Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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abstoßend – es liegt ein Genuß im Ertragen, im freiwilligen Aufsichnehmen von Leiden.

      Ich holte Handtuch und Badehaube aus dem Schrank, stellte das Necessaire daneben und hängte die Kleider hinein. Wo steckte Choice eigentlich? Die Brille in einen Schnürstiefelschaft, die gerollten Strümpfe in den anderen. Es war immer das gleiche Elend, aus dem Korsett zu kommen. Mit Ankleidefrau oder in Reformkleidung ginge das leichter. Nicht einmal die Badewärterinnen, die drinnen im Warmbad mit den Bürsten klapperten, kamen mir zu Hilfe. Jetzt gab die Verschnürung mit einem Seufzer nach. Der Körper, noch immer morgenstarr und müde, protestierte dagegen, ganz ohne Halt auskommen zu müssen. Das Korsett an den Haken und das Hemd hinterher! Nun war ich nackt, steckte die Füße in die Badepantoffeln und zog alle Nadeln aus dem Haar. Ein einfacher Knoten machte sich unter der Badehaube am besten. Wo Choice nur blieb? Fünf Minuten Verspätung, aber natürlich kam sie selten pünktlich. Jetzt die Badehaube auf.

      Ich konnte nicht mehr warten. Gänsehaut überzog den ganzen Körper, fing an den Gliedern an und griff auf den Rumpf über. Ich preßte die Schultern zusammen, um mich zu schützen. Es war besonders unangenehm, als die Haut am Hals bis hinunter zwischen die Brüste zu grieseln begann. Jetzt war Schluß. Ich nahm Handtuch und Necessaire und eilte zu den Duschen.

      Kaskaden lauwarmen Wassers trommelten auf die Badehaube, und während ich auf einem Bein balancierte, um meinen Fuß sauberzuschrubben, dachte ich über die Wette nach. War es völlig töricht gewesen, sich darauf einzulassen? Nein, es müßte gut gehen. So schwer konnte die Arbeit nicht sein. Man brauchte lediglich gute Mitarbeiter, Energie und detektivische Begabung. Und wer sollte die sonst haben, wenn nicht ich, die ich doch alle Abenteuer von Holmes gelesen hatte. Ich seifte den anderen Fuß ein und dachte an die Brenner – eine dichtende Frau, ständig in anderen Umständen, ein brillanter Kopf, eine Frau neben all den Männern. Einfach weil sie talentiert war, hatte sie als Mädchen Latein gelernt, obgleich sie außer der Frakturschrift keinerlei Buchstaben hätte begreifen müssen. Doch um die Briefe zu finden: nun, dazu mußte ich systematisch vorgehen, in unserer eigenen Universitätsbibliothek, der Carolina, beginnen und dann die Kreise größer ziehen. Man mußte suchen. Ganz einfach beharrlich sein.

      Jetzt waren die Füße sauber, doch keine Choice war zu sehen. Ich zog die Pantoffeln an und ging hinunter zum Bekken. Es war leer dort, immer noch still und ruhig. Nicht viele nutzten die morgendlichen Damenzeiten, nur eine einzige Studentin plätscherte im Becken. Haus und Kinder waren natürlich hinderlich, und die Büromiezen hatten wohl auch kaum Zeit.

      Langsam stieg ich ins Becken. Natürlich kann ich tauchen, das hatte ich in einem heißen Sommer vor vielleicht fünfzehn Jahren gelernt, ja, noch weit im vorigen Jahrhundert. Damals hatten wir Kinder am Strand gespielt, und einer der Jungen hatte mir das Tauchen beigebracht. Den ganzen Sommer über hatte ich es geübt und sehr gut gemacht, wie ich selbst fand. Vielleicht ließ ich es deshalb heute bleiben, wollte die Kindheitserinnerung nicht durch ein Hineinplumpsen ins Wasser verderben.

      Ich bin keine Eliteschwimmerin. Mein Schwimmstil ist energisch, konzentriert und ein klein wenig fahrig wie mein Charakter, und meine Forschungsarbeit auch, wenn ich ehrlich bin. Die müden Morgenmuskeln waren gezwungen, sich zu strecken, dann nachzugeben, strecken, erschlaffen ... in raschem, gleichmäßigem Tempo. Ein entgegenkommendes Mädchen hob winkend die Hand, und ich winkte mitten in der Armbewegung zurück. Es war sicher jemand vom Verein für Studentinnen, doch ihr Gesicht blieb ein weißer Fleck.

      Jetzt kam eine dieser ewigen Vorbeischwimmerinnen.

      »Trödelsuse«, flüsterte sie, als sie auf gleicher Höhe war und mich zur Seite drängte.

      »Was zum ... Choice! Es wurde aber auch Zeit!«

      »Wie weit schwimmst du? Einen Kilometer! Bis dann!« antwortete Choice, und bald sah ich nur noch ihre Füße, und die übrigens auch vor allem wegen der Wasserspritzer.

      Choice kann wirklich schwimmen. Sie ist groß und schlank, hat dunkles Haar, das ganz natürlich in Locken fällt. Wer ihren Kosenamen erfunden hat – sie besitzt ihn schon seit der Kindheit, und keiner weiß es genau –, traf ins Schwarze. Es mag schon sein, daß sie Gudrun Nordin heißt, doch als Name paßt »die Auserwählte« besser. Ihre Gestalt gleicht einem Ornament der l’art nouveau. Man könnte sie sich porträtiert auf einer Chaiselongue vorstellen, zurückgelehnt, mit einer Schachtel Pralinen in Reichweite und daneben auf dem Tisch einen Band Sonette von Gripenberg. So sieht sie aus. Vom Charakter her ist sie ganz anders. Groß und schlank von Wuchs hat sie natürliche Voraussetzungen, um Sport zu treiben, und die nutzt sie auch. Als Studentin trainierte sie jede nur erdenkliche Leibesübung und war eifriges Mitglied im Lawntennis-Club der Uppsala-Studenten. Heute als Stockholmerin spielt sie Tennis und Bandy mit den Damen im Sportclub der Kronprinzessin Margareta. Am Netz kann sie übrigens auch den geschicktesten Mann schlagen.

      Choice ist Fürsprecherin alles Gesunden und Heilsamen – besser gesund als sündig, ist ihr Motto, und über Dekadenz rümpft sie nur die Nase. Mit Trauer betrachtet sie die Degeneriertheit der Zeit, die alle Klassen erfaßt. Wenn sie selbst im Kreis von Freunden zu einem Glas greift, ist das mehr den veralteten Sitten geschuldet als wirklicher Neigung. Trotz allem ist sie schließlich Journalistin und muß sich verhalten, wie die Leserschaft es von ihr erwartet.

      Sie ist schön, die Choice, und die Männer bewundern sie. Sicher ziehe auch ich Blicke auf mich, doch neben Choice bemerkt mich keiner. Dennoch ist sie unverheiratet, trotz ihrer dreißig Jahre. Sie wohnt in einer Pension und scheint ihren Familienstand nicht zu bedauern. Liebe verachtet sie. Soweit mir bekannt ist, gab es für sie nur eine Liebe, und die ist vollkommen platonisch: Per Henrik Ling, Vater der schwedischen Gymnastik. Im vollen Ernst verteidigte sie seine dramatische Dichtung vor dem Hohngelächter des Studentinnenvereins, und es ist auch nicht merkwürdig, daß sie die Linggymnastik allen anderen Sportarten vorzieht. ›Die Knie beugt, die Arme streckt‹ ist für sie, was für andere Menschen der Morgenkaffee ist. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, daß sie aus Prinzip aufgehört hat, Kaffee zu trinken. Neben Choice wirkt jedermann unentschlossen und schwach.

      Der Beckenrand kam mir erneut entgegen, ich wendete und stieß mich mit den Fußsohlen von den Kacheln ab. Beim nächsten Schwimmstoß beschloß ich, Choice nichts von der Wette zu sagen. Daß Schlippenbach und ich verschiedene Ansichten zu den Wegen der Literaturforschung hatten, ging nur uns beide etwas an und niemanden sonst. Es genügte, daß Choice vom Sammeln der Briefe wußte.

      Als ich aus dem Becken kletterte, tropfend wie eine frisch aus dem Eis gekommene Punschflasche, schoß Choice mit einem letzten raschen Stoß zum Beckenrand vor und stemmte sich nach oben. Sie drückte das Wasser aus einer Haarlocke, die unter der Badehaube hervorlugte, legte den Arm um mich und erklärte, wie schön es sei, mich zu sehen.

      »Komm rasch mit ins Dampfbad!«

      Das Dampfbad war der höchste Genuß beim Baden – erst Kälte, körperliche Anstrengung und Martyrium, dann Abseifen in der Dusche und Haarwäsche mit Javol-Shampoonpulver. Und schließlich Wärme, anfangs knochentrocken, dann dampfend feucht, bis der ganze Körper sich entspannte und man sich fühlte wie in einem morgenländischen Harem – träge, wollüstig und völlig nackt. Ich legte mich hin und schaute zur Decke auf, die hinter dem Wasserdampf und den Nebeln der Kurzsichtigkeit verschwand. Choice hatte eine Bürste bei sich und bearbeitete sorgfältig ihren ganzen Körper, von den Schultern abwärts.

      »Die Brenner ...«, sagte sie. »Viel ist mir nicht über sie in Erinnerung geblieben aus der Zeit, als ich Literaturgeschichte belegte. Natürlich gibt es ein paar Seiten in Schlippenbachs Handbuch, und die sind ja ...«

      »Von freundlicher Nachsicht?«

      »Hmm. Ist neunmalklug und und weiblichen Geschlechts, aber kann wenigstens Verse schreiben.«

      »Im Unterschied zu

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