Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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Gran? Gabriel hat soviel von Ihnen und der Akademie gesprochen. Ohne sein Zutun hätte ich niemals auf die Annonce geantwortet.« Dann küßte er mir rasch die Hand, sehr flüchtig, nur ein Kitzeln des Schnurrbarts auf dem Handrücken, doch ritterlicher als der Handschlag des Kandidaten auf dem Bahnhof. Es war ein dummes Gefühl, auf diese Weise hervorgehoben zu werden. Thea, die soeben eine Zigarette aus der Tasche gezogen hatte, wies mit der Zigarettenspitze vielsagend auf mich. Kandidat Månson errötete bis über beide Ohren.

      An einem der letzten Märztage hatte Kandidat Månson bei seinem Zeitungsstudium im Korporationshaus die Nya Dagligt Allehanda gewählt und saß träumend über den Reiseannoncen. Direkt daneben stand unsere Anfrage. Ich weiß nicht, ob es mein Name war oder jener der Universität, der seine Blicke anzog, jedenfalls riß er rasch die Zeitung entzwei und schickte die Annonce an Baron Gyllensporre, da er von der Existenz des großen Familienarchivs wußte. Später sagte Thea, sie hätte Kandidat Månson küssen mögen wegen seines Vergehens gegen die Korporation, und das zu unseren Gunsten. Ich zögerte nicht, ihr beizustimmen.

      Es war bereits Nachmittag. Der Baron lud uns zu Tee und Konversation ein, die in erster Linie Ekesta und das Geschlecht der Gyllensporres betraf.

      »Wie Sie, meine lieben Dozentinnen, ja wissen, sind die Gyllensporres eine alte Familie, wohlbekannt in Schwedens Annalen, Ahnen seit dem 15. Jahrhundert! Und obgleich wir immer eng mit der ostgötischen Provinz verknüpft waren – entre nous, die Gyllensporres haben wohl nie zu den reichen Adelsfamilien gehört –, so haben dennoch unzählige Könige hier auf Ekesta logiert, sowohl in diesem Haus als auch in dem alten Holzhaus, das zuvor hier gestanden hat. 1774 war es wohl, als Fredrik Gyllensporre das jetzige Haus errichten ließ. Der alte Fredrik, mein Urgroßvater, er soll noch in den zwanziger Jahren eine gepuderte Perücke getragen haben, war offenbar ein fröhlicher Geselle, in Linköping verkehrte er mit dem späteren Propst Wallenberg und hatte häufig Kontakt zu den gebildeten Damen der Norrköpinger Gesellschaft, wie auch zum Gelehrten Johan Hinric Lidén und einer Anzahl Leuten aus Stockholm, wie den Autoren Kexél und Halldin. Als ich Kind war, weilte Mamsell Bremer hier – eine so reizende alte Dame, Sie können es sich kaum vorstellen! Sie fertigte kleine Zeichnungen von uns an, meiner Schwester aber verdrehte sie den Kopf, die wurde daraufhin Volksschullehrerin. Das war die Großmutter des jungen Gabriel!«

      Wir begriffen, der Kandidat war nicht nur das Resultat einer Mesalliance, sondern obendrein einer Meuterei, nicht unähnlich der auf der Bounty – und all das verursacht von einer kleinen reizenden Mamsell! Thea fischte nach ihrer Zigarettenspitze und begann etwas vom Roman »Hertha« und dessen unbestreitbarem politischem Wert zu murmeln. Choice stellte ihr den Absatz auf den Zeh, und danach durften wir das Haus besichtigen.

      Das Haupthaus von Ekesta war keinesfalls von besonderer Art: Im Erdgeschoß lagen Bibliothek und Kontor beiderseits einer großen Diele, und auf der Rückseite des Hauses Küche, Eßzimmer und ein Salon, in dem französische Fenster zum Garten führten. Eine Treppe höher lagen die Schlafräume und auf dem Dachboden die Wohnungen des Gesindes sowie ein Schulzimmer für die Kinder. Im Inneren des Schulzimmers befand sich der Verschlag, der als Archiv bezeichnet wurde. Wir durften nur einen Blick hineinwerfen, denn dort drin war es dunkel und staubig, dennoch aber packte uns bereits die Erwartung: Das hier war »unser Dachboden«, hier wurden die Briefe der Brenner aufbewahrt. Aber der Baron erklärte, die Briefe könnten bis morgen warten, und wir waren gezwungen, uns mit der Aussicht zu begnügen.

      In Erwartung des Soupers zogen wir uns zurück und installierten uns in unseren Zimmern. Die Koffer waren bereits heraufgetragen, also konnte ich auspacken und mich ein wenig zurechtmachen. Die Briefe aus dem Archiv riefen nach mir, doch wußte ich sehr wohl, daß man die Dinge auf dem Land langsam angeht und eins nach dem anderen tut. Ich atmete also ein paarmal tief durch, legte die Haarbürste auf die Kommode und machte mich mit dem Zimmer vertraut. Es war wohl ein Jungen- oder Hauslehrerzimmer, und die Sache war rasch erledigt. Bett, Stuhl, Kommode und Waschtisch, alles auf kleinstem Raum. Durch das Fenster konnte ich bis weit hinter die Eichen am Feldrand und sogar bis zum anderen Seeufer blicken. Ich löste die Haken und drückte das Fenster auf. Mit einem leichten Krachen schlug es gegen die Wand. Laue Luft strömte ins Zimmer. Ein wenig Putz hatte sich unter dem Fenster gelöst, und ich bosselte ein weiteres Stückchen ab. Unter dem Putz befand sich eine Schilfmatte, und darunter konnte man Holz erkennen. Nicht einmal Steine hatte sich der Urahn geleistet, sondern seinen Hof aus Holz erbaut, wie die Bauern der Gegend. Das war wohl das billigste Material hier, wo die Bergkette von Kolmården die Ausläufer ihrer Wälder bis vor die Tür schickte, und Schilf gab es gewiß reichlich im See. Das Holz konnte man schließlich durch Verkleiden verbergen – ich vermutete, es war nie gestrichen, sondern von Anfang an unter Putz verborgen.

      Unten im Garten promenierte der Baron in Gesellschaft eines rundlichen Herrn, der vielleicht sein Sohn war, und des Kandidaten. Sie sahen sehr lustig aus: der hochgewachsene, hagere Baron, der in gewisser Weise an den König erinnerte, wenn auch etwas mehr in die Jahre gekommen, der kleinere Dickliche in der Mitte und dann Kandidat Månson, ebenso lang und schlank wie der Großonkel und mit knallroter Krawatte. Alle drei waren dunkel wie Zigeuner. Noch immer trugen sie ihre hellen Sommeranzüge, also war wohl bis zum Abendessen noch recht viel Zeit. Ich ließ das Fenster offen und legte mich aufs Bett, um nach der Reise ein wenig zu ruhen. Schon bald war ich eingeschlafen. Ein respektvolles Klopfen an der Tür und der Ruf »Abendessen in einer halben Stunde, gnädige Frau!« weckten mich aus einem wirren Traum, in dem die anmutig frisierte Frau Brenner, umgeben von fünfzehn Kindern (sonderbarerweise wenigstens drei oder vier im Säuglingsalter), eine unnatürlich große Beata Hochhauer besuchte, die sehr stark an Gustaf V. erinnerte. Ich hatte Eile, mich zu kämmen und das Festkleid anzuziehen, jenes, das die Promotionsfeier am selben Morgen nicht hatte erleben dürfen und deshalb recht zufrieden war, an die Luft zu kommen. Nun also begebe ich mich zum Abendessen hinunter.

      1.6.1910

      Von diesem Souper gibt es nicht viel zu berichten, wurde es doch unter respektvollem Schweigen und respektvollem Reden eingenommen. Das Kleid war fehl am Platz, und das einzige förmliche Kleidungsstück bei Tisch. Ich ging früh zu Bett und erwachte frisch und munter. Das Frühstück war bereits serviert.

      Im Geschlecht der Gyllensporres gab es für die Kinder Brei zum Frühstück, der junge Baron (er hieß wie sein Ahnherr Gustaf, und sein fünfzigster Geburtstag lag schon hinter ihm) nahm Kaffee und ein Weizenbrötchen im Kontor zu sich, und der alte Baron Fabian aß gebratene Nierchen mit Ei und Croutons. Baronessen glänzten mit Abwesenheit. Weder nach Alter noch Geschlecht paßten wir in die Speiseordnung. Das wurde uns klar, als wir den Saal betraten – sicherheitshalber alle drei gemeinsam.

      Am Kopfende des Tisches thronte Baron Fabian, umgeben von Servierschalen, Kannen und Kännchen in silbrigem Neorokoko. Am anderen Ende des Zimmers, an der hinteren Längsseite des Tisches, saßen lieb aufgereiht die Sprößlinge der Familie. Ihnen gegenüber, unverkennbar in der Kinderabteilung plaziert, jedoch mit dem Recht des Studenten, als Erwachsener zu gelten, aß Kandidat Månson Grießbrei und blätterte in der gestrigen Nummer der Norrköpings Tidningar.

      Wir blieben an der Tür stehen und grüßten höflich, und der Baron lud uns ein, neben dem Kandidaten Platz zu nehmen. Es war wie am ersten Tag in der Tischgemeinschaft, als man sich drängelte und stieß, um einen guten Platz zu erwischen. Jetzt landeten wir folgendermaßen: Thea gleich neben dem Baron, Choice in der Mitte und ich, mit der Norrköpings Tidningar auf dem Schoß raschelnd. Ein Mädchen, ihre Vokale waren schlaff wie alte Reisebetten, trat heran und fragte, was wir zum Frühstück wünschten. Ohne die anderen zu konsultieren, bestellte ich Tee und Toast, und Thea protestierte nicht. Choice bat um eine Portion vom Brei der Kinder, und als der Baron die Brauen hob, unterwies sie ihn ausführlich in der Nützlichkeit von Hafergrütze und all der Nährstoffe im Preiselbeermus.

      Die Marmelade zum gerösteten Brot war hausgemacht, dickflüssig und bittersüß. Ich aß vier Scheiben; nach der ersten faltete der Kandidat die Zeitung zusammen und fragte, was ich von der Stimmrechtfrage hielte.

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