Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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»es gibt kaum andere Poeten unter Karl XI. und XII. – und die wenigen, die es gibt, schreiben wirklich miserabel. Nein, ich habe darüber nachgedacht ...«

      Sie wechselte zum anderen Bein, stellte den Fuß auf die Pritsche und bürstete die Rückseite des Schenkels.

      »Ich habe mich ja vor allem mit dieser Zeit beschäftigt, als ich hier studierte. Erinnerst du dich, was die Burschen im Seminarium zu meinem Aufsatz sagten?« Sie lachte leise und massierte die Kniescheibe mit der Wurzelbürste. »Daß es unpassend für eine Studentin sei, über einen Saufbold wie Runius zu schreiben! Und das, obwohl mein Aufsatz nur eine höchst seriöse Durchsicht seiner Gelegenheitsdichtung war und Schlippenbach ihn mit Laudatur bewertete. Ist doch eine Crux.«

      Jetzt war das Schienbein an der Reihe, und es erforderte größere Sorgfalt, da die Bürste keine Kratzer hinterlassen durfte, die durch den Strumpf schimmerten. Deshalb schwieg Choice, bis sie bei den Zehen anlangte.

      »Als Literaturgeschichtler habe ich seit dem Kandidatenexamen gewiß eine Menge verlernt. Es ist schließlich ... wollen mal sehen ... es muß Nullvier gewesen sein, nicht wahr? Denn bei der Zeitung fing ich vor dem Russisch-Japanischen Krieg an, und der war Nullfünf.«

      »Wissenschaftliche Schulung verlernt man nie. Das bleibt in der Hirnrinde haften.«

      »Du bist wirklich zu nobel, Schwester. Ich will gern mit dir arbeiten. Wir beide haben den Studentinnenverein mit einer solchen Finesse geführt, wie man sie zuvor selten erlebt hat. Und mir gefällt der Gedanke, daß die Brenner eine Frau ist! Doch in Latein bin ich ziemlich schwach.«

      Ich versicherte, die Römersprache sei kein Problem für mich, denn aus jugendlichem Enthusiasmus für die Poeten des Goldenen Zeitalters hatte ich auch sie für das Magisterexamen gewählt.

      »Hmm ...«, murmelte Choice und musterte Beine und Füße. Sie waren rot, aber zweifellos sauber, und sie ließ die Bürste mit einem Krachen auf die Pritsche fallen. »Komm jetzt ins kalte Becken!«

      Sie stürzte hinaus unter die Dusche und sprang dann mit beiden Füßen voran ins Tauchbecken. Ich folgte etwas gemächlicher. Das Wasser plätscherte um die Zehen ... bis zu den Knien hinauf ... den Schenkeln ... dann hielt ich es nicht länger aus, ließ die Leiter los und fiel rücklings ins Wasser. Die Wellen überspülten Gesicht, Haare, den ganzen Körper. Das eiskalte Wasser zwirbelte nach dem Dampfbad die Haut, der Körper zog sich zusammen, die Brustwarzen wurden hart, und die Poren schlossen sich vor Schreck. Das Herz wollte fast stehenbleiben. Das kalte Becken war furchtbar und wundervoll zugleich – ja ungefähr wie die Liebe. Ich trieb vom Rand weg und sah die Decke weit über mir. Wasser gluckste in den Ohren.

      Als sich das Licht änderte und blauer wurde, wußte ich, daß ich in der Nähe des gegenüberliegenden Beckenrandes war. Da wendete ich und schwamm zurück, auch jetzt auf dem Rücken. Sonst hätte ich das hohe Fenster nicht sehen können. Es hatte verschlungene Verzierungen in Blau und Grün wie das Meer. Das Fenster war beinahe genauso wundervoll wie das Becken. Als ich so dahinplätscherte, wurden die Gedanken zu Träumen, weit verschwommener als die Verzierungen des Fensters oben. Deshalb hörte ich zuerst nicht, daß Choice zu mir sprach. Erst als sie mich am Arm packte, stellte ich mich jäh auf den Boden.

      »Hörst du mich, oder bist du ertrunken?«

      »Ich war in Gedanken.«

      »An die Brenner natürlich. Ich kenne eine kluge Lateinerin, Oberstudienrätin an einem Mädchengymnasium.«

      »Hm. Und?«

      »Wir könnten sie dazunehmen. Drei sind besser als zwei. Ist man zu zweit, kann man sich zerstreiten, aber bei dreien bleibt immer eine Majorität.«

      »Ist sie eine vernünftige Person?« fragte ich und sprang auf dem Boden des Beckens hin und her. »Gehen wir raus! Ich friere.«

      »Ja«, fuhr Choice aus der Dusche neben mir fort, »sie ist Blaustrumpf und schreibt gut!«

      Ich seifte mich ein und schloß die Augen, als das Wasser Ströme von Schaum herunterspülte. Choice versicherte, ich würde diese Unbekannte mögen, und das ließ mich sofort auf der Hut sein. Warum sollten wir die Sache nicht allein schaffen? Wir haben uns schließlich nie zerstritten. Jetzt aber verließ Choice die Dusche. Ich folgte ihr, trocknete mich ab und wand das Handtuch wie einen Turban um den Kopf.

      »Weißt du übrigens, wie spät es ist?« fuhr Choice fort und ging zu den Schränken. Halb elf zeigte die Uhr im Umkleideraum. »Himmel, das schaffe ich kaum! Mein Zug geht um elf!« Handtücher, Gesichtscreme und Kleidungsstücke um sich wirbelnd, zog sie sich rasch an und rannte zum Zug nach Stockholm.

      Ich machte mich in aller Ruhe fertig, saß still auf der Bank vor dem Schrank und spürte den Duft des Shampoopulvers und der Radiumseife auf der Haut. Noch immer hing der Geruch von Choices Algencreme in der Luft. Aus dem Schrank muffelte es wie zuvor. Zwei Studentinnen kamen aus der Dusche, die Badehauben noch auf dem Kopf. Sie schienen in Eile, wollten vielleicht zu einer Vorlesung, und während sie sich gegenseitig halfen, das Haar zu richten, sprachen sie intensiv über einen, der Nils hieß. Sie kicherten fortwährend und streuten Sätze um sich wie »Und da hat er gesagt«, »Und da hab ich gesagt« und »Nee, wirklich?«. Mich schien keine von ihnen zu sehen. Ich frottierte mir das Haar, um sicherzugehen, daß ich wirklich dasaß. Schwesterlich schnürten sie sich die Korsetts zu und streiften die allerzüchtigsten Blusen über. Die Absätze der Stiefeletten trommelten auf den Boden, als die beiden halb im Laufschritt davoneilten, und ich vernahm nur noch: »Aber weißt du, die Beata, die sagt, daß sie und Sune ...«

      Schade, daß mir der Rest des Satzes verlorenging. Er hörte sich recht vielversprechend an. Ich kämmte mir das Haar, haderte mit einzelnen Strähnen und fluchte leise in meiner Einsamkeit. Dann all die Nadeln hinein und den Körper in die Kleider gesteckt. Im Badehaus war es still, die Brillengläser beschlugen trotz des Dampfes nicht wieder. Es war ein Gefühl, als sei der Körper noch immer fast nackt, trotz der Winterausrüstung, und im Spiegel sah ich, daß die Wangen rosig glänzten wie auf einer Pastillendose. Ich drehte das Gesicht hin und her und verfiel in Selbstbewunderung.

      Jetzt klappte die Tür, näher kommende Schritte veranlaßten mich, den Blick vom Spiegel zu lösen. So kümmerte ich mich um den stinkenden Schrank, rollte die Handtücher zusammen, das trockenste nach außen, und stopfte sie zusammen mit der Badehaube in die Tasche. Zuoberst lag die Renaissancestudie der Gebrüder Söderhjelm und entging nur mit knapper Not der Nässe. Ich schlüpfte in den Mantel, steckte die linke Hand in den Muff und schloß den Schrank mit der rechten ab. Den Schlüssel stopfte ich in die Mufftasche, so ging er nicht verloren, schließlich klemmte ich die Söderhjelms unter den Arm und ging. Doch die Füße führten mich keineswegs zur Carolina, nicht einmal heim in meine Kammer, sondern direkt zur »Güntherin«, um ein belegtes Brot zu verspeisen und in dem neuen Buch zu lesen. Welch Beginn eines Forschungsprojekts!

      *

      Brief von Lic. phil. Thea Jansson an Redakteurin Gudrun Nordin v. 29.11.1909

      Thea grüsst ihre Choice.

      Ein briefchen fon dir lag hinter der tür, als ich fon der oper heimkam. Also du willst mich bei der herausgabe der Brennerbriefe dabeihaben. Dass es ein weibsbild ist, ist ein plus, aber »na was« (wie der rektor sagen würde), ist sie wirklich jahrelange arbeit fon drei frauen wert? Literaturwissenschaftlerin bin ich nicht, wie du weisst, und das latein der karolinerzeit unterscheidet sich doch recht erheblich fon dem der antike. Aber, andrerseits, wenn man zehn jahre lang teglich und stündlich Cicero runtergeschrubbt hat, um nicht fon Catullus’ ewigem passer zu reden, könnte die Brenner fielleicht was sein. Hat das weib was fon wert geschrieben? Und wer ist diese dozentin,

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