Die zehnte Göttin des Gesangs. Carina Burman

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Die zehnte Göttin des Gesangs - Carina Burman

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Hut beschattete Gesicht und Nacken, und obgleich einige hartnäckige Bienen glaubten, die Verzierungen seien echte Blumen, so hielt die Krempe sie auf gehörigen Abstand von meinem Gesicht. Choice und Thea saßen in unserem Rücken und plauderten, und ich thronte neben dem Kandidaten auf dem Kutschbock. Er trug dünne weiche Lederhandschuhe, und die Zügel waren geflochten, damit sie nicht aus den Händen rutschten. Die braunen Lenden des Pferdes bewegten sich auf und ab vor unseren Augen, und weiter vorn spitzte das Tier ein Paar folgsame Ohren. Der Kandidat und ich sprachen nicht, fühlten uns gewiß aber dennoch wohl. Ich hätte ihn mir gern als jüngeren Bruder gewünscht, zumindest beinahe.

      Kandidat Månson brachte den Wagen am Landesteg zum Stehen, half uns heraus und schickte den Mann zurück, der die Reisekoffer gefahren hatte. Wir kamen gerade zur rechten Zeit. Aus Richtung Finspång glitt ein weißes Dampfboot heran, und Musik begleitete es. Blechblasinstrumente schmetterten, ein fröhlicher Männerchor sang aus voller Kehle »Sehnsucht nach dem Lande«. Thea steckte sich eine Zigarette an und betrachtete das Boot mit einem Blick, den ein Groschenheftverfasser spöttisch nennen würde, den ich aber eher als höhnisch beschreiben möchte. Sie redete nicht so viel wie Choice oder ich, ihr Gesicht aber gab recht klaren Bescheid über das, was sie empfand. Was Blicke nicht auszudrücken vermochten, teilte sie durch ein Wedeln der Zigarettenspitze mit.

      Ich fühlte, wie die Musik mich mitriß und frohgemut stimmte, zumindest oberflächlich. Das Dampfboot legte am Steg an, und eine ganze Gesellschaft stieg aus. Die Sänger und die Blechbläser gehörten dazu. Sie stellten sich dicht am Rand des Landestegs auf und schmetterten weiter in sommertypischem vaterländischem Geist. Männer und Frauen in Sommerkleidern, mit flachen Strohhüten und Sonnenschirmen entstiegen dem Boot. Alle waren jung, Kinder waren nicht dabei. Sogleich begann meine Phantasie ein Gewebe um sie zu spinnen, doch der Anblick einer Standarte brachte mich rasch wieder zur Erde zurück: »Fingspongs Guttemplerloge« stand darauf. Mit jenen fühlte ich keine Verwandtschaft.

      »Nun müssen wir an Bord«, sagte Thea. »Adieu, Kandidat Månson!«

      Sie schüttelten dem Kandidaten die Hand, nahmen ihre Handkoffer und stiegen die Landebrücke hinauf. Ich blieb stehen, an den Augen des Kandidaten hängengeblieben. Die Guttempler betrachteten leicht mißtrauisch seine weiße Mütze, die nicht eben von Nüchternheit zeugte.

      »Dozentin Gran ...«, begann er, ein wenig linkisch und dümmlich. Ich wollte ein »Kandidat Månson« lispeln, blieb aber stumm. Er wiederholte meinen Namen und Titel, und ich war verwundert, daß er so jung war und dennoch ein erwachsener Mensch.

      »Gabriel ...«, sagte ich, doch kein Ton kam aus meinem Mund. Da streckte er die Arme nach mir aus. Ich machte einen Schritt auf ihn zu und spürte den Parfümduft. Dann umarmte ich ihn sehr hastig, als wäre ich seine Tante, und hörte zugleich den ganzen uns umgebenden Spektakel. Der Puls hämmerte. Das Blasorchester lärmte. Unsere Koffer wurden an Bord gehievt. Die Sirene des Dampfboots zeigte die Abfahrt an. »Lissie!« rief Choice. »Komm!«

      Im nächsten Augenblick stand ich an der Reling, winkte hastig und wandte mich ab, als bedeute der Abschied rein gar nichts. Mein Gesicht schien von lästiger Röte. Die Stimmen der Reisenden schwirrten durcheinander. Einige Männer hatten sich offenbar von den Guttemplern inspirieren lassen und stimmten »Blühende Täler so schön« an. Wir bekamen Fahrt, und der Wind packte zu. Vermutlich war er es, der meine Augen tränen ließ. Als ich über die Schulter schielte, sah ich nur einen weißen Fleck, es mußte der Wagen sein. Ich putzte die Brille mit einem Zipfel des Halstuchs.

      Wir spazierten damenhaft über Deck und fanden einen Platz im Schatten. Die noble Welt von Finspång musterte uns interessiert und arrangierte ihre Hüte, als das Boot die Richtung wechselte. Thea stellte das Arsenal zwischen die Knie, zündete sich erneut eine Zigarette an und nahm unser Verzeichnis über die bereits bekannten Briefe zur Hand.

      »Dreizehn Stück an Erik Benzelius d. J., kann das stimmen?« fragte sie. »Begonnen 1710.«

      »Ja«, erwiderte ich und fügte hinzu: »Es gibt auch einige von Elias Brenner. Vielleicht sind sie es wert, angesehen zu werden.«

      »Da geht es sicher nur um Numismatik«, meinte Choice. »Was denn sonst bei Männern!«

      Ich bemerkte, mir erscheine Assessor Brenner richtig angenehm. Das hätte ich natürlich nicht sagen sollen, denn jetzt begann das Frotzeln: »Jedenfalls war er kein Student«, sagte Choice.

      Thea warf mir einen ihrer Blicke zu, der in dechiffrierter Form bedeutete, ich würde mich zuweilen etwas unpassend aufführen. Choice ging zum erneuten Angriff über, und wir ernteten Blicke unserer Banknachbarn. Da mischte sich Thea ein und brachte uns zur Ruhe: »Nun, den Kandidaten dürftest du in nächster Zeit wohl kaum zu Gesicht bekommen. Benzelius war doch wohl einer dieser Kulturfreunde unter Karl XII.?«

      Beide nutzten wir freudig die Gelegenheit, uns gegenseitig kleine Vorträge über karolinische Kulturkoterien zu halten und verbreiteten uns lang und überschwenglich über Benzelius’ Bedeutung. Theas Eingreifen in unseren Streit war wie ein Lichtpunkt im nächtlichen Dunkel, wie eine Quelle im undurchdringlichen Urwald. Erst als wir in Skärblacka anlegten, verstummten Choice und ich; da hatte sich unsere Freundschaft vom Eindringen der Männerwelt erholt.

      Nach Kimstad zu reisen ist kein Vergnügen, und nach Linköping weiterzufahren war auch nicht besser. Ein wenig traurig war ich schon. Im Hotel wartete ein Brief von Balle Bondeson, in dem er erklärte, er glaube, Geijer sehr gut zu verstehen trotz Ermangelung von Ehefrau, Wahnsinn und Reichstagssitz, doch könne er nicht ausschließen, die Sache in anderem Licht zu sehen, wenn er jemals derartige Accessoires erwürbe. Daß ich die Brenner verstehe, war für ihn selbstverständlich, und die Ideen vom Kinderkriegen hielt er für Dummheiten. Die Umstände, unter denen die Dichtung der Brenner entstanden war, spielten doch wohl keine größere Rolle! Auch du, mein Balle ...

      Das Gymnasium war leer und wirkte kalt und staubig, wie Schulen in den Ferien für gewöhnlich. Wände, Bänke, Ecken und Winkel, alles roch nach Schule und weckte Erinnerungen an jene Zeit. Nicht fröhliche Erinnerungen tauchten auf, sondern all die Unbeholfenheit, die Angst, etwas Falsches zu sagen, und das Gefühl, die Kleidung wäre stets von falschem Schnitt, egal, wie richtig sie schien. Thea blickte zu den ehrwürdigen Stuckarbeiten auf und fragte sich laut, warum in aller Welt sie die Ferien in einer Schule verbringen müßte.

      Ein mißgelaunter Hausmeister empfing uns und führte uns zum Bibliothekar, der keinen Hehl daraus machte, an einem solchen Tag wie dem heutigen nur zu gern auf den Roxen zum Angeln zu wollen. Er war kein alter Mann, doch seine Gestalt schien vom Leben in der Bibliothek geprägt: grau wie Bücherstaub in Kleidung und Gesicht, als einzige Farbe in all der Düsternis blaßblaue Tintenflecke auf den Wechselmanschetten. Als er im Katalog nachschlug, glichen seine Augen denen eines Barsches, den man soeben mit gebrochenem Genick ins Boot geworfen hatte.

      Bei Sonnenschein beißen sie schlecht, doch sagte ich es nicht laut.

      Hier in Linköping hatten pedantische Schulbibliothekare gewirkt, keine sorglosen Freiherren. Benzelius’ Korrespondenz war geordnet nach Jahren in dicke Bände gebunden, und es kostete viel Zeit, in jedem Folianten den richtigen Brief zu finden. Im Unterschied zu den Hochhauer-Briefen waren sie jedoch weder besonders lang noch sonstwie merkwürdig. Uns begegnete das gelehrte Weibsbild, das oft in lateinisch schrieb, zuweilen auch französisch, und die für das Interesse des gelehrten Herrn Bibliothekars an ihrer Dichtung dankte. Von häuslichem Leben und Kleinkindern war kaum etwas zu spüren. Beim Himmel, schließlich schrieb sie an einen Mann.

      »Schau, jetzt kann Assessor Brenner nicht kontrollieren, was sie schreibt!« rief Choice und schlug einen Brief vom 3. Februar 1717 auf. Der Gatte war tot, und die Finanzen der Familie schlechter als je zuvor.

      Edler und hochgelehrter Herr Professor und Bibliothecarius! In Ansehung

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