Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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schwarzes Festkleid aber war nirgendwo zu entdecken. Es lag ordentlich verpackt in einem Koffer, und der Koffer fuhr just in diesem Augenblick mit dem Güterzug in Kimstad ein, um kurz darauf von stämmigen Ostgöten in einen Gepäckwagen verladen zu werden, der nach Finspång sollte. Ich persönlich befand mich ein wenig weiter nordwärts, ungefähr in Höhe von Järna, und ruinierte meine Frisur, weil ich mit dem Kopf aus dem offenen Fenster hing und die Sonne genoß. Ruß wehte mir ins Gesicht und wurde zudem noch ungleich darauf verteilt, landete nicht als kleidsame Mouches. Heute begann der Sommer. Walpurgis war vorüber, ebenso der Frühlingsball, und mit der Promotion endete das Semester.

      Der Monat Mai in Uppsala verwundert mich stets aufs neue. Irgendwann um Walpurgis beginnt die Stadt zu blühen, die Bäume treiben Knospen, und das erste zarte Grün zeigt sich, und überall wimmelt es von Menschen, von Studenten und Studentinnen nebst vielerlei jungen Damen, alle in frischen, sanften Farben. Zugleich ist die Luft von einer Spannung erfüllt, die sie vibrieren läßt. Vielleicht rührt es daher, daß so viele junge Leute an ein und demselben Ort versammelt sind, an dem Vergnügen herrscht, aber auch Prüfungsangst. Vielleicht sind die Lüste im Frühling so stark, daß sie die Luft der Stadt zum Schwingen bringen ... ja, auf die gleiche Weise, wie die Liebe zu Gott einst die Sphären zum Kreisen brachte und ihre unfaßbare Harmonie schuf.

      Man darf nicht erwarten, daß ich von diesen jugendlichen Vibrationen unberührt bleibe. Vielleicht hätte meine Stellung mich altern und vorzeitig erstarren lassen sollen. Doch gibt es schließlich Gleichaltrige, die noch immer von der Frühlingsballerotik und allen Vergnügungen und Qualen der Jugend mitgerissen werden. In der Frühlingsballnacht stand ich mutterseelenallein in meinem Zimmer und hörte in der Nähe die Serenaden für irgendein Mädchen ertönen ... da überfiel mich die Erinnerung an die kindliche Schwärmerei für Leutnant Greger Färla und die weniger unschuldige Verbindung mit dem lieben Helge. Uppsalas helle Mainacht wühlte meine Sinne derart auf, daß ich tief im Herzen eine Verliebtheit spürte, so unbestimmt, daß nicht sicher war, ob sie einem Gegenstand galt oder ob mich nur die Jahreszeit verzauberte. Gern hätte ich selbst verborgen im Frühlingsdunkel gestanden und eine Serenade für einen schlummernden Adonis gesungen, und vielleicht hätte sich hinter der Gardine ein Licht gezeigt. Doch dort oben im zweiten Stock war ich allein mit meiner Frühlingssehnsucht. Da wünschte ich mich weit, weit weg, an einen Ort, an dem Uppsala mich nicht erreichen konnte.

      In Dampfwolken gehüllt, verließ der Schnellzug jetzt den Bahnhof von Järna, und der Kohlegeruch traf auf den Duft von Sörmlands tausend Fliederbüschen. Es war wie auf einem Schulausflug inmitten einer Schar glattgekämmter Mädchen in kurzen Matrosenkleidern ... und obgleich ich mich nicht erinnerte, worin die Attraktion eigentlich bestanden hatte, erfaßte mich doch dasselbe schwindelerregende Gefühl wie damals. Uppsala lag weit hinter mir, und das Abenteuer lockte in der Gegend von Finspång. Thea und Choice saßen gesittet auf ihren Plätzen und verstreuten ihre Utensilien über die Bänke des Zweiterklassecoupés.

      Für Thea und mich hatten jetzt die Sommerferien begonnen, und Choice war der Redaktion entkommen, nachdem sie hoch und heilig geschworen hatte, eine Artikelserie über Schwedens Herrensitze und Gutshöfe beizusteuern. Denn zu einigen von ihnen waren wir auf dem Weg. Unsere Annonce war in der Tagespresse erschienen, und in unserem gemeinsamen Herausgeberportefeuille – Arsenal genannt – lag ein dickes Bündel Briefe von Leuten verschiedenen Stands und Geschlechts, gemeinsam war ihnen der wohllöbliche Umstand, laut eigener Versicherung im Besitz von Brenner-Briefen zu sein. Wir hatten gründlich überlegt, die Zuschriften nach Glaubwürdigkeit sortiert und schließlich unter Theas Federführung einen Plan aufgestellt, wie die freie Sommerzeit zu verbringen sei.

      Der erste Besuch galt einem Freiherrn unweit von Finspång, dessen Ahnherrin eine enge Freundin der Brenner gewesen war. Er hatte uns mit einem äußerst zuvorkommenden Brief beehrt, der mit »Hochverehrte Dozentinnen!« begann und mit »Ihr ewig ergebener Fabian Gyllensporre. Gut Ekesta, den 29. März 1910« schloß. Auch der Brief selbst war nicht eben übel. In spinnwebfeiner Schrift auf Briefpapier mit Anschrift und Telephon des Gutes geschrieben, und um sicherzugehen obendrein mit allen Angaben versehen, die man gegebenenfalls benötigte: wo der Aufseher anzutreffen sei und welche Rufnummern für die Wohnungen des Freiherrn in Stockholm, Paris und Konstantinopel galten. Wir waren gebührend beeindruckt – zumindest war ich es, die Tochter eines Kürschners. Die Handschrift betreffend, aber auch den Stil, hatte der Brief seinen Ursprung im vorigen Jahrhundert, ich würde meinen, sogar in dessen erster Hälfte. Er begann die verschlungenen Zeilen mit »Anläßlich Ihrer hochverehrten Anfrage in der ›Nya Dagligt Allehanda‹ vom 20. dieses Monats«, gelangte allmählich zu »mein von sämtlichen Anverwandten stets gepriesener Ahnherr Gustaf Gyllensporre behagte, das bürgerliche Stockholmer Fräulein Beata Hochhauer zu seiner Gattin zu nehmen« und endete ganz plötzlich mit dem Hinweis, daß die Brenner und die Hochhauer offenbar intime Freundinnen gewesen waren, »daher sie lange Zeit Briefe wechselten, sowohl in deutscher als auch schwedischer Sprache, dero circa 40 Stück noch heutigen Tags auf unserem Dachboden verwahret sind«.

      Bei einer derartigen Briefsammlung war es kein Wunder, daß wir den Freiherrn von Ekesta zuoberst auf unserer Liste plaziert hatten, dicht gefolgt von dreizehn Briefen an den Professor und nachmaligen Erzbischof Erik Benzelius d. J. am Gymnasium in Linköping. Ekesta war obendrein wunderschön gelegen, unweit des Sees Glan, in einer Gegend, die man Östergötlands Hüttendistrikt nennt – darüber hatte das Nordische Familienbuch Bescheid erteilt. Ein Besuch an jenem Ort erschien als guter Anfang unseres Forschungssommers, und Choice hatte ihren Schwimmanzug eingepackt, in der Hoffnung, die glänzenden Wogen des Sees auch hautnah genießen zu können.

      Kurz hinter Järna wurde der Fahrtwind allzu heftig, also schob ich das Fenster zu und setzte mich zu den beiden. Choice wühlte im Arsenal nach dem Briefbündel und faltete das Schreiben des Freiherrn auseinander.

      »Vierzig Briefe! Kein anderer hat uns einen solchen Packen angeboten.«

      »Und obendrein an eine Freundin, von der niemand je ein Wort gehört hat!«

      »Eine Sache allerdings beunruhigt mich«, sagte Thea und tippte mit der Zigarettenspitze auf die Worte ›auf unserem Dachboden‹. »In welchem Zustand sind diese Briefe eigentlich? Wenn sie nun keiner mehr angerührt hat seit dem 18. Jahrhundert?«

      »Bis auf die Ratten ...«, seufzte ich, denn ich hatte meine Erfahrungen anhand eines spannenden Briefwechsels zwischen Leopold und einem Mitstudenten. Der Briefempfänger hatte die Briefe fein säuberlich binden lassen, doch hinderte das die langschwänzigen Freunde nicht, sorgfältig alle deftigen Worte und appetitlichen Schilderungen aufzuknabbern. Lediglich ein paar Begrüßungsformeln und einzelne Buchstaben waren intakt geblieben, und die Gewißheit, die sich daraus von der Art der Korrespondenz ergab, ließ meine Verzweiflung nur noch größer werden. Dreißig Jahre hatte der Besitzer die Briefe in einem Schuppen verwahrt. Der Dachboden eines Gutshauses konnte kaum schlimmer sein, äußerte ich denn auch laut.

      »Sind sie aufgefressen, müssen wir die Tage als Ferien betrachten«, sagte Choice. »Im übrigen kann ich darüber noch immer eine humoristische Causerie verfassen.«

      »Stellen wir fest, daß die Briefe des Freiherrn von den Ratten gefressen sind, werden wir auf Ekesta bestimmt nicht alt«, sagte ich in einem Anfall modischer Manier. Doch Choice lachte nur über mich – ja, Thea übrigens auch, während sie mit der Zigarettenspitze vielsagend auf mich wies. Dann kramte sie eine Bridge hervor und steckte sie an. Wir fuhren freilich im Damencoupé, das rauchfrei zu bleiben hatte, doch da wir allein waren, ignorierte Thea die Schilder. Und mit Rauchen und Diskutieren über Briefedition und Frauenrecht verging die Reise rasch, trotz mehrmaligen Umsteigens. Wir waren recht zufrieden, dieweil unsere Ansichten sich trafen, und in Finspång verließen wir schließlich den Zug.

      Der Freiherr hatte versichert, man würde uns auf dem Bahnhof abholen, und nun schauten wir ein wenig verloren nach einer Art Kutscher aus. Kräftige Burschen aller Art gab es dort, doch schienen sie mit dem Verladen von Gepäck beschäftigt, also nahmen wir die

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