DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN. Sören Prescher

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DIE VERSCHWÖRUNG DER SCHATTEN - Sören Prescher

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den Fremden auf den Beifahrersitz verfrachtete, bedankte sich mein Rücken stichhaltig dafür.

      Schweißnass lief ich zur Fahrerseite und verfluchte meine Hilfsbereitschaft.

      Auf dem Fahrersitz überprüfte ich nochmals seinen Puls. Er schlug regelmäßig. Die Atmung schien ebenfalls in Ordnung zu sein. Dennoch war er nach wie vor ohne Bewusstsein. Außerdem stank er, als hätte er tagelang keine Dusche gesehen.

      Während ich den Motor anließ, warf ich einen grimmigen Blick hinaus. Die Schaulustigen gafften, als wäre ich eine barbusige Blondine in einer Peepshow. Am liebsten hätte ich das Lenkrad herumgerissen und einige von ihnen aufs Korn genommen. Es blieb beim Wunschdenken und ich war froh, als ich an der nächsten Kreuzung abbiegen konnte.

      Ich war nicht mal besonders schnell unterwegs, aber ein Bewusstloser konnte sich trotzdem nicht festhalten. Sein Kopf knallte gegen meine Seite und verharrte dort regungslos. Verdammt, warum hatte ich daran nicht früher gedacht? Ich hielt an, schob ihn auf den Beifahrersitz zurück und legte ihm einen Gurt an. Worauf hatte ich mich da nur eingelassen?

      Über die geistige und körperliche Verfassung meines Beifahrers wusste ich genauso wenig wie darüber, warum er so übel zugerichtet war. Möglicherweise saß neben mir ein Serienmörder. Genauso gut konnte er, so wie ich gestern Abend, nur knapp einem Überfall entkommen sein. Eigentlich stand es mir gar nicht zu, Mutmaßungen über ihn oder seinen Gesundheitszustand anzustellen. Dafür gab es Fachleute im Krankenhaus.

      Zum Glück lag die nächste Notfallambulanz nicht weit entfernt. Sobald ich den Verletzten abgeliefert hatte, würde ich zu Joe fahren und mir mein verdientes Bier gönnen. Ich konnte es kaum erwarten.

      Ohne es zunächst zu bemerken, summte ich leise vor mich hin. Vermutlich, um meine Nervosität zu überspielen. Normalerweise kam es in meinem langweiligen Leben nicht vor, dass ich um ein Haar einen Fußgänger unter die Räder bekam und mich gleich darauf als guter Samariter entpuppte. Üblicherweise war ich bloß ein unscheinbares Gesicht in der Menge, das nicht auffallen wollte und dennoch nach Existenzberechtigung suchte.

      Durch mein Summen wurde mir bewusst, dass nach wie vor das Autoradio dudelte. Vor lauter Aufregung war dies völlig untergegangen. Lou Reeds Ablösung bestand aus CCRs Bad Moon Rising, einer flotten Rocknummer, die ich immer gern hörte. Heute allerdings nicht. Es traf mich wie ein Kanonenschlag. Da war wieder eine Stimme, die meinen Namen rief!

      »Nathaniel«, flüsterte sie unglaublich leise, doch ich verstand sie trotzdem. Genau wie gestern schien sie aus den Lautsprecherboxen heraus mit mir zu kommunizieren. Aber es war kein Dèjá-vu und auch keine Wiederholung. Gestern in Joes Bar war es eine Frauenstimme gewesen, nun hörte ich einen Mann. An der schaurigen Situation änderte es allerdings nichts.

      Von meinem bewusstlosen Beifahrer konnten die Laute nicht stammen. Außerdem kannte er meinen Namen nicht. Wer war es dann? Woher kannte die Stimme mich? Was wollte sie von mir? Wieder hatte ich das Gefühl, dass der Wahnsinn seine langen Finger nach mir ausstreckte.

      »Nat …«

      Mein Herz setzte vor Schreck einen Schlag aus. Abgesehen von einem kleinen Straßenschwenker blieb jegliche Folgereaktion aus.

      »Tu es nicht.«

      Was sollte ich nicht tun? Ich kam mir vor wie ein Esel bei der Bergpredigt. Noch etwas fiel mir auf: Auch die männliche Stimme passte sich der Musik und dem Gesang an. Sie erklang nur, wenn sie sicher sein konnte, dass sie nicht von anderen Lauten übertönt wurde.

      »Nathaniel … tu es nicht«, flüsterte der Radiomann wieder.

      War es wirklich bloß ein Stressprodukt, das sich mein Geist einbildete, um den Arbeitsstress zu kompensieren? Die Stimme kannte nicht nur meinen Namen, sondern übermittelte mir Botschaften. Was außer einer beginnenden Schizophrenie sollte es sonst sein? Das machte mir mehr Angst als alles andere.

      Ich war so frustriert, dass ich das Radio abstellen wollte. Die Hand hatte ich bereits ausgesteckt, als ein leises Stöhnen ertönte. Es dauerte einen Moment, bis mir klar wurde, dass die Geräusche nicht aus dem Radio, sondern vom Beifahrersitz kamen.

      Der Fremde war aus seiner Ohnmacht erwacht. Langsam richtete er sich auf und verzog schmerzvoll sein Gesicht.

      »Alles okay?«, fragte ich und wusste auch ohne seine Antwort, dass es nicht so war. Der Mann sah aus, als wäre er frontal vom Güterzug gerammt geworden.

      »Wohin fährst du mich?«

      »Ins Krankenhaus. Keine Sorge, wir sind gleich …«

      Weiter kam ich nicht, denn Locken-Johnny versuchte, meinen Arm zu sich zu ziehen. Dumm nur, dass ich mit der rechten Hand das Lenkrad festhielt und der Buick dadurch einen gefährlichen Schlenker machte. Die Reifen quietschten. Ein weiteres Mal befürchtete ich, die Kontrolle über den Wagen zu verlieren. Der entgegenkommende Autofahrer hupte wütend. Die Scheinwerfer von der Gegenfahrbahn steuerten direkt auf uns zu. Im Geiste hörte ich es bereits knallen. Im letzten Moment zog der andere Fahrer seinen Wagen zur Seite. Ich keuchte vor Erleichterung.

      Inzwischen hatte die Leuchte auf dem Nebensitz seinen Fehler eingesehen und meinen Arm losgelassen. Mein Fuß blieb auf der Bremse und ich versuchte, den Wagen unter Kontrolle zu bekommen. Die Reifen quietschten noch einige Male, ansonsten sah es gut aus.

      »Kein Krankenhaus. Ich bin okay.«

      »Ja, und der Papst raucht Crack. Das glaubst du doch allein nicht.«

      »Kein Krankenhaus«, wiederholte er und setzte sich richtig auf. Sein Blick war ebenso grimmig wie entschlossen. Keinen Zweifel, er meinte es tatsächlich ernst. »Lass mich einfach an der nächsten Ecke raus. Mir geht's gut. Nur ein leichter Schwächeanfall.«

      Seine Worte klangen ehrlich, widersprachen aber vollends dem, was ich auf dem Sitz neben mir erblickte. Ich brauchte keine Medizinkenntnisse, um zu sehen, dass der Bursche völlig am Ende war. Rein äußerlich wies er keine schwerwiegenden Verletzungen auf, lediglich ein paar Kratzer, die von allein heilen würden. Doch wer außer ihm wusste, was für Wunden er unter der Kleidung verbarg?

      »Glaub mir, es ist alles in Ordnung.«

      Ich war noch immer nicht überzeugt, aber wenn es wirklich sein Wunsch war, würde ich ihn am Straßenrand aussteigen lassen. Er hatte gewiss seine Gründe, in keine Notaufnahme gehen zu wollen. Mit einer fehlenden Krankenversicherung hatte es vermutlich nichts zu tun. Aber ich war klug genug, nicht nachzuhaken. Das Bier in Joes Bar rückte näher. Das war alles, was mich interessierte.

      Am Straßenrand parkte eine Stoßstange an der nächsten, doch fünfzig Meter vor uns mündete eine Gasse in unsere Straße. Ich brachte den Buick davor zum Stehen.

      »Danke fürs Mitnehmen«, sagte der Fremde. »Ich hoffe, ich habe dir nicht allzu große Umstände gemacht.«

      »Nicht im Geringsten. Ich les gern Leute auf, die mir vor den Kühler springen.«

      »Entschuldige nochmals. Ich war irgendwie nicht ganz bei der Sache.«

      »So kann man das auch ausdrücken.«

      Beim Aussteigen lächelte er dünn. So wie die Beifahrertür ins Schloss fiel, folgte ihm mein Blick in die Seitengasse. Dank der städtischen Sparmaßnahmen gab es nur wenige Straßenlaternen, sodass der Fremde schon fast vollständig in der Dunkelheit verschwunden war. Trotzdem sah ich, dass er sich nur zögernd bewegte.

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