Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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der Religion, der Gerechtigkeit, der Landwirtschaft, des Unterrichts und so weiter aufgebauten Zentralausschusses begegneten alle höheren Anregungen jener eisigen und ängstlichen Zurückhaltung, welche Diotima gar wohl von ihrem Mann kannte, als er noch nicht so aufmerksam geworden war; und sie fühlte sich manchmal ganz mutlos vor Ungeduld und konnte sich nicht verhehlen, daß dieser Widerstand der trägen Welt schwer zu brechen sein werde. So klar für sie selbst das österreichische Jahr als weltösterreichisches Jahr dastand und die österreichischen Nationen als das Vorbild der Nationen der Welt darstellen sollte, wozu eigentlich nichts anderes nötig war, wie zu beweisen, daß der Geist in Österreich seine wahre Heimat habe, so deutlich zeigte es sich, daß dies für die Köpfe der Schwerfälligen noch eines besonderen Inhalts bedurfte und durch einen Einfall ergänzt werden mußte, der durch seine mehr sinnfällige als allgemeine Natur dem Verständnis entgegenkam. Und Diotima studierte stundenlang in vielen Büchern, um eine Idee zu finden, die das leiste, und natürlich sollte es in besonderer Weise auch eine symbolisch österreichische Idee sein; aber Diotima machte sonderbare Erfahrungen mit dem Wesen großer Ideen.

      Es zeigte sich, daß sie in einer großen Zeit lebte, denn die Zeit war voll von großen Ideen; aber man sollte nicht glauben, wie schwierig es ist, das Größte und Wichtigste davon zu verwirklichen, sobald alle Bedingungen dafür gegeben sind, bis auf die eine, was man dafür halten soll! Jedesmal, wenn Diotima sich beinahe schon für eine solche Idee entschieden hatte, mußte sie bemerken, daß es auch etwas Großes wäre, das Gegenteil davon zu verwirklichen. So ist es nun einmal, und sie konnte nichts dafür. Ideale haben merkwürdige Eigenschaften und darunter auch die, daß sie in ihren Widersinn umschlagen, wenn man sie genau befolgen will. Da waren zum Beispiel Tolstoi und die Berta Suttner – zwei Schriftsteller, von deren Ideen man damals ungefähr gleichviel hörte aber wie kann sich, dachte Diotima, die Menschheit ohne Gewalt auch nur Brathühner verschaffen? Und was fängt man mit den Soldaten an, wenn man, wie jene es verlangten, nicht töten soll? Sie werden erwerbslos, die Armen, und die Verbrecher haben goldene Zeiten. Solche Anträge lagen aber vor, und man hörte, daß schon Unterschriften gesammelt würden. Diotima hätte sich ein Leben ohne ewige Wahrheiten niemals vorzustellen vermocht, aber nun bemerkte sie zu ihrer Verwunderung, daß es jede ewige Wahrheit doppelt und mehrfach gibt. Darum hat der vernünftige Mensch, und das war in diesem Fall Sektionschef Tuzzi, der dadurch sogar eine gewisse Ehrenrettung erfuhr, ein tief eingewurzeltes Mißtrauen gegen ewige Wahrheiten; er wird zwar niemals bestreiten, daß sie unentbehrlich seien, aber er ist überzeugt, daß Menschen, die sie wörtlich nehmen, verrückt sind. Nach seiner Einsicht – die er seiner Gattin hilfreich darbot –, enthalten die menschlichen Ideale ein Unmaß der Forderung, das ins Verderben führen muß, wenn man es nicht schon von vornherein nicht ganz ernst nimmt. Als den besten Beweis dafür führte Tuzzi an, daß solche Worte wie Ideal und ewige Wahrheit in Büros, wo es sich um ernste Dinge handelt, überhaupt nicht vorkommen; einem Referenten, der es sich einfallen ließe, sie in einem Akt anzuwenden, würde augenblicklich nahegelegt werden, sich zur Erlangung eines Erholungsurlaubes amtsärztlich untersuchen zu lassen. Aber Diotima, wenn sie ihm auch wehmütig zuhörte, schöpfte aus solchen Stunden der Schwäche am Ende doch wieder neue Kraft, sich in ihre Studien zu stürzen.

      Sogar Graf Leinsdorf war überrascht von ihrer geistigen Energie, als er endlich die Zeit fand, zu einer Rücksprache zu erscheinen. Se. Erlaucht wollte eine aus der Mitte des Volkes aufsteigende Kundgebung. Er wünschte aufrichtig, den Volkswillen zu erkunden und durch vorsichtig von oben kommende Einflußnahme zu läutern, denn er wollte ihn dereinst Sr. Majestät nicht als eine Gabe des Byzantinismus, sondern als Zeichen der Selbstbesinnung der im Strudel der Demokratie treibenden Völker unterbreiten. Diotima wußte, daß Se. Erlaucht noch immer an dem Gedanken «Friedenskaiser» festhielt und an einer glanzvollen Kundgebung des wahren Österreich, wenn er auch den Vorschlag Weltösterreich nicht grundsätzlich ablehnte, sofern nur darin das Gefühl einer um ihren Patriarchen gescharten Völkerfamilie richtig zum Ausdruck komme. Von dieser Familie nahm Se. Erlaucht allerdings unter der Hand und stillschweigend Preußen aus, obgleich er gegen die Person des Dr. Arnheim nichts einzuwenden fand und sie sogar ausdrücklich als eine interessante Person bezeichnet hatte. «Wir wollen ja sicher nichts im verbrauchten Sinn Patriotisches haben,» mahnte er «wir müssen die Nation, die Welt aufrütteln. Ich finde die Idee, ein österreichisches Jahr zu machen, recht schön und habe ja eigentlich selbst zu den Journalisten gesagt, daß man die Phantasie des Publikums auf ein solches Ziel lenken müsse. Aber haben Sie sich schon einmal überlegt, meine Liebe, wenn es bei diesem Österreichischen Jahr bleibt, was wir in diesem Jahr machen sollen? Sehen Sie, das ist es! Das muß man auch wissen. Man muß da ein bißchen von oben nachhelfen, sonst gewinnen die unreifen Elemente die Oberhand. Und ich finde absolut nicht Zeit, mir etwas einfallen zu lassen!»

      Diotima fand Se. Erlaucht sorgenvoll und erwiderte lebhaft: «Die Aktion muß in einem großen Zeichen gipfeln oder gar nicht! Das ist gewiß. Sie muß das Herz der Welt ergreifen, erfordert aber auch eine von oben kommende Einflußnahme. Das ist nicht zu bestreiten. Das österreichische Jahr ist ein ausgezeichneter Vorschlag, aber meiner Meinung nach wäre ein Weltjahr noch schöner; ein weltösterreichisches Jahr, wo der europäische Geist in Österreich seine wahre Heimat erblicken könnte!»

      «Vorsichtig! Vorsichtig!» warnte Graf Leinsdorf, der von der geistigen Kühnheit seiner Freundin schon oft erschreckt worden war. «Ihre Ideen sind vielleicht immer ein klein wenig zu groß, Diotima! Sie haben das ja schon einmal gesagt, aber man kann nicht vorsichtig genug sein! Was haben Sie sich also ausgedacht, das wir in diesem Weltjahr tun sollen?»

      Mit dieser Frage hatte Graf Leinsdorf aber, von jener Geradheit geleitet, die sein Denken so charaktervoll machte, genau den schmerzhaftesten Punkt in Diotima berührt. «Erlaucht,» sägte sie nach einigem Zögern «das ist die schwierigste Frage der Welt, auf die Sie eine Antwort von mir wollen. Ich beabsichtige, so bald als möglich einen Kreis der bedeutendsten Männer einzuladen, Dichter und Denker, und ich will die Anregungen dieser Versammlung abwarten, ehe ich etwas sage.»

      «So ist es recht!» rief Se. Erlaucht aus, sofort für das Abwarten gewonnen. «So ist es recht! Man kann nicht vorsichtig genug sein! Wenn Sie wüßten, was ich jetzt alle Tage zu hören bekomme!»

      58

      Die Parallelaktion erregt Bedenken. In der Geschichte der Menschheit gibt es aber kein freiwilliges Zurück

      Einmal hatte Se. Erlaucht auch Zeit, mit Ulrich eingehender zu sprechen. «Mir ist dieser Doktor Arnheim nicht sehr angenehm» vertraute er ihm an. «Gewiß, ein überaus geistvoller Mann, man kann sich über Ihre Kusine nicht wundern; aber schließlich ein Preuße. Er schaut so zu. Wissen Sie, wie ich ein kleiner Bub war, im Jahr fünfundsechzig, da hat mein seliger Vater auf Schloß Chrudim einen Jagdgast gehabt, der hat auch immer so zugeschaut, und ein Jahr danach hat sich herausgestellt, daß kein Mensch wußte, wer ihn eigentlich bei uns eingeführt hatte, und daß er ein preußischer Generalstabsmajor gewesen ist! Ich will damit selbstverständlich gar nichts gesagt haben, aber es ist mir nicht angenehm, daß der Arnheim alles von uns weiß.»

      «Erlaucht,» sagte Ulrich «ich bin froh, daß Sie mir Gelegenheit geben, mich auszusprechen. Es ist Zeit, daß etwas geschieht; ich mache Erfahrungen, die mich nachdenklich stimmen und für einen ausländischen Beobachter nicht geeignet sind. Die Parallelaktion sollte doch alle Leute glücklich erregen, das beabsichtigen Erlaucht doch auch?»

      «Na, ja, natürlich!»

      «Aber das Gegenteil gelingt!» rief Ulrich aus. «Ich habe den Eindruck, daß sie alle gebildeten Leute auffallend bedenklich und traurig macht!»

      Se. Erlaucht schüttelte den Kopf und drehte einen Daumen um den anderen, wie er es immer tat, wenn sich sein Gemüt nachdenklich verfinsterte. In der Tat hatte auch er schon Erfahrungen gemacht, die ähnlich denen waren, die ihm Ulrich nun berichtete.

      «Seit es bekanntgeworden ist, daß ich mit der Parallelaktion etwas zu tun habe,» erzählte dieser «vergehen nicht

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