Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman страница 8

Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

Скачать книгу

vielgeliebte Schwester mag sich wohl denken, daß ich nicht ohne herzliches Entzücken vernommen, zunächst von Eurer und Eures l. Gemahls nach so viel erduldeter Gefahr glücklich überstandener Reise; dann daß Ihr zwiefach glücklich Mutter geworden, samt daß Ihr in einem angenehmen Zustand an dem Ort lebet, wo Ihr weilt. Sollte ich denn nicht sogleich meine Beifreude und Glückwunsch an den Tag legen? Gewiß, doch liegen die Briefe wahrhaftig noch hier in meiner Schreiblade. Ich hoffe, wenn der junge Brander reiset, vielleicht ein wenig weitläufiger schreiben zu können. Indes muß ich, obgleich beinahe allzu spät, meinen schuldigen Dank für den Überzug aussprechen. Er ist wahrhaft gut. Ich beklage allein, seinen Preis nicht zu kennen. Eure l. Mama will nichts hören von einer Bezahlung. Dieses benimmt mir die Freiheit, so daß ich nie mehr wagen werde, Bruder Brander mit dergleichem zu bemühen, da ich nicht weiß, wie solches gebührend zu vergelten.

      Fike und Marie Aurore, welche beide die vergnügliche – obgleich gar kurze – Gesellschaft, die sie mit Euch, liebste Schwester, pflegten, in ständigem Andenken halten, grüßen Euch tausendfach; beide sind abwesend. Doch tue ich es in ihrem Namen, wohl wissend, welch aufrichtige Herzensneigung sie Euch entgegenbringen. Vor diesmal nicht mehr als einen lieben Gruß an den Herrn Bruder Brander, nebst Euch selbst und Eure Kleinen, die sämtlich dem Schutze des Höchsten anbefehlend ich bis zum Tode verbleibe

      Meiner liebsten Schwester

      dienstwilligste und

      treueste Dienerin

      Sophia El. Brenner

      *

      Mittwoch, den 8.12.1909

      Der Brief schmückt seinen Platz in meinem Journal. Ich fand ihn heute in Stockholm in der Königlichen Bibliothek. Am Vormittag widmete ich mich den Studien der Handschriften, und zu Mittag gab es dann Grützwurst und den Handschriftenbibliothekar. Um in der KB besseren Zugang zu den Briefen zu bekommen, bestach ich den Bibliothekar im »Sturehof«, und da er Beefsteak bestellte, mußte ich mit Grützwurst und Dünnbier vorliebnehmen.

      Das ist der erste Brief, den ich anderswo als in Uppsala auffand. Der Bibliothekar in der KB rümpfte nur die Nase und sagte, er könne nicht begreifen, was ich mit so einem Schreiben wolle – Weibergeschwätz nannte er es. Einen Augenblick gab ich ihm fast recht, selbstverständlich hätte ich lieber einen Brief gefunden, der vom poetischen Schaffen der Brenner berichtete, von ihren Kontakten zu anderen Autoren oder ihrer Ansicht zum herrschenden Krieg. Die Reflexionen über Kindbett, Reisen und Überzüge wirkten so dürftig. Dennoch konnte ich nicht anders, als immer verärgerter zu reagieren. Weshalb waren Kindbett und Überzüge unerheblich? Weshalb sollten die Auslassungen des Bibliothekars, die er beim Beefsteak über die Nick-Carter-Gefahr und das Abstumpfen der Massen von sich gab, so unendlich viel vernünftiger sein?

      Die Anschrift des Briefes zeigte, daß die Adressatin nach London gezogen war. Ich stellte mir die Spiker als eine dieser Frauen der Großmachtzeit vor, die wie die Männer im Feld lagen, mit ihren knöchellangen Röcken durch den Lehm der Schlachtfelder stapften und unruhig dem Grollen der Kanonen lauschten, sich niemals sicher, ob sie nach dem Kampf nicht Witwe wären. In drei Jahren hatte sie zwei Kinder geboren, und irgendwann hatte sie der Brenner einen Überzug geschickt, vielleicht aus prächtigem englischem Tuch. War er gedacht als Hochzeitsgeschenk der Brenner an eine ihrer Töchter? Sie wollte das Übersandte gern bezahlen, und um ehrlich zu sein: sie konnte die Spiker wirklich kaum um weitere Überzüge bitten, wenn sie nicht einmal erfuhr, was jener gekostet hatte.

      Ich wendete das Blatt und schaute auf die Rückseite mit der Adresse:

      A Madame

      Mad: Margerithe Catrine Spiker

      Citté a London

      Das Papier roch trocken und alt, wie es Manuskripte an sich haben. Niemals erscheint die Vergangenheit so nahe wie beim Arbeiten mit Handschriften. Dieses Papier hatte die Autorin beschrieben. Es war der Brenner eigene Hand, die die Gänsefeder über die Seite geführt hatte. Einmal war die Feder gehoben und angespitzt worden, oder sie hatte sie vielleicht gegen eine neue ausgetauscht, die fertig angespitzt vor ihr lag, falls sie eine vorausschauende Person war. Bei der Vielzahl ihrer Verrichtungen war sie vermutlich dazu gezwungen. Während der Jahrhunderte war die Tinte verblaßt, doch der Geruch war dem Papier geblieben, dumpf und dennoch wundervoll. Die Dichterin pflegte zu erklären, ihrer schöngeistigen Tätigkeit käme sie in von häuslicher Arbeit freien Stunden nach. Spürte man hier einen Duft karolinischer Kochkunst? Der Brief war im Juni geschrieben – da gab es vielleicht Kalb am Spieß, und dazu genoß man Spinat und zarte Karotten. Als erster Gang wurde möglicherweise eine Wassersuppe mit Kräutern gereicht.

      Natürlich galoppierte meine Phantasie jetzt mit mir davon. Das Papier roch nach Papier, altertümlichem Lumpenpapier mit verblaßter Tinte. Und doch konnte ich die häßliche alte Dame sehen, die mit ihrer Feder am Tisch saß und schrieb. Mehrere erwachsene Kinder hatten das Elternhaus verlassen. Viele waren früh gestorben. Zwei Töchter, Fredrika und Maria Aurora, waren noch ungebunden und vielleicht zu Besorgungen unterwegs, als die Mutter den Brief schrieb. Sie mußten zu den jüngsten der fünfzehn Kinder zählen. Ein paar Jahre später heiratete Maria Aurora, und die Brenner widmete ihr eine Hochzeitsschrift, in der sie die körperliche und geistige Gemeinschaft einer guten Ehe beschrieb.

      Hätte die Brenner erörtert, was vom Krieg an Kunde kam, wäre man in die Luft gesprungen und hätte den Brief interessant gefunden. Aber die Frage war, ob Kinder und Überzug nicht mehr über die Zeit und die Briefschreiberin aussagen – vielleicht nicht eben über ihr literarisches Streben, jedoch über ihre Person. Schließlich war es bei einer Briefedition wesentlich, der Person und dadurch ihrem Werk näherzukommen. Man setzt dabei natürlich voraus, daß die Briefe sensationell wären. Bei jedem Brief sollte der Leser am liebsten vor Erstaunen den Mund aufreißen: Oh, war das Privatleben des Autors von dieser Art und welch interessante Gedankengänge! Erklärt und kommentiert würde das Ganze vom allwissenden Herausgeber, dieser Lichtgestalt auf Erden. Und was finde ich dann ... Weibergeschwätz!

      Wieder sah ich die Autorin an ihrem Schreibpult sitzen, sie hebt die Feder vom Papier, schaut nachdenklich auf. Das Kalb, gespickt mit Kräutern, verbreitet angenehmen Duft. Vielleicht sollten der Gatte und sie süßen Wein dazu trinken, wie zuweilen üblich. Der Bote draußen wartete leicht ungeduldig auf das Frauenzimmer, das einen ausführlichen Brief verfaßte, obgleich er in Eile war. Sie hat ein Doppelkinn, blaßblaue Augen und einen gräßlich kleinen Mund. Die Brenner weckt meine Neugier, lockt mich, weil sie so schwer Zugang gewährt. Sie war eine Bürgerfrau mit Alltagskram im Kopf – doch was steckte dahinter? Was machte das Einfache so bedeutungsvoll?

      »Nun, war es nicht reiner Schnickschnack?« fragte der Bibliothekar der Handschriftenabteilung, als ich den Brief zurückgab.

      »Im Gegenteil«, erwiderte ich. »Der Brief war sehr ergiebig. Er hat mich so manches über die Brenner gelehrt.«

      *

      Donnerstag, den 9.12.1909

      Gestern nachmittag sollte ich Thea vorgestellt werden. Die Begegnung war nach dem Bibliothekar und der Grützwurst angesetzt, und ich hatte bereits ein Bild von meiner zukünftigen Kollegin vor Augen. Choice hatte eine Menge erzählt, also wußte ich, daß Thea die Haare kurz trug und radikale Verfechterin einer neuen Rechtschreibung war. Sie schrieb alles klein und hätte am liebsten die ganze Orthographie umgekrempelt.

      Als ich Choices Zimmer betrat, verlangte mein ganzes Wesen nach einem großen Stück Backwerk und ein wenig weiblichem Geschwätz. Der Handschriftenbibliothekar war gar zu anstrengend gewesen. Choice saß noch immer beim Mittagessen. Gekochte Speisen am hellichten Tag fand sie verwerflich. Gemüse sei die beste Nahrung, je weniger behandelt, desto gesünder, der Körper soll alles sichtlich

Скачать книгу