Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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der Gaskronleuchter. Weit entfernt erblickte sie auch anderes: Fachwerkhäuser, ein Schloß aus Holz und eine Kirche auf einer Anhöhe; eine kleine Stadt inmitten einer großen, umgeben von einer Mauer; eine Silhouette mit Palästen und rosa Kais – und dann meinte sie dort unten in der Ferne Fackeln oder Signalfeuer zu sehen, doch gewiß hatte sie nur zu tief in das Licht der Kronleuchter geblickt. Nichtsdestotrotz war all das so schön, daß sie es mehr als gern besitzen wollte. Die ganze Welt wurde ihr angetragen, ja, der Himmel dazu, mit Sonne, Mond und all den schönen Sternen.

      »Darf ich selbst wählen?«

      Schlippenbach nickte väterlich.

      »Dann will ich die Briefe der Sophia Elisabeth Brenner haben. Niemand interessiert sich für die Brenner, obgleich sie besser ist als jeder andere schwedische Dichter um die Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Nur Stümper haben ihre Schriften herausgegeben, und die Briefe ... Einen einzigen Brief gibt es meines Erachtens gedruckt, in einer gelehrten Zeitschrift des 18. Jahrhunderts!«

      Elisabet Gran redete sich in Hitze: In den Briefen sei die ganze Persönlichkeit eines Autors sowie seine Zeit auf einem einzigen Blatt Papier gespeichert, von den höchsten Gedanken über das literarische Schaffen bis zu ganz alltäglichen wie: »Weißt du, wo man um diese Zeit getrocknete Zwetschgen erhält?« Diese Forschungsaufgabe sei nicht nur gewichtig, sondern angenehm obendrein, und die Dozentin schloß, indem sie betonte, die Brenner sei nicht einfach eine simple Schriftstellerin, sondern etwas ganz anderes, Großes.

      »Bei dem Weibsbild ist mehr zu holen, als der Herr Professor glauben! Als ich das erste Mal auf ihre Gedichte stieß, da ...«

      Elisabet Gran unterbrach sich, denn plötzlich überschattete eine Wolke die olympische Stirn Schlippenbachs.

      Dann verschwand sie wieder, und er nickte ihr mit einem kleinen Lächeln billigend zu.

      »Topp«, sagte Elisabet Gran. »Der Brenner werde ich Herr, dessen können Sie sicher sein. Ich spüre schon den Archivgeruch.«

      »Aber, Dozentin Gran, wenn es Ihnen mißlingt ...« Er hob sein Punschglas zu einem Prosit, und sie ließ ihr Glas an seinem klingen. Da lachte Professor Schlippenbach: »Dann haben Sie wohl Ihre Seele verscherzt!«

      »Aufgrund der wissenschaftlichen Schande!« stimmte sie zu.

      »Sie schafft es«, ließ sich Dozent Bondeson vernehmen. »Sie forscht wie ein ganzer Mann, obgleich sie aussieht wie ein kesses Bienchen!«

      »Geht die Sache zum Teufel, kannst du noch immer Studienrätin werden, an einem Landgymnasium für Mädchen«, sagte Huund aufmunternd.

      »Oder heiraten«, ergänzte Wallin.

      Die Dozentin spürte Wärme, nicht nur die des Lichts und all der Körper, sondern auch die geistige, die der Professor ausstrahlte. Rasch waren die Dozenten Huund und Bondeson überredet, im Duett zu singen. Ihre Stimmen klangen nicht übel. Dozent Bondeson war im übrigen der Sohn von Opernsänger Balle Bondeson, doch mißbilligte er auf das bestimmteste, Jung-Balle genannt zu werden.

      »Es lebe das nächtliche ›Schylla‹!« trompetete Balle Bondeson jetzt.

      »Dort herrscht ein zünftiges Treiben!« stimmte A. L. Huund ein. Im »Gästis«, vor langer Zeit in »Schyllas« Nachbarschaft gelegen, war das Treiben auch nicht von schlechten Eltern. Mag sein, der Abend war schon vorgeschritten, und etliche Gäste waren bereits verschwunden. Die Tapfersten aber harrten aus. Schlippenbach steckte sich eine Zigarre an, und die Studenten scharten sich enger um ihre Lehrer, um an deren Weisheit teilzuhaben. Und so erörterte man die Literatur und rühmte den Referenten ob seiner Ansichten zu den Fruchtbarkeitsgöttinnen der Sumerer. Als es von Dom und Heiliger Dreifaltigkeit Mitternacht schlug, gähnte Dozent Huund.

      »Na, Jungs, was haltet ihr davon zu gehen?« fragte er. »Es wird langsam Zeit für die Siebenundvierzig und einige caelestis horis.«

      Der Vorschlag traf auf das beifällige Gemurmel der Herren – Hunger und Durst waren gestillt, Zigarren und Zigaretten aufgeraucht. Die Nymphen in der Siebenundvierzig lockten mit anderen Genüssen, der ewigen Liebe Wonnen.

      »Kommen der Herr Professor mit?« fragte Huund.

      »Nja ... hm! Ich folge euch ein Stück des Wegs. Ein Nachtspaziergang tut gut nach all dem Qualm!« Dann unterbrach er sich. Dozentin Gran trank ihr Punschglas leer. Man erhob sich und verließ das Gasthaus.

      »Jemand muß die Dozentin begleiten!« fuhr der Professor fort und sah in die Runde. Sein Blick fiel auf einen großen jungen Mann, der wohl Studienanfänger war. »Kandidat Månson!« Der blickte zu Boden und scharrte mit der Schuhspitze einen Berg Schnee zusammen. Der Schnee war weich und ließ sich zu einer Pyramide fügen. Månson trug dünne Lederschuhe ohne Galoschen, und seine Hosenbeine waren schmal und frischgebügelt. »Kandidat, Sie sind viel zu jung, um zu Weibsbildern zu gehen. Begleiten Sie Dozentin Gran heim!«

      Kandidat Månson hob den Blick von seinem Schuh und schaute Elisabet Gran an. Eine Locke seines schwarzen Haares lugte unter der Studentenmütze, der dunklen für den Winter, hervor. Höflich bat er um Erlaubnis, sie heimbegleiten zu dürfen, und ebenso höflich nahm sie dankend an. Der Professor entbot eine gute Nacht, und die Gesellschaft zog zum östlichen Ufer des Flusses. Vom »Gillet« unten waren Lärm und Gelächter anderer Herren zu hören, die vermutlich dasselbe Ziel hatten. Auf der Straße zurück blieb das ungleiche Paar.

      »Nun, Herr Kandidat«, sagte Dozentin Gran. »Ich will Sie nicht hindern. Folgen Sie nur den anderen!«

      »Nein, nein! Im übrigen ... nicht einmal den Punsch zum Kaffee könnte ich mir dort leisten.«

      Er bot ihr den Arm, und sie spazierten die Sankt-Eriks-Gasse hinunter. Die Dozentin summte den »Nächtlichen Marsch«, das Schlußcouplet ihrer Kollegen im »Gästis«. Kaum hatten sie die Pumpe erreicht, begannen die Punschnebel sich zu lichten. Der Novemberhimmel war dunkel und klar, und die Dozentin erschauerte vor Kälte oder Schönheit. Der Kandidat hielt stützend ihren Arm.

      »Dort oben«, sagte er und sah zum Himmel auf, »ist alles so unendlich weit. Obgleich ich weiß, daß dem nicht so ist, möchte ich doch glauben, daß über die Erde ein riesiges Tuch gespannt ist und daß das Licht von außen durch winzig kleine Mottenlöcher hereindringt.«

      »Oder«, sagte die Dozentin, »vielleicht stimmt auch, was das Mittelalter dachte, jeder Planet ist an einer Sphäre aufgehängt, alle bewegen sich und werden von einem intelligenten Wesen gesteuert, einem hohen, schönen Engel.«

      Der Lärm vom »Gästis« war verstummt. Vom Dom ertönte ein dumpfer Schlag. Dann herrschte wieder Stille. Sie standen gegenüber von Ofvandahls Konditorei und schauten zum Himmel empor, ebenso still wie die Sterne.

      »Frau Dozentin, hören Sie den Gesang?«

      Vielleicht war da ein Ton in weiter Ferne, eine schöne Melodie ... sie hörte aufmerksam hin, um das Singen zu vernehmen. »Das ist die Harmonie der Sphären. Das wundervolle Knirschen, wenn die Sphären, die Sterne tragen, sich bewegen.«

      Die Dozentin lächelte. Sie sah vom Himmel hinunter auf den Kandidaten, und dann ließ sie ihn los und ging weiter. Der Kandidat holte sie ein und griff nach ihrem Arm, doch sie schüttelte ihn ab und hielt sich von ihm fern. Er lief mit ausholenden Schritten, und die Dozentin mußte eilen, um bei dem Tempo mitzuhalten. Dann bogen sie in die Skolgata ein.

      Vom Gasthof bis zur Götgata brauchte man nur kurze Zeit. Doch es schien kälter geworden zu sein, und der Schnee, der sich eben noch

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