Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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ging an den Tisch, um die Petroleumlampe anzuzünden. Die Augen hatten sich an das Dunkel gewöhnt, und ich konnte das Fenster erkennen, die Sommernacht in den sechs helleren Vierecken. Da erschien mir das Zimmer klein und stickig. Ich stieß das Fenster auf und spürte die Nacht ins Zimmer dringen, den starken Duft von Gras und Flieder aus dem Garten. Weit hinten über dem See noch immer das Licht des Sonnenuntergangs. Füße liefen vor den Salonfenstern auf und ab, und jemand pfiff einen Gassenhauer, in dem sich ganz sicher Herz auf Schmerz reimte. Ich wußte sehr wohl, wer es war. Die Natur war ganz still und der Kandidat zufrieden. Vielleicht hatte er wirklich versucht, mit mir zu flirten, auf kindliche, unbeholfene Weise. Ganz sicher hatte ich ihn ermuntert. Die Schritte und das Pfeifen freuten mich. Dieser Jüngling glaubte sich nicht in eine peinliche Lage versetzt. Sein Tirilieren klang siegesgewiß. Ich schloß das Fenster und zündete meine Lampe an. Jetzt gehe ich schlafen, in mein Bett, ruhig und allein.

      *

      2.6.1910, vor dem Frühstück

      Überzeugt, daß Sehnsucht eine Befriedigung ist, legte ich den Kopf aufs Kissen, puffte es in die passende Form und schlief ein, vermutlich mit einem keuschen Lächeln auf den Lippen. Doch ist viel Wasser unter der Dombrücke durchgeflossen, seit meiner letzten Vernarrtheit, oder ich sollte wohl sagen meiner vorigen. Denn heute nacht blieb Sophia Elisabeth Brenner meinen Träumen fern. Es begann so schön wie in einem Jungmädchentraum, wurde dann ganz und gar lächerlich, und schließlich blieb ich an den Eichenhängen zurück, nein, nicht allein und verlassen, nicht in hochgeistiger Diskussion mit Forscherkollegen, noch nicht einmal in höflichem Geplauder mit dem alten Grafen. Erneut wandelte ich mit Kandidat Månson dahin, die Nacht war hell und voller Düfte, und ich überlegte zerstreut, ob ich ihn küssen sollte. An dieser Stelle gingen Traum und Wirklichkeit auseinander, denn ich tat es tatsächlich. Er beantwortete den Kuß mit einer Glut, die ich bei so jungen Menschen nicht vermutet hätte, doch könnte ich denn schwören, daß es anders gewesen wäre, hätte ich es tatsächlich gewagt? Ganz gewiß liegt in der Sehnsucht ein ganz eigener Genuß. Im Traum erleben die Sinne einen anderen Reiz, und ich zögerte darum nicht einen Augenblick, dem Kandidaten Avancen zu machen, wovon ich nie geträumt hätte -nun, hier hat sich die Feder wohl ein wenig verlaufen.

      Wie eine Blume des Feldes, die schönste von allen, lag er dort im Gras, und ich sah auf ihn hinab und küßte ihn noch einmal, liebkoste ihn und ...

      Mein Gott, ich muß zum Frühstück hinunter.

      *

      Abends

      Heute morgen warf ich nach einem Klecks die Feder hin und hätte gern alles von Anfang bis Ende zugekleckst, ausradiert oder nicht geträumt.

      Es regnete über Ekesta, und die Norrköpings Tidningar lag unangerührt auf Kandidat Månsons Teller. Choice und Thea waren fröhlich und munter, in einem Maße, daß man hätte glauben können, sie seien statt meiner heute nacht draußen herumgeschwärmt. Sobald wir allein in der Bibliothek waren, begann Choice mich zu frotzeln, weil ich, ohne ein Wort zu sagen, verschwunden war.

      »Kokettierst du immer mit deinen Studenten?« fragte sie.

      Allein schon diese Anschuldigung machte mich verlegen. Ich rechtfertigte den Spaziergang mit der Begründung, ich habe dem Melonenbaron entkommen müssen, der offenbar Absichten gehabt habe. Ein solcher Obst- und Gemüsemann paßte ohnehin besser zu Choice. »Und im übrigen war das Ganze völlig unschuldig!« verteidigte ich mich, vielleicht gar zu heftig. Choice lachte schallend, Thea lächelte vor sich hin.

      »Ich hätte nie gedacht, daß es dir Jünglinge angetan haben. Aber vielleicht hattest du nur die Wahl zwischen zwei Übeln? Der fette Baron fing wahrhaftig an, Choicy Avancen zu machen, nachdem du verschwunden warst, doch ich habe sie gerettet so wie der Kandidat dich. Der Baron ging tief enttäuscht und ließ uns einsam zurück, die Stachelbeeren zu bewundern.«

      Ich würdigte es, daß Thea mich zu verteidigen suchte. Wir setzten uns erneut an die Briefe, denn das Abschreiben brachte nicht nur viel Arbeit, sondern kostete auch eine Menge Zeit. Jetzt kam Organisation in die Sache, darauf achtete Thea. Diese Frau hat Sinn für Ordnung. Wir ließen uns, jeder mit einem Briefpacken, nebeneinander am Schreibtisch nieder, der ohne weiteres für alle ausreichte. Ich landete bei der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert. Nicht ohne Erwartungen zog ich Tinte in den Füllhalter.

      Unruhig wie ein Pferd in seinem Verschlag erwartete die Feder den Aufbruch. Wenn man doch mit der Reinschrift anfangen, einfach dahingaloppieren könnte über die leeren Folioblätter. Ein Neuling der Archivforschung hätte wohl in dieser Weise losgelegt, doch ich ließ die Feder in die Jackentasche zurückgleiten und las die Briefe zunächst durch.

      Choice hatte zu schreiben begonnen, ein Viertel der Folioseite war bereits mit schlanken, wohlgeformten Buchstaben in grüner Tinte bedeckt. Thea machte es wie ich. Sie hatte den letzten Teil der Briefe erhalten, und ich sah, daß sie ein Papier fortnahm, das um den Brief gefaltet lag. Ich reckte den Hals, um zu sehen, was es sei, und als sie es bemerkte, reichte sie es mir. Es war ein handgeschriebenes Gedicht an »Major Carl Gyllensporre anläßlich dessen Rückkehr aus dem Russischen Sibirien zu der Heimaterde mit Gattin und Kindern, den 17. Juli 1728«. Dann hatte also Beata Hochhauers ältester Sohn die Gefangenschaft überlebt und war gesund und sicher ins Vaterland zurückgekehrt, nicht mehr als aufsässiger Jüngling, sondern als Familienvater, der das Geschlecht weiterführte. Die Gattin war vielleicht Russin, und ein Sohn mußte der Ahnherr der jetzigen Barone von Ekesta sein, und übrigens auch der von Gabriel Månson. Ich gab Thea das Gedicht zurück und begann mit meinem Teil.

      Der Alltag und die Welt der Frauen waren das Wichtigste darin. Gewiß vermittelte die Brenner auch Neuigkeiten aus der Hauptstadt, wie daß »unsere gnädige Königin mit einem weiteren Sohn niedergekommen«, daß dieser leider im zarten Alter dahingegangen sei oder daß »die Königin vom Todt ereilet worden, weshalb ich in Versen niederschrieb die Trauer des Frauengeschlechts darob, welche hier beigefügt, und für welche Seine Majestät bezahlet mir ein erklecklich Sümmlein«. Die gute Sophia Elisabeth Brenner war kaum eine Person, die sich selbst verleugnete, und sie zögerte nicht, sich in den Briefen an die Freundin ausgiebig über die eigene Dichtung auszulassen. Sie schickte auch ihre gedruckten Texte, doch die Beilagen waren in der Sammlung nicht mehr vorhanden. Ich vermutete, sie waren mit anderen Akzidenzdrucken gebunden worden und standen vielleicht irgendwo in den Regalen. Ansonsten widmeten sich die Briefe meist den Kindern, dem Heim und dem Gatten. Hier begegnete mir Elias Brenner, der großartigste aller Gatten, und ich fand ihn richtig sympathisch. Und dann die Kinder! Die fünfzehn Kinder, so geliebt, als sie geboren wurden, so betrauert, als sie starben. Ein Brief vom Oktober 1696 handelte beinahe ausschließlich von den Kindern:

      Innig geliebte Schwester!

      Gar vieles in der Welt ist zu beklagen; doch haben Dein teurer Brief, den ich kürzlich empfangen, und die Nachrichten, so darin enthalten, mich mit großer Freude erfüllt. Gott sei gedankt, daß es Dir und den Deinen auf Ekesta wohlergehet. Die Furcht vor weiteren Kindbetten ist auch mir wohlbekannt, doch möge der Herr darob walten! Auch bereitet mir das Gebären meiner Kinder nicht länger gleiche Mühe, wie einst der Sofia Geburt. In unserem Haus, Brenners und meinem, befinden die Kinder sich wohl. Maßvolles Haushalten ist freilich vonnöten, doch ist die Not selten bei uns zu Gast.

      Krankheiten grassieren hier in Stockholm. Die Kunde gehet, daß auch Seine Majestät ernstlich erkrankt sei. Hier bei uns ist die Familie zunächst gewachsen, dann rasch wieder geschrumpft. Den 26. September gebar ich mein elftes Kind: einen gesunden und muntern Knaben, dem wir den Namen Carl gaben – den Namen Deines Herrn Sohnes, den unseres Königs und Erbprinzen! Das Kind ist klein, doch stark, und ich glaube, er wird am Leben bleiben.

      Nicht mehr am Leben hindoch sind Margareta und Otto. Die kleine Greta, mein letzter Säugling vor Carln, starb am 2. Oktober,

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