Job hat und wir eine Wohnung gefunden haben. Hoffentlich dauert das noch richtig, richtig lange!

      NOCH 55 TAGE

      IN EINER MINUTE DREI TIEFKÜHL-WÜRSTCHEN AUFESSEN

      Inzwischen wohnen wir seit genau fünfzehn Tagen hier bei Oma, und Majken hat schon einen neuen Kumpel gefunden. Ich kapier einfach nicht, wie sie das macht. Mir ist das noch nie so leichtgefallen. Majken scheint ein magisches Gespür dafür zu haben, was man sagen kann und was nicht. Aber woher weiß sie das? Schließlich ist sie ja nicht unbedingt immer nett. Ehrlich gesagt kann sie ziemlich ätzend sein. Wie heute Morgen zum Beispiel. Majken stand draußen neben dem Briefkasten nur so herum und glotzte kaugummikauend vor sich hin, und da tauchte plötzlich ein Junge auf, der hatte einen Waschbäranzug aus Fleece an, in dem es irre heiß sein musste, immerhin waren es mindestens siebenundzwanzig Grad im Schatten, und schon fingen sie an miteinander zu reden. Und zu spielen! Oder wie man das nennen soll. Jedenfalls rasten sie durch den Garten und brüllten.

      Ich saß in der Fliederlaube (die ist wie ein kleines Zimmer im Garten, umgeben von Fliederbüschen) und machte gerade Skizzen für meine Harpunen-Erfindung, als das passierte, darum konnte ich alles, was gesagt wurde, notieren. Hier musste methodisch vorgegangen werden, um alles hinterher sorgfältig analysieren zu können, das war mir als Wissenschaftler klar.

      Der Waschbärjunge (aus praktischen Gründen verkürze ich den Namen zu WBJ): »Hallo.«

      Majken: »HALLO.«

      WBJ: »Was machst du?«

      Majken: »ICH STEH HIER.«

      Schweigen.

      WBJ: »Warum redest du so laut?«

      Majken: »WARUM REDEST DU SO LEISE?«

      Schweigen.

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