Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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ging und sich weigerte, wieder aufzustehen. Wir hielten es für Zimperlichkeit, doch sie bekam Fieber, und wir riefen den Medicus. Nichts konnte er tun. Sie verließ diese Welt am 20. November in diesem Jahr des Heils 1700, im Alter von dreiundzwanzig Jahren und zwei Tagen. Der Grund war ein plötzlich auftretender Bauchfluß, vielleicht verursacht durch Indigestion nach dem Hochzeitsmahl.

      Das, liebe Schwester, ist es, was in unserem Haus geschehen. Jetzt rüsten wir alle für das Weihnachtsfest. Regina ist besonders beharrlich. Vielleicht trauert sie mehr als wir anderen, nunmehr allein zurückgeblieben von Brenners erster Ehe. Sie und Sofia sind beide so tüchtig – ich bin gewiß, sie werden kluge Ehefrauen, und vielleicht gescheite Frauenzimmer. Ludvig (den ich gern Louis nenne) wünscht herzlich, in den Krieg zu ziehen, auch wenn wir meinen, er könne noch ein wenig warten. Er ist ja noch ein Bürschchen von fünfzehn Jahren. Carl hat allmählich begonnen, sich in den Buchstaben zu versuchen, doch ist er wohl noch gar zu klein. Ein wenig jaloux ist er wohl auch auf das Brüderchen. Er ist so lange das Jüngste gewesen, Helena starb doch so bald, daß er sich ihrer nicht erinnern kann. Doch ich bin meines kleinen Elias’ so froh. Es ist das dreizehnte der Kinder, das ich geboren, der dritte Junge dieses Namens. Möge Gott ihn leben lassen, bis daß er erwachsen ist! Er ist schon neun Monate alt und befangen gegenüber allen, die nicht Mama oder die großen Schwestern heißen. Ich könnte Stunde um Stunde sitzen und einzig mit seinen Fingern und Zehen spielen. Welch ein Segen sie sind, diese kleinen Wickelkinder! Wann, glaubst Du, wird Deine Niederkunft sein, im Winter noch oder erst auf das Frühjahr zu? Jetzt fragt die Magd nach dem Würzen des Bratens! Ich schließe hier und verbleibe Deine zärtlich Dich liebende Freundin

      Sophia E. Br.

      Stockholmiae

      1. Dez. A° 1700

      Ich hob den Blick von meinem Brief. Choice und Thea saßen jede vor ihren Schreiben, ebenso gefangengenommen, wie ich es gewesen war. Der plötzliche Tod der Stieftochter, und die vier Kinder, die von all den dreizehn noch lebten! Der Brief vermittelte ein glasklares Bild des Augenblicks. Nur eine Sache war mystisch. Ich beschloß, Thea zu fragen, die schließlich ob ihrer Kenntnis der Antike an unserer Arbeit teilnahm, doch schien sie völlig versunken.

      »Thea! Thea!«

      »Merkwürdiger Brief das hier.«

      »Ist das Latein merkwürdig?«

      »Latein? An eine Frau? Bist du völlig übergeschnappt, Weib? Sieh selbst!« Und sie reichte mir den Brief. Er war sehr kurz, nur ein paar Zeilen. Die Handschrift war dünn und mädchenhaft, doch bestimmte Buchstaben waren dick, mit zerlaufener Tinte geschrieben, als hätte man die Feder nur nachlässig gespitzt.

      Mutter und Dochter Beata HoChhauer! Liebste Freundin. In Erinnerung der X CHristi, an Deine Hochzeit und meine, an die Sonne und den Mond, für uns XenoI. Bist Du niemals in Wadstena gewesen? Es ist ein Ort, etwa 10 Viertelmeilen von Finspong. Dort leben noch die 10 Schwestern.

      Deine Freundin

      Sophia E. Weber, nunmehr verehelichte Brenner

      Stockholmiae, im März

      Der Brief sah aus wie eine Art Segenswunsch, wenn auch in kryptischer Ausdrucksweise. Undatiert, natürlich, wie um die Sache schwieriger zu machen – doch daß die Brenner ihren Mädchennamen benutzte, deutete darauf hin, daß sie jungvermählt war.

      »Was ist das für Galimathias über Vadstena?« fragte Choice. »Nicht daß ich mich in der ostgötischen Geographie sonderlich auskenne, soviel aber weiß ich, daß zwischen Vadstena und Finspång mindestens zehn schwedische Meilen liegen, und absolut nicht zehn Viertelmeilen – wenn man es überhaupt so ausdrücken kann!«

      »Vielleicht hat sie sich verschrieben?« sagte Thea.

      »Wäre schon möglich. Aber wer sind dann die zehn Schwestern? Die Nonnen sind doch wohl im 16. Jahrhundert rausgeworfen worden?«

      »Vielleicht haben ein paar von ihnen noch dort gelebt, in irgendeinem Versteck?«

      »Hundert Jahre lang?«

      Wahrhaftig ein verblüffender Brief. Ich vergaß meine eigene Frage total. Wieder war das Gefühl da, bei der Brenner verberge sich mehr, als man ahnen konnte, daß vielleicht doch nicht alles um sie herum so traulich, heimelig und leichtverständlich war. Zehn Schwestern? Mysteriös. Doch jetzt fällt mir wieder ein, was ich fragen wollte. Die Sache ist mir noch immer nicht klarer.

      »Dieser Brief hier ist jedenfalls völlig verständlich«, sagte Choice und reichte mir einen Bogen im Duodezformat. Er war späteren Datums als die beiden anderen und betraf vor allem geschäftliche Dinge. Auch der Ton war kühler, so daß man sich fast fragen mußte, ob Beata Hochhauer und ihre Freundin Brenner sich überworfen hatten. Obendrein war er in schwedisch:

      Liebe Schwester!

      Den aufrichtigsten Dank für Deinen Brief, der mich erst kürzlich erreichte. Beide, Elias und ich, waren wir hocherfreut, daß Du meine nun im Druck befindlichen Poesien zu colligiren gedenkst. Möge sich unsere Hoffnung erfüllen, daß es ein ansehnliches Werklein werde – Elias hat, wie Du wohl denken kannst, alles in seiner Macht Stehende getan, um eine schöne bildliche Ornation einzurichten, und obgleich meine Poesien gewiß nur gering sind, so können sie vielleicht dennoch erfreuen. Ich hoffe, der Herr Baron wird diese Depensen nicht bereuen. Für unseren gnädigsten König unten im Land des Mondes scheint alles wohl.

      Ich verbleibe als Deine liebe Schwester

      Sophia E. Br.

      Stockholm, den 7. Januar 1711

      P. S. Diesen Sommer tritt Regina mit einem Pastor aus Schonen in die Brautbank. Eine Quittence auf die zehn Caroliner Deines Herrn Gatten ist beigefügt. Hast Du von Deinem Carl aus Rußland vernommen?

      Erst im P. S. wurde der Brief interessant. Carl Gyllensporre war augenscheinlich der priesterlichen Laufbahn, die seine Mutter für ihn vorgezeichnet hatte, leid gewesen und mit seinem Namensvetter, Karl XII., ins Feld gezogen. 1711 befand er sich in Rußland – offenbar in Gefangenschaft, vielleicht nach der Schlacht bei Poltawa zwei Jahre zuvor. Die Brenner war wohl unsicher, ob sie es verschweigen sollte, ob es zu taktlos sei, nach dem Schicksal des Sohnes zu fragen. Das erklärte die Geschäftsmäßigkeit des Briefes ansonsten. Wie doch die Ungewißheit Beata Hochhauer geängstigt haben mußte! Vielleicht war der Junge auch tot, einer der Vermodernden im Boden der ukrainischen Steppe. Die Vorschußzahlung für Brenners Gedichtsammlung konnte die Eltern wohl auch nicht eben aufmuntern. Zehn Karoliner waren wahrhaftig eine beträchtliche Summe im Jahr 1711.

      Nun hatten wir, die drei Herausgeberinnen, je einen Brief durchgesehen und verschiedene Stadien der Verwirrung erreicht. Die Uhr zeigte, daß bald zum Mittag gerufen würde, und wir saßen noch immer, wie der Baron uns vor mehreren Stunden verlassen hatte. Wir brauchten ein System bei der Briefdurchsicht! Das sagte Thea, und wir mußten ihr recht geben. Gewiß machte es Spaß, sich auf die Brenner-Briefe zu stürzen, etwa wie Kleinkinder auf die Weihnachtsgeschenke, doch in wissenschaftlicher Hinsicht ließ diese Methode recht viel zu wünschen übrig. Sogleich besprachen wir, wie die Sache zu handhaben sei.

      In diesem Moment kam das Hausmädchen und holte uns zum Mittagessen, und wir aßen Frühlingshähnchen und plauderten nahezu zwei Stunden mit den Herren des Hauses. Nach dem Karamelpudding hätte ich mich am liebsten schlafen gelegt, doch erwies sich, daß der junge Baron seit einem Parisaufenthalt in der Jugend Feinschmecker geworden war, und

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