Engadiner Hochjagd. Gian Maria Calonder

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Engadiner Hochjagd - Gian Maria Calonder Ein Mord für Massimo Capaul

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wanna run cool, you got to run on heavy, heavy fuel.«

      Capaul versuchte in Gedanken die Menschen zu zählen, die er in den Tod begleitet oder deren Leichen er gewaschen und eingekleidet hatte. Die Zeit vor der Polizeischule, als er noch im Sterbehospiz gearbeitet hatte, lag nicht weit zurück.

      Er war noch nicht fertig mit Zählen, als Linard von der Kantonsstraße abbog und den Wagen durch Lavins enge Gassen führte, dann unter dem Bahngleis und wiederum der Kantonsstraße hindurchfuhr, um auf einen schlichten Abstellplatz am Waldrand zu gelangen, hinter dem ein Bach sich mit den Jahrhunderten oder Jahrtausenden einige Meter tief ins Gestein gegraben hatte. Neben ihnen stand ein Kastenwagen der Polizei geparkt. Ein Korporal und eine Polizistin mit Gefreitenabzeichen saßen darin bei geöffneter Tür, er funkte, sie telefonierte. Als sie Linard hinterm Steuer erkannte, winkte sie ihm fröhlich zu.

      Linard grüßte, bedeutete mit einer Geste, dass er gleich wieder verschwinden würde, und schlug Capaul kumpelhaft auf die Schulter. »These mist covered mountains are home now for me«, sang er. »Wobei ›mist‹ nicht Mist meint, klar?«

      Er ließ Capaul bei laufendem Motor aussteigen, wendete schwungvoll – wobei er eine Menge Staub aufwirbelte – und fuhr davon.

      Danach war es still. Der Bach war nur ein dünnes steingraues Rinnsal von fast öliger Konsistenz, vermutlich war das Bett weiter oben mit Schutt verstopft. Von fern hörte er das Stottern des Hubschraubers und vom Kastenwagen her gelegentlich die Signalfrequenz – tüdelüt – des Funkgeräts.

      Die beiden Beamten waren noch immer beschäftigt. Um die Zeit zu überbrücken, folgte Capaul der Straße weiter bergwärts. Allerdings überquerte sie gleich darauf den Bach, und um in Sichtweite seiner neuen Kollegen zu bleiben, kehrte er bald um, bewunderte eine bestimmt zwanzig, wenn nicht dreißig Meter hohe Lärche, die direkt am Bachbettrand pfeilgerade in den Himmel schoss, und wunderte sich, dass kein Gewitter, kein Erdrutsch, keine Schneeschmelze sie je mitgerissen hatte.

      Nachdem er zum Parkplatz zurückgebummelt war, studierte er die Wanderwegweiser. Einer der Wege, beschildert mit Chamanna Marangun, war mit einem einfachen Streifenband abgesperrt, davor warnte eine provisorische Tafel: Steinschlag! LEBENSGEFAHR! Er schlüpfte unter dem Band hindurch und stieg einen steilen Pfad empor, der in einen sorgsam terrassierten, mediterran anmutenden Hang führte: Talwärts waren mit Maschendraht einige Gärtlein abgeteilt, bergwärts wechselten sich karge Wiesenstufen mit nacktem Fels, krummen Birken und dornigem Gestrüpp ab, vermutlich Alpenrosen.

      Man sah von hier aus weit ins Tal. Auf halber Höhe am Berg schlängelten sich die Straße und die Eisenbahn, ganz unten floss der Inn zwischen Häusern hindurch, an Gärten und Äckern entlang. Ein kleines Dorf, nur ein Häuserkranz, lag erhöht, das musste Guarda sein. Bei seinem Anblick dachte Capaul unwillkürlich an eine Dornenkrone.

      Die Freude, hier arbeiten zu dürfen, wurde nur getrübt durch den Staub, der in alle Öffnungen drang. Capaul spuckte aus. Als er sich umwandte, um zum Parkplatz zurückzukehren, überrannte er fast die Polizistin.

      »Attenziun«, rief sie lachend – wobei sie eine staubverklebte Oberzahnreihe entblößte – und klammerte sich an ihn, bis sie das Gleichgewicht wiederfand. »Wir brauchen nicht noch mehr Tote.« Dann schüttelte sie ihm die Hand. Ihre war schmal, doch ausgesprochen kräftig. »Ich bin Barbla. Entschuldige, dass wir dich haben warten lassen. Komm.«

      II

      Capaul stieg hinter Barbla den abschüssigen Pfad hinab. Er hatte Mühe, ihr Tempo zu halten.

      »Von Toten hat Linard gar nichts gesagt«, bemerkte er aufgeregt. »Wie viele sind es? Gibt es Verletzte? Was kann ich tun? Und wo sind alle anderen?«

      »Welche anderen?«

      »Armee, Räumungstrupps, Planungsstab, Sanitäter.«

      Sie hatten den Parkplatz erreicht.

      »Moment«, sagte Barbla belustigt, »das mit den Toten war so dahingesagt. Acht Leute waren in der Berghütte Chamanna Marangun, als es passiert ist, fünf Erwachsene, drei Kinder. Die werden gerade ausgeflogen, ich hoffe, sie genießen den Flug. Danach holt Franz, der Pilot, noch zwei Hirten raus.«

      Während sie redete, löste sie ihr langes, fahlblondes Haar, das zu einer Art Knoten gebunden gewesen war, schüttelte es aus und band es neu. »Helfer haben wir nicht, das heißt, wir holen telefonisch Rat. Lavin ist nicht Bondo, per furtüna da Dieu.«

      Während sie sprach, prägte Capaul sich die markanten Merkmale ihres Gesichts ein: die schmalen, schlecht durchbluteten Lippen, goldene Kügelchen an den fleischigen Ohrläppchen und ihre graublauen Augen, deren Iris ein kräftiger schwarzer Ring abschloss.

      »Sieh mich nicht so an«, bat Barbla. »Ich ziehe zwei Kinder groß. Da bleibt keine Zeit, zum Friseur zu gehen, auch wenn ich nur Teilzeit arbeite. Hast du Kinder?«

      Statt zu antworten, fragte er: »Was war das dann für ein Spruch mit den Toten?«

      »Ach so. Einer ist verschollen, ein Sonderling aus dem Dorf, er heißt Tumasch. Seit wohl zwei Jahren steigt er praktisch jeden Tag hinauf in die Val Lavinuoz, um dort Steine fortzuräumen und aufzuschichten. Steine, die vom Berg fallen. Niemand weiß genau warum.«

      »Die Steine fallen schon länger?«

      »Ja, Steinschlaggefahr herrscht dort permanent. Und Tumasch räumt die Steine jeweils wieder weg. Seine Frau kann nicht mit letzter Gewissheit sagen, dass er gestern oben war, aber mit neunundneunzig Prozent Wahrscheinlichkeit. Zudem kam Tumasch in der Nacht nicht heim.«

      »Kann man ihn nicht orten? Über sein Handy etwa?«

      »Haben wir versucht, aber das Handy ist tot. Was wiederum dafür spricht, dass Tumasch dort oben ist, denn die Val Lavinuoz ist ein Funkloch.«

      »Habt ihr es mit einer Wärmekamera versucht?«

      Sie lächelte – bestimmt fand sie ihn altklug – und erklärte: »Bei diesen Temperaturen unterscheidet sich ein lebender Körper kaum von der Umgebung. Das ist das eine. Das andere: Selbst wenn wir Tumasch orten und er noch leben sollte, wie kriegen wir ihn von dort fort? Solange sich die Lage am Berg nicht stabilisiert, dürfen wir niemanden in die Falllinie schicken. Er müsste sich also selbst anseilen, und sogar dann käme der Hubschrauber nicht nah genug heran, um ihn hochzuziehen. Die Steine fallen tausend Meter tief und prallen ab. Trifft einer den Rotor, haben wir Tote im Plural.«

      Das leuchtete Capaul ein. »Und was tun wir jetzt?«

      »Nun, die Idee ist, dass du mit Franz hochfliegst und die Gegend mit dem Fernglas absuchst. Wir haben gehört, deinen schönen Augen entgehe nichts.«

      Capaul wurde rot. »Wer sagt so was?«

      »Linard natürlich. Wobei er es anders formuliert hat, nämlich als Warnung. Egal, hör zu: Franz nimmt dich an Bord, sobald er die Hirten abgesetzt hat. Er landet auf der anderen Talseite, auf dem Sportplatz eines Ferienheims. Roman fährt dich dorthin, ich selber fahre schleunigst heim und stelle mich an den Herd. Zu Hause wollen drei Männer gefüttert sein.«

      »Die alle drei nicht kochen können?«

      »Na ja, die Jungs sind acht und zehn, und mein Mann hat gerade mal eine halbe Stunde, bevor er wieder losmuss.«

      Inzwischen hatte Roman, ein Fünfzigjähriger mit Wohlstandsbäuchlein und sorgfältig

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