Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman страница 10

Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

Скачать книгу

...«

      Sie nahm einen dicken uralten Wälzer aus der Kollegmappe und reichte ihn mir. Ich griff vorsichtig danach. Sophia Elisabeth Brenners Poetische Verse, verfaßt in mancherlei Sprachen, zu unterschiedlichen Zeiten und bei mannigfaltigen Gelegenheiten stand auf der Titelseite. Auf der Innenseite des Einbands hatten sich die Besitzer verewigt. Das Buch hatte bereits ein langes Leben hinter sich, und es war gelesen worden, ein ums andere Mal, denn das Papier war an den Ecken abgegriffen und schmuddelig. Zuoberst stand eine frühe Eintragung, kaum leserlich. Dann folgte: A. L. Berg 1779, Constance Ekensparre 1842. Ein Namenszug war durchgestrichen, und jemand hatte versucht, ihn mit dem Messer zu tilgen. Hatte einer das Buch von seinem schlimmsten Feind geerbt? Vielleicht war es der Name eines geliebten Freundes, dort hingeschrieben in erster Verliebtheit ... und später, als die Liebe erkaltete, wollte man ihn löschen. Auch Kritzeleien eines Kindes fanden sich dort. »Poetische Verse« hatte es geschrieben, mit gleich vielen Schnörkeln wie auf der Titelseite. Darunter ein Versuch, vielleicht vom selben Kind, das Titelkupfer zu kopieren. Die Frisur der Brenner in der Kinderzeichnung war noch höher und lockiger als auf dem Stich, und ihr energisches Gesicht wirkte nicht schöner, doch tatsächlich menschlicher. Als ich sie jetzt betrachtete, begann sie sich zu bewegen. Zuerst wand sie sich nur ein wenig, so als scheuere das Schnürmieder, dann beugte sie sich vor und sah mich an. Ihre Augen waren wirklich sehr hell, doch zeugten sie von Charakter. Jetzt lächelte sie – da war nicht das lauthalse Lachen aus dem Traum, nur ein leises ironisches Lächeln, vielleicht ein wenig geheimnisvoll. Hatte das Weib etwas zu verbergen?

      Thea ließ das Buch los, und die Brenner erstarrte zu Tintenstrichen, gezeichnet von einem Kind, das die Feder vor langer Zeit ins Tintenfaß getaucht hatte. Ich legte den Zeigefinger an die Stelle, die Theas Finger soeben noch markiert hatte. »Grab-Schrifften« las ich zuoberst auf der linken Seite. Doch Thea wies nach rechts. Dort stand ein Sonett – kein kleines Futteral für Spleen und Dekadenz, wie neuzeitliche Dichter es hervorbrachten – nein, eine Grabschrift »Dem Söhnchen Marten brenner, der geboren ward den 29. Mai 1688 und verstorben selbigen Jahres den 25. Oktober«. Fünf Monate alt nur.

      Soll ohne Ende Schmerz, soll Sorge mich durchgehen,

      Soll klagen ewig ich, weil du verstarbst so früh?

      Beweinen soll ich dich, da dich anlächeln sie,

      Die Engel, denen gleich du JEsum schon darfst sehen?

      Wie sollte mir daran ein Zweifel je entstehen:

      Entziehn wird Wonne dir, die himmlische, sich nie.

      Teilhaftig bist bereits der Gnade du. O wie

      Nur könnte dein Geschick als Mißgeschick ich schmähen!

      O selig überaus du, dessen Weg sich schloß,

      Noch ehe er sich dir eröffnete. Dein Schwinden

      Ist Glück. Denn unsre Fahrt in wüsten Sturms Getos

      Verwirrt sich, noch bevor der Hafen sich kann künden.

      Aus deiner Wiege fandst du leicht in JEsu Schoß,

      Dahin so viele schwer, die meisten niemals finden.

      Der Sturm wirft unsere Schiffe auf dunklem Meer umher, und unsere Rettung ist allzeit ungewiß. Doch mit seiner Wiege als Schiff schaukelte der kleine Marten in einer Lustfahrt auf sommerlichen Wogen, unterwegs in die Seeligkeit.

      »Es fiel mir schwer, von diesem Bild loszukommen ... dabei, man bedenke, verabscheue ich Kinder!«

      »Und sind Lehrerin?«

      »Im Mädchengymnasium.«

      »Auf dem Friedhof in Karlstad liegen drei tote Geschwister von Thea«, erklärte Choice, »und obendrein hat sie zwei lebende Geschwisterkinder.«

      »Nun ja, sie waren nicht einmal ein Jahr, als sie starben, und ich erinnere mich nicht an sie.«

      Ich selbst bin das einzige Kind daheim, geliebt und ersehnt. In unseren Kreisen ist die Kindersterblichkeit heute gering, doch weiß ich schließlich, wie es Freunden ergangen ist: Die toten Kinder waren im Kreis der Geschwister stets zugegen, wie eine Art Schatten. Und bestimmte Tage im Jahr waren gezeichnet durch sie; zwar gab es weder Fest noch Trauerfeier zu ihren Ehren, doch Mutter und Vater wurden gleichsam stiller, und dann kam der Satz: ›Heute ist Fredrikas Geburtstag‹, und man ahnte, daß sie nachrechneten, wie alt das Kind geworden wäre. Ich konnte mir denken, daß man in Theas Familie die Sache nie sehr sentimental anging.

      »Das Gedicht ist gut«, sagte ich. »Die Brenner konnte ihre Sache. Sie werden sehen, Frau Doktor Jansson, daß es bei ihr mehr zu holen gibt, als man glaubt. Sie ist unsere Arbeit wert.«

      Thea sah mich fest und entschlossen an, ohne an ihrem Haar zu bosseln oder im geringsten verlegen zu wirken.

      »Na dann, abgemacht! Ich schlage ein! Ich bin wohl die Älteste? Zweiundneunziger Jahrgang. Thea.«

      »Elisabet, allerdings meist Lissie. Nulleinser.«

      Nachdem wir das Jahr unserer Reifeprüfung ausgetauscht hatten und Thea berichtet hatte, daß sie eins der ersten Mädchen gewesen sei, die in Karlstad die Prüfung ablegten, erstaunte Choice uns beide mit dem Vorschlag, Brüderschaft zu trinken. Wir wehrten ab. Thea behauptete, es sei eine männliche Unsitte, nur um öfter Gelegenheit zum Trinken zu haben.

      »Das Duzen war eigentlich das Ursprüngliche, ehe Feudalherrschaft und Gewohnheiten aus dem Ausland das ganze Titulierungssystem über den Haufen warfen.« Ich spürte erneut den Wunsch nach Süßem.

      »Ich weiß! Wir gehen ins Café und mischen uns unter die Ladenfräuleins.«

      Die wunden Füße hatte ich fast vergessen, und obgleich sie sich unterwegs bemerkbar machten, konnte die Blätterteigtorte sie beinahe heilen. Sie schmeckte beileibe nicht übel.

      *

      Anfrage, publiziert in allen größeren Tageszeitungen, in Ord och Bild sowie der Personhistorisk Tidskrift im Frühjahr 1910

      Die Schwedische Literaturgesellschaft bereitet eine vollständige Edition der Briefe der Sophia Elisabeth Brenner (geb. Weber) vor. Die Herausgeber appellieren hiermit an alljeden, ihnen mögliche Auskünfte hinsichtlich der Brenner kundzutun: Briefe von und an die Brenner im Original oder in Abschrift, Vermerke über Schriften von und über die Brenner, Auskünfte über Personen, die mit der Brenner verkehrten, denen sie Gesänge gewidmet oder mit denen sie auf andere Weise Berührung hatte. Informationen sind zu richten an Doz. Gran, Upsala Universität, oder Redakteur Nordin, Stockholms-Posten.

      Zweiter Kreis

      31.5.1910

      Heute war Promotion in Uppsala. Die Carolina blieb geschlossen, und auf der akademischen Seite des Flusses bereitete man sich auf das große Ereignis des Jahres vor. Am Schloß und am Universitätsgebäude standen Soldaten der Upplands-Regimente, die Sonne glitzerte in den Epauletten der Leutnants, und die Kanonen wurden gerichtet zum Salutschießen. Vor der Universität versammelten sich bereits die Academici – frackgekleidete Herren jedweder Couleur: schlanke Studentenmarschälle mit blau-gelben Schärpen und frischgewaschenen Mützen; die Dozenten Bondeson, Huund und Wallin mit bestickten Kragen, die Hüte in der Hand; ergraute Professoren – und dann der Rektor, Professor Schlippenbach mit wallendem Bart und pfiffigen Äuglein hinter der Stahlbrille.

Скачать книгу