Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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in der Hauptstadt gewesen waren, um sich dort zu vergnügen. Zwei Studenten spazierten untergehakt zum Bahnhofsrestaurant. Da überfiel mich plötzlich dasselbe Gefühl wie in jener Nacht in Uppsala, doch konnten meine Augen keine Ursache erkennen. Neben mir unterhielten sich Choice und Thea, und ich bin überzeugt, sie sprachen zu mir, doch weiß ich nicht, was sie sagten.

      Ein Duft hatte mich reagieren lassen. Als ich stehenblieb und wie ein Kaninchen schnupperte, spürte ich eine ganze Skala von Gerüchen: Ruß, Rauch, frisches Laub, Flieder ... und noch etwas, das weder mit dem Zug, der Stadt oder der Natur zu tun hatte. Es roch ganz einfach nach Parfüm. Also drehte ich mich um, und da entdeckte ich eine weitere weiße Mütze.

      »Dozentin Gran«, sagte der Mund darunter – und es war ein sehr schöner Mund, ebenso wie die Augen unter dem Schirm der Mütze.

      »Kandidat Månson!« erwiderte ich und nahm seine ausgestreckte Hand. »Was für eine Überraschung!«

      »Baron Fabian ist mein Großonkel«, erklärte der Kandidat.

      »Er hat mich geschickt, Sie und die anderen Damen abzuholen.«

      Ich begriff, daß Thea und Choice mich verblüfft anstarrten und daß ich die Hand des Kandidaten nicht losgelassen hatte. Sie lag so behaglich in der meinen, daß ich keine große Lust dazu verspürte.

      »Seid ihr miteinander bekannt?« fragte Choice neugierig.

      »Ich studiere Literaturgeschichte«, erklärte der Kandidat. Ich ließ seine Hand los. Thea streckte ihm die ihre entgegen und stellte sich vor, und dann ließ Choice all ihre Reize direkt in die schwarzen Augen des Kandidaten strahlen. Er nahm mir das Köfferchen ab und versuchte Choice vom Arsenal zu befreien, doch sie verbarg es hinter ihrem Rücken. Da nahm er statt dessen die Handkoffer der beiden und ging uns voran aus dem Bahnhof.

      »Onkel Fabian hat einen Mann hergeschickt, der die Reisekoffer mit dem Karren bringt. Der Onkel meinte, ich sollte Sie mit der Kutsche fahren, doch das geht so schrecklich langsam. Ich habe statt dessen das Automobil genommen.«

      Es kam nicht jeden Tag vor, daß wir im Automobil fuhren, doch selbstredend konnten wir es einem Studenten nicht gestatten, uns reife Frauenzimmer zu beeindrucken. Der Kandidat öffnete die Türen und stellte die Handkoffer auf den Boden. Es sah nicht eben bequem aus. Vorsichtig setzten wir uns, Choice und ich auf den Rücksitz und Thea neben den Kandidaten. Dort war am meisten Platz, also reichte Choice ihr das Arsenal. Ich band den Hut unter dem Kinn fester. Kandidat Månson kurbelte den Motor an.

      Und ab ging’s! Ratternd und schaukelnd verließen wir Finspång, fuhren an Schloß und Auroratempel vorüber (auf die uns Kandidat Månson zuvorkommend hinwies) und auf die Landstraße hinaus. Hier begann ein langwieriger Kampf mit dem Wind um unsere Hüte. Barfüßige Bauernkinder blieben am Straßenrand stehen und gafften unserem Wagen hinterher. Ich merkte sehr wohl, wie stolz Kandidat Månson war. Dennoch sah selbst ich, daß das Automobil nicht eben das neueste Modell war. Es war klein und klapprig, und der Kandidat steuerte es mit einer gewissen, möglicherweise gespielten Nonchalance. Das Automobil schlingerte über die Straße, und dann und wann, wenn die Räder über Unebenheiten holperten, hüpften wir in die Höhe. Pferde wieherten erschrocken und sprangen über den Graben. Fuhrwerke hielten am Straßenrand und warteten nervös unsere Eskapaden ab. Saß man in ihm, roch das Automobil besser, als wenn man draußen auf der Straße stand, und der Lärm war gar nicht so schlimm. Der Wind war es, nicht der Krach, der jede wirkliche Konversation unmöglich machte.

      Die Landschaft war von ganz anderer Art, als ich, das Mädchen aus Norrköping, erwartet hatte. Hier gab es keine weiten Ebenen mit verstreut liegenden Höfen, und obgleich wir an einer weißen Kirche, groß wie eine Kathedrale, vorüberfuhren, war die Gegend mit der Kulturlandschaft um Schwedens Manchester nicht zu vergleichen. Um die Häuschen blühten Apfelbäume, und an der ganzen Straße von Uppsala her wuchs einfacher lila Bauernflieder an den Hausecken. Der dunkle Wald schien tief, und jenseits der Straße ragten die Berge so hoch auf, daß ich sie zunächst für sich auftürmende Gewitterwolken hielt. Vielerorts wagten sich kleine Äcker schüchtern aus dem Wald hervor, auf unsicheren Beinen und mager wie die Bauernkinder, keine schwellenden Cerestempel wie in Uppland oder der Gegend um Linköping. Ich mochte ihr Aussehen. Waldzipfel ließen Raum für eine Ackerbucht, und hier und dort ragten kleine Felskuppen mitten aus der Saat auf. Die grünen Halme hatten sich aus der Erde gewagt und reichten gewiß bis zu den Knöcheln. Diese Landschaft war dem Menschen nicht vom Herrn gegeben – er hatte sie mit Mühe und Plagen erworben. Jedes Ackerstück war von Menschenhand geschaffen. Ich fragte nach Denkmälern der Vorzeit, und der Kandidat kannte eine verfallene Marienkirche und einige Findlinge, angeblich ein Grab, auf einem Acker dicht bei Ekesta. Doch schien er kein Faible fürs Vorzeitliche zu haben. Über die Wirtschaft der Gegend wußte er besser Bescheid: In Finspång gab es eine Gießerei, der nahezu der ganze Flecken gehörte und die für die Eisenverarbeitung und Forstwirtschaft einstand. Dort wurden vor allem Kanonen hergestellt; in Lotorp gleich nebenan fertigte man jährlich mehr als 21 000 Äxte. Auf dieser Seite gab es vor allem Wald, Äcker und Fischfang, aber auch hier arbeiteten viele Leute für die Gießerei. Reich war die Gegend nicht eben, doch mit einer Mühle und ein wenig Viehzucht kam Ekesta ganz gut zu Rande.

      Rechter Hand war jetzt der See zu sehen – zunächst nur ein Streifen, dann eine breite Bucht mit noch mehr Wald und Bergen auf der anderen Seite. Wir fuhren an einem Gutshaus mit großer Landebrücke vorüber, und unten am Wasser plantschten ein paar Kinder, blaß und glücklich. Kurz darauf bog die Straße in den Wald ab, und Wildrosenranken wölbten sich wie Triumphbögen über unseren Köpfen. Eine braune Stute mit ihrem Fohlen blickte vom Weideland auf, als wir vorüberratterten, doch schien der Lärm sie nicht zu stören. Ich begriff, daß wir kurz vor Ekesta waren.

      Das letzte Stück bis zum Hof glich einer Berg-und-Tal-Bahn, die einen zwischen Ständen und Erwerbszweigen hin und her warf. Wir ließen die Stute hinter uns, kamen an einem gut gepflegten Haus vorüber, das wohl für Sommergäste bestimmt war, bogen hinter einer Kate mit gescheuerter Vortreppe scharf ab, fuhren einen kleinen Hügel hinunter und sahen plötzlich fruchtbare Äcker zu beiden Seiten. Dann ging es in das Dunkel einer Eichenallee und einen Hang hinauf, den das Auto mühselig hustend und ächzend hinter sich brachte.

      Dort lag nun der Hof von Ekesta, weiß und leuchtend im Sonnenschein. Das Wohnhaus war für einen Herrensitz außerordentlich klein, auch wenn man es im Volksmund so nannte. Dennoch hatte es eine prächtige Fassade, mit großen Fenstern, Pfeilern und Balkon. Am Giebel befanden sich mehrere Blendfenster. Hinter dem Haus konnte man einen Garten im englischen Stil erkennen.

      Es war ein Haus, das jemand als Herrensitz erbaut hatte, der nicht ganz über die Ressourcen für ein solches verfügte. Aus der Zeit der Brenner konnte es schwerlich stammen, vielleicht hatte ein Nachkomme ihrer Freundin und des hochgeachteten Ahnen dieses Geschlechts, Gustaf Gyllensporre, das Haus unter dem Regime der Hüte errichten lassen oder in den ersten Jahren unter König Gustaf. Ich stellte mir vor, daß im Geschlecht der Gyllensporres Besitztümer teils gewonnen, teils verloren wurden. Im Augenblick schien ihre Lage ganz erträglich – zumindest sprachen Automobil und die Wohnungen in Paris und Konstantinopel dafür. Die Nebengebäude schienen ebenfalls in gutem Zustand. Ställe, Wagenremise, Scheune und die Häuser der Instleute lagen an kleinen Wegen im Umkreis, alle Gebäude tiefrot, mit Ecken so weiß wie das Haupthaus. Ganz oben auf dem Stalldach hing eine Glocke, die die Instleute zur Arbeit rief. Ein blaßgrüner Speicherbau stach von dem einheitlichen Bild ab. Er schien aufbegehren, sich für etwas Besseres halten zu wollen als die anderen Gebäude. Man konnte fast glauben, er trachte danach, eine Art Industriespeicher zu sein. Einige Männer luden soeben große Säcke von einem Wagen und zogen sie durch die Luke hinauf. Ich vermutete, daß es Mehl aus der Mühle war.

      Kandidat Månson stoppte das Automobil vor dem großen Haustor und half uns samt den Handkoffern beim Aussteigen. Auf dem Hof unter einem dichtbelaubten Baum saß ein alter Mann mit Strohhut und

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