DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher

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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN - Sören Prescher

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Anfang meiner Karriere war ich voller Hoffnung und Tatendrang gewesen. Ich hatte die Gerichtsmedizin als detektivischen Geniestreich gesehen, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Doch dies hier war nicht CSI oder irgendeine andere Medical-Detectives-Show. Es ging nicht darum, nahezu perfekte Verbrechen aufzuklären oder im Schicki-Micki-Milieu zu ermittelten. Ständig kamen Leute auf grausame Weise ums Leben oder töteten sich selbst, sodass es mir zunehmend schwerer fiel, an das Gute im Menschen zu glauben. Wahrscheinlich lächelte ich deshalb so selten.

      An Tagen wie diesem fragte ich mich ernsthaft, ob ich den Job bis zur Pensionierung durchhalten würde. Manchmal war es einfach nur beängstigend. Das vollkommene Gegenteil dessen, was ich früher einmal darin gesehen hatte. Andererseits: So lange es Gewaltverbrechen und – zumindest auf den ersten Blick – unnatürliche Todesfälle gab, besaß ich einen krisensicheren Job. Das war in der heutigen Zeit keine Selbstverständlichkeit.

      Die Autopsie des Mädchens hatte mich bis zum frühen Nachmittag beschäftigt, doch auch danach wurde der Tag nicht besser. Zwar bekam ich keine weitere Leiche auf den Obduktionstisch, aber in Ruhe meine Berichte abzuarbeiten, war ebenfalls unmöglich. So abwegig dies für Außenstehende klingen musste, aus dem Leichenschauhaus waren wieder einmal Leichen verschwunden bzw. kurzfristig verlegt worden, wie es mir der Verantwortliche erklärte. Kurz gesagt: Die Leute hatten keine Ahnung, wo sich die toten Körper derzeit befanden.

      Wenn sich so etwas als einmalige Sache entpuppt hätte, wäre es noch zu verkraften gewesen, aufgrund der Unfähigkeit bestimmter Behörden und Personen, geschah so etwas sehr viel häufiger, als man es sich vorstellte. Möglicherweise hatte nur jemand in der Verwaltung geschlampt oder einer hatte die falsche Lieferung in Auftrag gegeben. Zig Erklärungen waren möglich und keine einziger davon gefiel mir. Trotz allem war ich überzeugt davon, dass wir die Toten mit Respekt behandeln sollten. Schließlich endeten wir alle früher oder später zugedeckt auf einer metallenen Bahre.

      Wie alle Menschen, wusste ich einen Platz, an den ich dachte, wenn mir die Arbeit über den Kopf wuchs. Allerdings war dies bei mir kein Heim mit Frau, Kindern und einem zahmen Golden Retriever. So etwas besaß ich schon lange nicht mehr. Bei mir war es die Bar meines Freundes Joe. Auch an diesem Abend war mein Buick unterwegs dorthin und ich freute mich darauf, die bekannten Gesichter wieder zu sehen. Eventuell würde ja Lennie vorbeischauen und mir mein Geld zurückzahlen. Oder Joe erzählte mir mehr von seinen Jazz- und Blues-Konzert-Plänen.

      An die Frauenstimme von gestern Abend vermied ich jedweden Gedanken. Ebenso an den Überfall auf dem Weg zum Auto. Dies waren einfach bizarre Vorfälle, über die sich niemand den Kopf zerbrechen sollte. Jeden Tag geschahen Dinge, die nicht wirklich viel Sinn ergaben. Die Nachrichten waren voll davon.

      Zur Einstimmung auf den Kneipenabend hatte ich mir einen Radiosender eingestellt, dessen Musikprogramm dem von Joe sehr ähnlich war: Stones, Springsteen, Led Zeppelin und die Doors drückten sich hier für gewöhnlich die Klampfe in die Hand. Und da Gott ein Typ mit viel schwarzem Humor war, lief momentan ein Song, der nicht unpassender hätte sein können: Lou Reed's Perfect Day. Ich mochte den Song, obwohl mein heutiger Tag sehr weit davon entfernt gewesen war, perfekt zu sein.

      Während ich den Buick von einer Straße in die nächste lenkte, malte ich mir aus, wie köstlich Joes Bier schmecken würde. Herrlich prickelnd und angenehm kühl. Den Geschmack spürte ich bereits auf der Zunge. Dazu ein Schinken-Käse-Sandwich oder was die Küche sonst hergab. Eine Sekunde lang war ich in Gedanken und genau in dieser Sekunde passierte es.

      Es war fünfzig Meter hinter der grünen Ampel und es war die Hauptverkehrsstraße. Wie aus dem Nichts tauchte vor mir ein Mann auf der Straße auf. Ich erschrak und biss die Zähne zusammen. Mein rechter Fuß wechselte vom Gaspedal zur Bremse und trat sie bis zum Bodenblech durch. Die Reifen quietschten, aber der Wagen raste trotzdem unablässig auf den potenziellen Selbstmörder zu. Der Bremsweg war viel zu kurz, um den Wagen rechtzeitig zum Stehen zu kriegen. Also riss ich das Lenkrad herum und hätte um ein Haar einen entgegenkommenden Nissan gerammt. In letzter Sekunde lenkte ich gegen und brachte den Buick damit vollends ins Trudeln.

      Der Nissanfahrer bedankte sich mit lautstarkem Hupen, aber das bekümmerte mich nicht. Eine Sekunde lang befürchtete ich, die Kontrolle über den Wagen verloren zu haben. Ich schwitzte Lava, verkrampfte mich, rechnete damit, gleich irgendwo dagegen zu knallen. Dann verringerte sich die Geschwindigkeit. Der Buick kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.

      Mein Herz hämmerte im Maschinengewehrsalventakt, meine Knie zitterten. Doch da war noch etwas Anderes: Eine gewaltige Wut auf den Wahnsinnigen, der völlig ohne Sinn und Verstand auf die Fahrbahn gelaufen war. Also sprang ich aus dem Wagen und freute mich darauf, den Wahnsinnigen zur Schnecke machen. Hatte er keine Augen im Kopf? Selbst ein Blinder hätte die herannahenden Wagen bemerkt. Nach einem langen und harten Arbeitstag war das genau das Richtige, um angestaute Aggressionen loszuwerden.

      Beim Näherkommen sah ich allerdings, dass mit dem Fremden etwas nicht stimmte. Sein Gesicht war bleich und seine Arme hingen hinab. Den Oberkörper hielt er merkwürdig nach vorn gebeugt und er schleppte sich mehr, als dass er lief. Dieser Mann war nicht achtlos auf die Straße gelaufen. Er war völlig desorientiert, was entweder auf Trunkenheit oder Drogenkonsum zurückzuführen war. Augenblicklich hatte ich die Bilder von den Drogenleichen im Kopf, wie sie manchmal auf meinem Obduktionstisch landeten.

      Wahrscheinlich hatte er nicht mal bemerkt, dass er sein und das Leben vieler anderer aufs Spiel gesetzt hatte. Zuerst wollte ich ihn als verdammten Cracksüchtigen abstempeln, wie sie es hier in rauen Mengen gab, doch etwas widersprach dieser Theorie aufs Heftigste: Der Mann schien mit den Kräften vollkommen am Ende zu sein. Außerdem lag etwas Gehetztes und Verzweifeltes in seinem Gesicht. Meine Wut verpuffte und wurde durch Mitleid ersetzt.

      Ich drehte ihn vorsichtig an der Schulter herum. Er war Anfang dreißig, hatte schwarzes Lockenhaar und ein ausgemergeltes Gesicht. Dunkle Augenringe, einen matten Ausdruck in den Pupillen und ein mit Schmutz und Abschürfungen übersätes Kinn. Passend dazu waren seine Lippen rissig und bluteten. Vielleicht hatte er sich mit einer Krankheit infiziert.

      »Bitte hilf mir«, stammelt der Fremde und stützte sich auf mich. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn aufzufangen und ihn trotz meiner schmerzenden Schulter nicht fallen zu lassen. In dem Moment kam ich mir ebenfalls hilflos vor. Warum ich, fragte ich mich und bereute es, heute nicht eine andere Strecke gefahren zu sein.

      Eine Handvoll Schaulustiger sammelte sich an, doch nicht einer kam auf die Idee, mir zur Hand zu gehen. Verdenken konnte ich es ihnen nicht, vermutlich hätte ich an ihrer Stelle nicht einmal angehalten. Vorsichtig drückte ich den Fremden von mir weg, um ihn etwas zu fragen. Als sein Kopf zur Seite sackte, wusste ich, dass auch das zwecklos war. Der Mann war ohnmächtig, vielleicht Schlimmeres. Blutflecken auf seinem ehemals hellgrauen Pullover nährten meine Befürchtungen. Ich suchte nach einem Puls und atmete erleichtert auf. Wenigstens den gab es noch.

      Abermals warf ich den Schaulustigen einen hilfesuchenden Blick zu, doch es schien noch immer besser zu sein, das Ganze aus sicherer Entfernung zu beobachten. Wahrscheinlich dachten sie ebenfalls, dass es sich um einen Haschbruder handelte, der einfach zusammengeklappt war.

      Was nun? Ihn an den Straßenrand legen und zusehen, dass ich verschwand? Im Grunde genommen ging mich der Typ nichts an. Dennoch brachte ich es nicht übers Herz. Irgendwer musste ihm helfen und so, wie es schien, kam ich als Einziger dafür infrage.

      Großartig. Einfach nur großartig.

      Ihn zum Wagen zu schleppen, war anfangs nicht problematisch, doch nach der Hälfte der Strecke verdoppelte Locken-Johnny plötzlich sein Gewicht. Ich keuchte vor Anstrengung und war heilfroh, als ich das Auto erreichte. Blieb die Frage, wie ich ihn gleichzeitig festhalten und die Beifahrertür öffnen sollte.

      Ich lehnte den Bewusstlosen an den Buick und presste

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